Wie Merkel mauschelt
Das “deutsche Europa” dürfte auch die neue Legislatur in Brüssel beherrschen. Jedenfalls lässt Kanzlerin Merkel nichts unversucht, die Strippen zu ziehen. In der Personalpolitik geht sie rücksichtslos vor.
Juncker, Tusk, De Guindos – schon drei EU-Topjobs für die nächste Legislatur hat Kanzlerin Merkel mit ihren Favoriten besetzt. So weit, so bekannt.
Weniger bekannt ist, wie sie im Hintergrund (oder Hinterzimmer) die Strippen zieht. Und zwar nicht erst seit der Europawahl. Es begann schon Wochen zuvor, beim EVP-Kongress in Dublin:
1. Akt, März 2014: Beim EVP-Meeting “kauft” sie die Spanier mit dem Versprechen, Wirtschaftsminister De Guindos zum Eurogruppenchef zu machen – und setzt so Juncker gegen den Franzosen Barnier durch.
2. Akt, August 2014: Die Entscheidung für De Guindos wird kurz vor dem EU-Gipfel öffentlich gemacht. Noch-Ratspräsident Van Rompuy nickt die “Wahl” ab – so wird die neue Achse Berlin-Madrid quasi offiziell.
3. Akt: Nun versucht Merkel, De Guindos möglichen Gegenspieler Moscovici auszuschalten. Der französische Ex-Minister soll nicht Währungskommissar werden – oder wenigstens einen mächtigen Aufseher bekommen.
Eigentlich steht es der Kanzlerin nicht zu, in die Besetzung der EU-Behörde hineinzufunken. Jedes Land nominiert seinen Kommissar, die Posten vergibt Juncker – fertig. Doch in Merkelland gelten andere Regeln.
Die Kanzlerin verbündet sich mit konservativen Regierungen (etwa in Madrid und Warschau), um missliebige Kandidaten (vor allem aus Paris) zu verhindern – und ihre Buddies durchzusetzen.
Druck auf Draghi
Auch inhaltlich mauschelt die Kanzlerin nach Kräften. So setzte sie – vertragswidrig – EZB-Chef Draghi per Telefon unter Druck, auf keinen Fall vom Sparkurs in Euroland abzuweichen, wie der “Spiegel” meldet.
Das nächste Manöver dürfte beim Sonder-EU-Gipfel Anfang Oktober in Mailand folgen. Frankreichs Präsident Hollande will ihn gemeinsam mit Italiens Renzi zum Eurogipfel machen und den Sparkurs lockern.
Doch Merkel hat schon vorgebaut: Sowohl De Guindos als auch Tusk wurden auf die Fortsetzung der Austeritätspolitik eingeschworen. Nur Kommissionschef Juncker hat sie noch nicht ganz im Griff, oder?
Johannes
2. September 2014 @ 17:48
“In der Personalpolitik geht sie rücksichtslos vor”. Ja, und in der Währungspolitik gehen Griechenland, Italien und Frankreich rücksichtslos vor und zwingen uns Deutsche zur teileweisen Schuldenübernahme was sogar möglicherweise den europäischen Frieden gefährdet nur weil diese Länder sich nicht “fit sparen wollen” für den Euro.
“Eigentlich steht es der Kanzlerin nicht zu, in die Besetzung der EU-Behörde hineinzufunken. Jedes Land nominiert seinen Kommissar” Eigentlich steht es Südeuropa nicht zu, Deutschland zur Schuldenübernahme zu zwingen mit dem Solgan “sonst gefährdet ihr den europäischen Frieden”.
“So setzte sie – vertragswidrig – EZB-Chef Draghi per Telefon unter Druck” Frankreich macht genau das gleiche, öffentlich setzt man Draghi immer wieder unter Druck illegale Maßnahmen zu ergreifen.
Als ob Südeuropa nicht mindestens genauso böse und hinterhältig wäre wie Merkel.
Peter Nemschak
2. September 2014 @ 21:19
Es ist keine Frage von böse und hinterhältig. Es geht schlicht um Macht, ein normales soziales Phänomen, ob in Familien, Gruppen, Staat oder Koalitionen von Staaten wie der EU.
Peter Nemschak
2. September 2014 @ 11:16
@ebo Draghi ist wohl Manns genug die Meinung von Merkel auszuhalten.Dass Konjunkturpakete im Süden als Ersatz für Strukturpolitik betrachtet werden, kann auch nicht oft genug wiederholt werden. In diesem Zusammenhang ist Österreich dem Süden zuzurechnen.
ebo
2. September 2014 @ 10:38
@michael
In Euroland gilt, dass die EZB unabhängig ist. Direkte Pressionsversuche sind also tabu – eigentlich. Denn in Merkelland gelten eigene Gesetze…
Tim
2. September 2014 @ 10:44
In Euroland gilt, daß die EZB keine Staatsfinanzierung machen darf. Anleihekäufe sind also tabu – eigentlich. Denn in Euroland gelten eigene Gesetze … 🙂
Peter Nemschak
2. September 2014 @ 10:44
Pressionen sind von allen Seiten nicht unüblich und werden von denen ausgeübt, denen die Politik der EZB gerade nicht passt. In den Jahren vor der Krise hätte Kritik an der lockeren Geldpolitik nicht geschadet.
ebo
2. September 2014 @ 10:52
Lesen Sie mal, was Flassbeck sagt: http://www.flassbeck-economics.de/angela-merkel-telefoniert/
Tim
2. September 2014 @ 10:07
Vertragswidrigkeit ist doch seit Jahren der akzeptierte EU-Stil.
Merkel handelt vollkommen konsistent.
Peter Nemschak
2. September 2014 @ 10:30
Wenn tatsächlich vertragswidrig, wäre sie längst vor dem EuGh gelandet. Offenbar erlaubt der Vertrag unterschiedliche politische Visionen.
Michael
2. September 2014 @ 09:59
Die Vorstellung, dass der Präsident der Kommission souverän entscheidet, wer welche Position bekommt, und niemand sich dazu äußern oder hineinreden soll, ist reine Verfassungslyrik. Genauso wie das deutsche Grundgesetz nur dem Bundeskanzler das Recht zugesteht, die Ernennung von Ministern vorzuschlagen, tatsächlich aber die personelle Zusammensetzung der Regierung das Ergebnis eines Koalitionsvertrages ist, genauso hat Juncker zwar formell das Recht, einem Kommissionsmitglied jeden beliebigen Geschäftsbereich zuzuweisen, er hätte aber nichts davon, wenn er sich durch eine solche Entscheidung den langandauernden Zorn eines wichtigen EU-Mitgliedes zuzöge. Die Kommission kann zwar als einzige Rechtsakte vorschlagen, ist aber praktisch für alles auf die Zustimmung des Rates angewiesen. Letztlich bedeutet das, dass es darauf ankommt, wie geschickt man verhandelt und seinen Einfluss geltend macht. Man kann es versuchen wie Cameron oder wie Merkel. Was ist wirksamer?
Peter Nemschak
2. September 2014 @ 10:34
Mit anderen Worten: die Kommission ist der Juniorpartner der großen Mitgliedsländer.
Peter Nemschak
2. September 2014 @ 09:52
Man mag Merkel für die Inhalte ihrer Politik kritisieren, aber sie dafür zu kritisieren, dass sie führt, d.h. Macht über andere ausübt, verstehe ich nicht. Die manchmal skrupellos erscheinende Art wie sie führt, gehört zum Standardrepertoire von erfolgreichen Führungskräften und hat nichts Ehrenrühriges. Jeder, der selbst einmal Führungsfunktionen ausgeübt hat, kennt die Mechanismen: eigene Vertraute in Schlüsselpositionen setzen, sie gegebenenfalls wieder fallen zu lassen, wechselnde Koalitionen zu bilden, gegnerische Koalitionen bereits im Frühstadium zerschlagen, mit eigenen Festlegungen zuwarten bis andere sich festgelegt und damit immobilisiert haben. Konsens, soweit notwendig, nicht um des Konsenses willen, sondern um Ziele durchzusetzen, kurz, das Handwerk der Macht ausüben. Das birgt natürlich Risiken. Wer diese scheut und versucht, allen alles recht zu machen, braucht erst gar nicht zu beginnen.
ebo
2. September 2014 @ 10:05
Kann man so sehen. Aber: Die EU ist kein Unternehmen, auch kein Staat. Und: wir hatten eine Europawahl. Merkel unternimmt offenbar alles, damit diese Wahl keine folgen hat und alles so bleibt, wie zuvor. Dabei setzt sie sich über den EU-Vertrag hinweg. Unabhängigkeit der EZB? Egal. Demokratie? Lästiges Beiwerk…
Peter Nemschak
2. September 2014 @ 10:12
Würde sie EU Recht brechen, wären ihre Gegner schnell beim EuGH.
ebo
2. September 2014 @ 10:23
Waren sie ja schon, jedenfalls beim Bundesverfassungsgericht. Und das urteilt stets im Sinne des “deutschen Europa”…
Michael
2. September 2014 @ 10:31
Wenn Sie sich auf die Europawahl berufen, so hätte die ja alle Schönheitsfehler bei der Nominierung des Spitzenkandidaten Juncker geheilt (denn die EVP hat deutlich mehr Abgeordnete im EP, obwohl sie m.W. etwas weniger Wählerstimmen hat als die Sozialisten). Und die Vorgehensweise, den Spaniern politische Unterstützung zu bieten, damit sie in ihrem Sinne abstimmen, ist ganz die in der Politik übliche Vorgehensweise (und konnte bei einer geheimen Abstimmung ja auch keinen unbilligen Zwang ausüben).
Im übrigen ist es keineswegs so, dass jedes Land völlig unabhängig voneinander einen Kommissar ernennt, sondern der Rat insgesamt beschließt eine Liste, die zudem noch vom EP akzeptiert werden muss. Daher kann man natürlich seine Kollegen kontaktieren. Und warum sollte sie Mario Draghi nicht anrufen dürfen?
Peter Nemschak
2. September 2014 @ 12:03
Um dem europäischen Parlament politisches Gewicht zu geben, bedarf es europäischer Parteien, die es derzeit nicht gibt.
Baer
2. September 2014 @ 08:43
Ich denke eine Schuldige haben wir heute schon,es fehlt nur der Ankläger und der Richter.
Wird wohl auch so bleiben. Wir sind eben auf einem guten Weg.
DerDicke
2. September 2014 @ 08:28
Zumindest haben wir am Ende des Euro-Projekts (und eventuell auch des “Friedens-Projektes” Europa”) eine Schuldige. Ist doch auch was wert 🙂
Heide
2. September 2014 @ 10:07
Das hat sie gelernt: Wenn sie selbst erst mal EU-Rats-Präsidentin istl, hat sie diesmal eine echte Hausmacht. Und über Tusk sogar verbandelt mit dem Neuen Europa der USA.