Wie konnte es zu VDL II. kommen?
Die amtierende EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen ist wie erwartet in ihrem Amt bestätigt worden. Dabei stand sie bei der Europawahl auf keinem Stimmzettel. Wie konnte es dazu kommen?
- Die Staats- und Regierungschefs hatten sich informell schon im Herbst 2023 auf eine zweite Amtszeit für die CDU-Politikerin geeinigt, Kanzler Scholz (SPD) war auch dafür.
- Die europäischen Parteienfamilien haben keine glaubwürdigen Alternativen vorgeschlagen; die SPD hat nicht mal ihren eigenen EU-Spitzenkandidaten Schmit plakatiert.
- Es gab keinen richtigen Wahlkampf. VDL wurde zu keinem Zeitpunkt herausgefordert; ihre “Kampagne” lief vor allem unter konservativen Parteifreunden.
- Nach der Wahl hat es das Europaparlament versäumt, in offene und transparente Koalitionsverhandlungen einzusteigen. Man überließ der mit 26 Prozent “siegreichen” EVP kampflos das Feld.
- Das Vorschlagsrecht für die EU-Kommissionschefin liegt bei den Staats- und Regierungschefs. Sie nominierten VDL, ohne auch nur die erste Sitzung des EU-Parlaments abzuwarten.
- Danach setzte eine heftige Kungelei in den Brüsseler Hinterzimmern ein. VDL versprach jedem, was er hören wollte. Bei ihrem “Wahlkampf” wurde sie (regelwidrig) von der EU-Kommission unterstützt.
- Die Grünen haben sich als Mehrheitsbeschaffer einspannen lassen, obwohl sie bei der Europawahl zu den Verlierern zählten und von der EVP ausgebremst und abgekanzelt wurden.
- Alle rechtlichen Bedenken wurden beiseite gewischt. Dass VDL das EU-Recht gebrochen hat und die Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelt, war trotz der ständigen Beschwörung des Rechtsstaats kein Problem.
- Am Ende haben die EU-Chefs und ihre nationalen Parteien auch noch mächtig Druck auf die Abgeordneten ausgeübt, “richtig” abzustimmen. Ansonste drohe das “Chaos”, so das “Argument2.
- Ein wichtiger Aspekt war auch das neue Freund-Feind-Denken. Demokraten gegen “Populisten”, “Europa gegen Russland – und VDL gegen Orban und sein “Appeasement”: Auch das hat offenbar gewirkt.
Siehe auch “Warum diese Europawahl eine Mogelpackung ist”
P.S. Bei der entscheidenden Abstimmung zu von der Leyen II. haben die Grünen offenbar den Ausschlag gegeben. Sie stimmten mit großer Mehrheit für von der Leyen – aus “Verantwortung”, sagen sie. Die FDP stimmte gegen die CDU-Politikerin, Melonis “Fratelli d’Italia” auch. Der grüne Support habe den Ausschlag gegeben, hieß es in Rom.
Kleopatra
21. Juli 2024 @ 09:52
Das sogenannte „Spitzenkandidatenverfahren“ sieht vor, dass jede Parteiengruppierung („Familie“) vor der Wahl einen Kandidaten benennt und derjenige als gewählt gelten soll, der von den Parteien nominiert wurden, die im EP die größte Fraktion bilden. Nach diesem Kriterium hat vdL die Wahl gewonnen, und ein anderes wurde im EP bisher nicht vorgeschlagen.
Unerfreulich ist freilich, dass unter den gegebenen Umständen keine andere Parteiengruppierung als die EVP eine Chance auf diesen „Wahlsieg“ hatte.
ebo
21. Juli 2024 @ 12:43
Widerspruch.
Erstens ist das sog. Spitzenkandidatenverfahren seit 2019 de facto tot. Es wurde vor der Europawahl nicht erneuert, was eine Einigung zwischen Parlament und Rat erfordert hätte. Die hat es nicht gegeben, man hat es nicht mal versucht.
Zweitens sah das Verfahren lediglich vor, dass nur ein sog. Spitzenkandidat die Führung der EU-Kommission übernahmen kann. Laut Lissabon-Vertrag soll dafür das Wahlergebnis berücksichtigt werden.
Daraus folgt, dass die stärkste Partei zum Zuge kommt, sofern sie einen Spitzenkandidaten hat. Dies betrifft aber nur die Nominierung, nicht die Wahl.
Von der Leyen galt deshalb auch nicht “als gewählt”, sondern sie musste nach der Nominierung noch eine Mehrheit suchen, wobei ganz andere Koalitionen zustande kamen als im Wahlkamp angekündigt.
Das zeigt erneut, wie sinnlos das sog. Spitzenkandidatenverfahren ist. Es nennt nur notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für eine Wahl – und es überlässt die Nominierung weiter den EU-Chefs.
exKK
21. Juli 2024 @ 15:12
“Das zeigt erneut, wie sinnlos das sog. Spitzenkandidatenverfahren ist.”
Und es zeigt eindringlich auf, was für eine Farce die sogenannte “Demokratie” der EU ist – sie ist realiter nur ein für die Bürger aufgeführtes Possenspiel von Laien-Darstellern.
Kleopatra
23. Juli 2024 @ 11:26
Das Spitzenkandidatenverfahren war eine reine Erfindung des Parlaments, das damit versuchte, sich mehr Macht zu erkämpfen. Solange eine Mehrheit des EP aus Parteien/Fraktionen besteht, die sich zu diesem Verfahren bekennen, hat das EP die Möglichkeit, darauf zu bestehen, dass es keinen anderen Kandidaten als den Sieger dieses Verfahrens als Kommissionspräsidenten akzeptieren wird. Mittlerweile haben aber Christ- und Sozialdemokraten auch gemeinsam im EP keine Mehrheit mehr. Die Variante, dass der Rat jeden von einer Fraktion vor der Wahl benannten Spitzenkandidaten ernennen könnte, wurde erst in den letzten ahren ventiliert und wirkt von vornherein merkwürdig.
Da dieses Verfahren nie in den Verträgen verankert war, ist der Rat nicht daran gebunden; 2014 konnte ihm vom Parlament allerdings eine entsprechend Entscheidung aufgenötigt werden.
Helmut Höft
19. Juli 2024 @ 08:27
Die „Grünen“ lassen die Hose runter, zu sehen: Pickel am A… (SCNR) Es geht um Macht – und den besten Platz an den Drehtüren!
Menschen? Widerlich!
Skyjumper
18. Juli 2024 @ 20:48
Ein altes Problem – das Demokratiedefizit – ist geblieben.
Rechtstaatlichkeit? Drauf gepfiffen.
Freiheit? Weicht weiter der Zensur und Bevormundung.
Transparenz? Häh – höchstens fürs Fussvolk
Dann wollen wir mal sehen ob die EU noch 5 Jahre v.d.Leiden überlebt. Ich will den Kaiser zurück – da wußte man wenigstens noch was man nicht erwarten durfte.
exKK
19. Juli 2024 @ 18:52
„Dann wollen wir mal sehen ob die EU noch 5 Jahre v.d.Leiden überlebt.“
Ich will jetzt erst mal sehen, was die Justiz mit den diversen Verfehlungen von der Leyens nun anstellen wird. Und ob wir wirklich noch „Rechtsstaat“ und „Gewaltenteilung“ haben…
MarMo
18. Juli 2024 @ 20:39
Das die Grünen als Mehrheitsbeschaffer für vdL fungiert haben und dabei von „Verantwortung“ schwatzen passt zu meinem Bild, das ich schon lange von den Grünen habe – opportunistisch, machtgeil und kriegsbesoffen. Grün ist (das neue) Schwarz.
exKK
19. Juli 2024 @ 01:01
Schwarz? Oder nicht doch eher Braun?
Georg
19. Juli 2024 @ 11:21
Die Antwort gibt die Banane : grün geerntet wird sie langsam gelb und dann schnell schwarz und bekommt viele braunen Flecken
notabene
18. Juli 2024 @ 19:58
Damit ist der Weg in den vierten Weltkrieg sicher.
Wir leben in wirklich interessanten Zeiten……….
exKK
19. Juli 2024 @ 01:00
Vorher kommt ja noch der dritte… und ob der noch genug für einen vierten übrig lassen wird, muss man erst einmal abwarten.
exKK
18. Juli 2024 @ 17:15
Ich kann gar nicht soviel essen wie ich kotzen möchte.
Und ich kann eine Menge essen!
Stef
18. Juli 2024 @ 16:25
Demokratie hat hierbei niemals eine Rolle gespielt. Das ist nicht vorgesehen und wird im Rahmen der Europawahlen auch nur vorgetäuscht. Von daher kann ich der Wiederwahl von UvdL durchaus positive Gesichtspunkte abgewinnen:
– Das Demokratiedefizit der EU hat ein Gesicht bekommen.
– Es ist keineswegs gesagt, dass eine andere Kommissionspräsidentin eine bessere oder auch nur glimpflichere Politik gemacht hätte.
– Das Parteienkartell der Mitte hat sich klar zu erkennen gegeben. Es wird für die Unterstützer dieses Kartells nicht so einfach sein Opposition zu mimen.
– Die Verantwortung für den absehbaren und bevorstehenden wirtschaftlichen Niedergang der EU wird man nicht den politischen Rändern zuschieben können.
– Die EU ist dem Untergang geweiht, vdL wird dies verkörpern.
– vdL muss mit Trump zurechtkommen, was der Quadratur des Kreises entspricht.
Im Kern ist meine Überzeugung bestärkt worden, dass die EU nicht zu refomieren ist. Von daher ist es besser, wenn sie von ihren Verfechtern zu Grabe getragen wird, als dass ihre Kritiker ihre Energie bei dem vergeblichen Versuch ihrer Rettung vergeuden. Diese können sich jetzt wieder voll auf die Kritik konzentrieren.
european
18. Juli 2024 @ 17:08
Im Prinzip stimme ich dem zu. Man vergisst nur dabei, dass es sehr viele Leidtragende geben wird. Ein endloser Krieg fuer den das Geld nur so rausgeworfen wird und reingeholt wird es bei Rentnern, Arbeitslosen, aus der Pflege, den Schulsystemen etc. Der soziale Unfrieden in der EU ist damit gewaehrleistet.
Wieder einmal hat sich bestaetigt, dass das Parlament sich nicht als Kontrollorgan der Kommission sieht. Mit wenigen Ausnahmen ist es ein Verein der Claqueure und Profiteure, denen alles egal ist, solange die eigene Kasse stimmt. Clare Daly hat heute sehr gefehlt.
Karl
18. Juli 2024 @ 19:11
Clare Daly hat gefehlt, aber Michael von der Schulenburg ist nun neu da:
https://www.youtube.com/watch?v=-dPX_hYvzZE
Helmut Höft
19. Juli 2024 @ 15:58
@ Karl
Yes, Clare Daly fehlt! “Ohne Frieden ist alles nichts!” (Zitat Willy Brandt) Danke für den Link zu Schulenburg. Am Beginn gibt er an, dass das BSW seine Kritik am €U-Friedensplan im Plenum nicht vortragen durfte … Nun, jenseits von Zeitplänen und Rederechten im Parlament ist es doch immer wieder interessant, dass es die kritischen Stimmen sind, für die keine Zeit, kein “Rederecht” mehr vorhanden ist. Die radikale Mitte at work! Guxtu hier: https://redfirefrog.wordpress.com/2024/03/02/das-glaubensbekenntnis-der-radikalen-mitte/ (Thomas Damrau)
@ Stef @ european
Mal wieder schön beschrieben aus Eurer Feder.
“Im Kern ist meine Überzeugung bestärkt worden, dass die EU nicht zu refomieren ist. Von daher ist es besser, wenn sie von ihren Verfechtern zu Grabe getragen wird, als dass ihre Kritiker ihre Energie bei dem vergeblichen Versuch ihrer Rettung vergeuden. Diese können sich jetzt wieder voll auf die Kritik konzentrieren.” 100 % richtig! *seufz*
Hier erneut der Hinweis auf “Die Tyrannei der Minderheit” https://www.perlentaucher.de/buch/steven-levitsky-daniel-ziblatt/die-tyrannei-der-minderheit.html. Nicht nur dass sich Levitsky und Ziblatt mit der Materie auskennen – nein, sie sind keine Ächzperten sondern echte Experten! – das Buch zeigt auf was alles so an einer Demokratie fehlt – hier an den USA, das gilt aber im Allgemeinen und im Besondern für die €U: Die Basis wird von faulen Kompromissen gebildet. Das führt in der Folge zur Unreformierbarkeit aus sich heraus! Das Buch ist mit einer großen Fülle an Quellen ausgestattet. Wem das an Quellen noch nicht reicht, der greift zu Jill Lepores “Diese Wahrheiten” https://www.perlentaucher.de/buch/jill-lepore/diese-wahrheiten.html. Auch hier – ohne direkten Demokratiebezug – sind die Parallelen zur unreformierbaren €U schlagend.
w.nissing
18. Juli 2024 @ 16:02
wo kann man das Abstimmungsverhalten der Parlamentarier einsehen, oder war die Wahl nicht öffentlich?
ebo
18. Juli 2024 @ 16:32
Die Wahl war geheim.
Michael
18. Juli 2024 @ 14:27
Ebenso grauenhaft wie erwartet! Man fragt sich angesichts der Kungelwirtschaft was Demokratie nicht wert sein soll!?