Wie Habermas die EU-Krise sieht
Es war eine ungewöhnliche Begegnung: In Berlin hat sich der deutsche Philosoph J. Habermas mit dem französischen Politiker E. Macron getroffen, um über mögliche Antworten auf die Krise der EU zu diskutieren.
Der Philosoph spannt einen Bogen von der Französischen Revolution bis zum Machtwechsel in den USA. Er diskutiert den Unterschied zwischen Solidarität und Wohltätigkeit – und fragt, warum die so dringend nötige Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich in der EU nicht (mehr) funktioniert.
Das liege nicht nur am mangelnden Reformwillen in Frankreich, so Habermas. Vielmehr spiele auch Deutschland eine unglückliche, ja möglicherweise fatale Rolle.
Der deutsch-französische Vorschlag für ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten werde daran nichts ändern, so der Philosoph. Er sei notwendig, aber nicht hinreichend. Zitat:
The only response to these tremendous pressures that I can see to date takes the form of groping attempts to promote a “Europe of different speeds” in the field of military cooperation. In my estimation, this attempt is bound to fail if Germany remains unwilling to entertain simultaneous measures to defuse the ticking time bomb of structural imbalances among national economies in the eurozone. As long as it suppresses this conflict, cooperation will not be possible in any other area of policy either. (…) But, even though it did not choose this role, it is now up to the German government to join France in taking the initiative to pull the cart out of the mire. The blessing of being the greatest beneficiary of the European Union is also a curse. For, from a historical perspective, a possible failure of the European project would be attributed with good reason to German indecision.
Zu gut deutsch: So lange Deutschland an der exportorientierten Wirtschaftspolitik festhält, tickt in der Eurozone eine “Zeitbombe”.
Und wenn Berlin die fälligen Entscheidungen für einen Neustart der EU weiter behindert, wird es für das Scheitern des “europäischen Projekts” verantwortlich gemacht werden…
Andreas Moser
24. März 2017 @ 19:25
Es ist doch nicht die Schuld Deutschlands, wenn andere Länder keine Unternehmen haben, deren Produkte in aller Welt gefragt sind.
Was sollte die Bundesregierung dagegen unternehmen, dass Studenten in Bolivien auf Filzstifte von Faber-Castell stehen oder die Regenwaldabholzer in Brasilien auf Motorrsägen von Stihl schwören? In Südamerika (ich bin gerade hier, deshalb diese regionalen Beispiele) können Sie eine Tafel Ritter Sport für umgerechnet 3 Euro kaufen. Da stecken doch keine Exportförderung, keine Dumpingpreise, kein unlauterer Wettbewerb dahinter. Das ist sauteuer. Vielleicht kaufen die sowieso nur deutsche Touristen.
Und so gibt es Tausende von Beispielen, viele davon Mittelständler, die in einer Nische von Schrauben oder Dübeln oder Putzlappen Marktführer sind.
hintermbusch
27. März 2017 @ 20:49
Nein, es ist nicht die Schuld Deutschlands, aber daraus werden die Schulden der Anderen, also auf Dauer ein Geschenk Deutschlands. Da hilft alles nichts: keine Empörung, keine Wut, keine Vorwürfe.
Die einzige Maßnahme gegen dauerhafte Überschüsse ist Dolce Vita. Aber was tun, wenn die deutsche Obrigkeit nichts anderes kann, als die Untertanen zu immer mehr Wettbewerbsfähigkeit zu nötigen? Da liegt der Hase im Pfeffer: wir sind zu gefügig. Wir müssten ein größeres Stück vom Kuchen verlangen, uns mehr Kinder gönnen.
Andreas Moser
28. März 2017 @ 03:04
Dolce Vita ohne Kinder geht noch besser. 🙂 Mehr Geld für Zigarren, Bücher und Reisen (die dann auch wieder den Exportüberschuss verringern, wenn man sie, was man müsste, hineinrechnet.)
Johannes
24. März 2017 @ 14:34
Wenn ich als Deutscher zu mehr Solidarität mit Süd Europa gezwungen werde, werde ich die kleinen Parteimitglieder (SPD oder wer auch immer das beschliest) dazu zwingen, Solidarität mit mir zu zeigen.
Ihr zwingt mich für fremde Menschen arbeiten zu müssen, dann zwinge ich eure kleinen Parteimitglieder dazu, für mich genauso mitarbeiten zu müssen.
Deutschland hat mehr Geld als Süd Europa und soll deswegen zahlen? Schön, die meisten SPD Mitglieder haben mehr Geld als ich, also müssen die SPD Mitglieder (wenn ihre Partei mehr für den Süden zahlen will) für mich zahlen.
Ihr habt alle mehr Geld als ich, dann müsste ihr SPD oder Grünen Leute für mich zahlen.
Ja, das was ihr könnt, kann ich auch, und ich werde das machen, genauso wie ihr es machen wollt.
Herr Bonse, bitte schalten sie den Kommentar auf jeden Fall frei. Ich will das alle, die mehr Geld haben als ich, und mich zum zahlen für Süd Europa zwingen wollen, das alle lesen.
Ich meine das mittlerweile ernst. Ich werde das mit “euch” auch machen.
Ich weiß wo in meiner Stadt die SPD Mitglieder wohnen, ich weiß, die haben alle mehr Geld als ich.
Ihr zockt mich ab, ich werde eure kleinen Mitglieder abzocken.
Ihr brecht Recht und Gesetz, dann werde ich auch Recht und Gesetz brechen.
Ich lasse mich nicht mehr wie den letzten Dreck von der SPD behandeln!
hintermbusch
24. März 2017 @ 16:43
Beruhigen Sie sich! Warum konzentrieren Sie sich so auf die SPD?
Die Unterschiede zwischen SPD und CDU sind marginal, reine Stilfragen. Schulz will den ganzen Müll an “Wert”papieren in Eurobonds verwandeln, die dann später von der EZB monetarisiert werden müssen. Merkel lässt dagegen zu, dass die EZB schon heute die nationalen Bonds aufkauft, bald auch überproportional viele der Südländer. Das sind reine Stilfragen, kein Grund zu besonderer Aufregung. SPD-Wähler haben selten Ahnung von Anleihen und können deshalb schlichter betrogen werden. Das Betrügen der CDU-Wähler ist ein wenig komplizierter, weil mehr von ihnen im Finanzwesen aktiv sind. Für diese Klientel legen Merkel und Schäuble seit Jahren ihren Striptease hin. Vom Ende her betrachtet ist das Ergebnis aber vorhersehbar.
Peter Nemschak
24. März 2017 @ 17:01
Die derzeitige Kreditunion wird endgültig zur Transferunion, sobald die Kredite abgeschrieben werden müssen. Griechenland wird der erste Umwandlungsfall werden. Schon jetzt subventioniert der dumme Sparer notorische Schuldnerstaaten über die gemeinsame Währung. Hätten die Staaten eine eigene Währung, gäbe es längst prohibitive Zinsen für exzessives Schuldenmachen.
Peter Nemschak
24. März 2017 @ 10:59
@ebo Wenn Ihnen das nicht passt, könnte Hollande mit seinen Industriellen in Washington nachlegen oder noch besser der europäisch zuständige Juncker, wenn er europäsche Industrielle auftreiben kann. Abgesehen davon, gibt es derzeit auf nationaler Ebene Wahlkämpfe. Das Spannungsverhältnis national/supranational hat die EU seit den Römischen Verträgen begleitet und wird sie auch in Zukunft begleiten. Es wäre fast besorgniserregend, wenn es anders wäre.
mister-ede
24. März 2017 @ 10:04
Exportorientierung stört mich nicht, nur muss endlich gelten, wer Exportweltmeister sein will, muss eben auch Importweltmeister sein!
Noch wichtiger erscheint mir allerding, endlich die Gestaltung der EU entlang der neoliberalen Ideologie aufzugeben.
Peter Nemschak
24. März 2017 @ 10:27
Export- und Importweltmeister können sie nicht so einfach dekretieren. Was heißt neoliberale Gestaltung? Dirigismus wäre eine Sackgasse. Sind sie gegen Wettbewerb?
ebo
24. März 2017 @ 10:46
Merkel könnte einfach aufhören, deutsche Konzernmanager mit nach Washington oder Peking zu nehmen. Sie betreibt eine aggressive, nationale (also NICHT europäische) Exportpolitik.
GS
24. März 2017 @ 11:00
Ach, ebo. Das ist doch Alltagsgeschäft. Meinste, andere Regierungschefs reisen ganz allein? Da lachen doch die Hühner!
ebo
24. März 2017 @ 11:02
Es ist KEIN Alltagsgeschäft, wenn Merkel zu ihrem Antrittsbesuch in Washington ausschließe deutsche Konzernbosse mitbringt. Auch die deutsch-chinesischen Regieungskonsultationen sind keine Routine – sie stechen die EU und die anderen Mitgliedsländer in jeder Hinsicht aus.
Oudejans
27. März 2017 @ 17:44
>>”Merkel könnte einfach aufhören, deutsche Konzernmanager mit nach Washington oder Peking zu nehmen.”
Bonse… Sie senden die ganz falsche Botschaft! Sprechen Sie mir nach:
Deutsche Konzernmanager nehmen Merkel mit nach Washington oder Peking.
Peter Eschke
28. März 2017 @ 14:42
mister-ede, der Ausgleich der Handelsbilanz würde nur gelingen, wenn D die Zurückhaltung bei den Lohnzahlungen aufgeben würde. Die USA und die EU-Kommission haben ja schon darauf hingewiesen. In D will aber niemand unserer Eliten in Politik und Wirtschaft diesen Sachverhalt als das Haupübel anerkennen. Wir exportieren Arbeitslosigkeit in unsere Handelspartnerländer und wollen das nicht mal zur Kenntnis nehmen. Wer noch mehr Info dazu haben möchte: Hainer Flassbeck hat sich umfassend in Text und Vortrag dazu ausgelassen.
mister-ede
31. März 2017 @ 17:49
@Peter Eschke
Völlig richtig. Heiner Flassbeck war 10 Jahre lang Chefvolkswirt bei einer UN-Organisation, aber seitdem er “das Falsche” (aus Sicht des Großkapitals) sagt, wird er einfach ignoriert. Die neoliberalen Ideologen haben Verstanden, dass es vor allem um Deutungshoheit geht.
hintermbusch
24. März 2017 @ 08:05
Die Exportorientierung (also Unterkonsum und Übersparen) steckt uns Deutschen in den sozialen Genen. Auch die Schweiz mit ihrer eigenen Währung laboriert daran herum. Durch Jahrzehnte der Verschuldung in der Welt, vor allem in den angelsächsischen Ländern und in Südeuropa, ist dieses Problem kaschiert und das deutsche “Erfolgs”modell ermöglicht worden. Dorthin führt aber kein Weg zurück.
Alles das sieht der relativ naive Linksintellektuelle Habermas nicht. Er glaubt fest daran, dass sich das durch kurzfristige Politik ändern lässt, durch bürokratische Sozialklempnerei, durch wohltönende Phrasen, kurz, durch Schulzismus. Das ist eine Illusion, und der Versuch wird auch in schweren Konflikten enden.
Die anderen Länder müssen sich durch eine eigene Währung und möglicherweise auch Zölle dagegen schützen, dass Deutschland seine inneren Probleme exportiert. Umgekehrt haben natürlich auch die anderen Gesellschaften (Griechenland zum Beispiel) ihre inneren Probleme, die sie allzu leicht exportieren konnten. Alle gemeinsam wollten sie ihre Probleme in ein schwarzes Loch namens Euro exportieren. Das ist schiefgegangen. Es geht jetzt in erster Linie darum zu verhindern, dass wir uns deshlab den Schädel einschlagen. Ökonomisch und politisch knallen wird es in jedem Fall.
Peter Nemschak
24. März 2017 @ 09:51
Es braucht gemeinsame Ziele, die jedes Mitgliedsland auf seine Art und gemäß seiner Mentalität verwirklichen muss. Die ökologische Industrieführerschaft in der Welt anzustreben, wäre ein solches gemeinsames Ziel und würde auch den Exportanstrengungen Frankreichs zugute kommen. Ohne ein solches Projekt könnte Europa langfristig zum Technologienehmer und zur verlängerten Werkbank aufstrebender Industrienationen in Asien werden. Das Sparverhalten der Deutschen und anderer ähnlich sich Verhaltender zu ändern, ist verlorene Liebesmüh. Auch Schutzzölle und eine eigene Währung (Griechenland ausgenommen) wären keine gute Vorwärtsstrategie.
Oudejans
27. März 2017 @ 16:03
>>”Die Exportorientierung (also Unterkonsum und Übersparen) steckt uns Deutschen in den sozialen Genen. Auch die Schweiz…”
Spätcalvinistisches Flagellantentum. Genf – Berlin – Eindhoven.
Währenddessen Ultramontanisten, Orthodoxe und Papisten: Schnaps und Weiber.
Das sendet die ganz falsche Botschaft. Ganz falsche Botschaft.
Ganz falsche Botschaft!
Alexander
24. März 2017 @ 07:58
Bei Norbert Häring findet man einen lesenswerten Text über die Rolle des Sachverständigenrats:
http://norberthaering.de/de/27-german/news/800-wirtschaftsweise-merkantilismus
“Die Weisen spielen ihre Leier während Rom brennt.”
hintermbusch
24. März 2017 @ 08:54
Ja, Häring analysiert das immer hervorragend und unabhängig von Interessengruppen. Flassbeck hat auch einen guten Text zu Dijsselbloom als Spitze des Eisbergs der Misshandlung Südeuropas durch die Eurogruppe:
https://makroskop.eu/2017/03/der-noerdliche-sozialdemokrat-der-schnaps-und-die-frauen-im-sueden/