Wie die EU ihre „Soft Power“ verspielt
Zwei Kriege erschüttern die Welt – in der Ukraine und im Nahen Osten. Die EU könnte ihre viel gerühmte „Soft Power“ nutzen, um sie zu beenden oder wenigstens Einfluß zu nehmen. Doch sie setzt ihre Trümpfe nicht ein – der politische Wille fehlt.
Welche Trümpfe? Nun, es geht um den Handel und um die Sanktionen. Das sind – neben der Diplomatie und den Beitrittsverhandlungen – die stärksten Hebel, die gemeinhin zur europäischen „Soft Power“ gerechnet werden. Doch die EU setzt sie nicht ein, obwohl sie es könnte.
Im Falle Russlands hat sie zwar den Handel fast vollständig ausgesetzt und eine rekordverdächtige Zahl an Sanktionen erlassen. Doch die erwünschte Wirkung – ein Ende des Krieges – wurde nicht erzielt. Deshalb wäre es nun an der Zeit, umzudenken und umzulenken.
Das Handelsembargo und die Sanktionen bilden zusammen eine riesige Verhandlungsmasse, die die EU in Gespräche mit Moskau einbringen könnte. Nach dem Motto: „Wenn ihr dieses tut, werden wir jene Sanktion lockern oder aufheben.“ Doch Brüssel versucht es nicht einmal.
Noch mehr Trümpfe hat die EU gegenüber Israel und den Palästinensern in der Hand. Sie ist der größte Hilfsgeber für die Palästinenser und der wichtigste Handelspartner für Israel, mit dem es seit 2000 ein Assoziierungsabkommen gibt. Deutschland und Frankreich liefern zudem Waffen.
Gegenüber den Palästinensern hat die EU wiederholt ihre Trümpfe ausgespielt, gegenüber Israel noch nie. Brüssel hat es noch nicht einmal gewagt, das Assoziierungsabkommen auf Eis zu legen, obwohl Israel eindeutig gegen die in Artikel 2 verankerten Prinzipien (Menschenrechte) verstößt.
Von Sanktionen ist schon gar keine Rede. Dabei wären sie spätestens seit dem Angriff auf den Libanon fällig. Eigentlich aber schon seit dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs im Januar, wonach Israel das Risiko eingeht, einen Genozid in Gaza zu begehen.
Scholz und Orban schützen Netanjahu
Doch in Israel liefern die EUropäer lieber Waffen, bevor sie Sanktionen verhängen. In Russland setzen sie Sanktionen als Waffe ein. So wird die europäische „Soft Power“ verspielt und stattdessen auf eine „Hard Power“ gesetzt, über die die EU kaum verfügt.
Und warum ist das so? Weil der politische Wille fehlt. In der Ukraine- und Russland-Politik folgt man bisher frag- und klaglos den USA, in der Nahost-Politik sind die 27 heillos zerstritten – und Deutschland blockt alle Versuche ab, Israel zu strafen. Übrigens gemeinsam mit Ungarn…
Michael Conrad
10. Oktober 2024 @ 11:14
Wenn die Sanktionen doch gar nicht funktionieren, wie soll denn dann ihre Abschaffung eigentlich einen Hebel in Verhandlungen darstellen ? Russland hat sich ökonomisch ja gerade neue Kunden und Vertriebswege aufgebaut und es wäre ziemlich unklug diese wieder aufzugeben um den amerikanischen Vasallen entgegen zu kommen.
ebo
10. Oktober 2024 @ 12:19
Die Sanktionen funktionieren nicht in dem Sinne, den die EU wollte: Den Krieg beenden, Russland aushungern, die Wirtschaft crashen, Putins „Kriegskasse“ leeren etc.
Aber natürlich hat Russland ein Interesse an ihrem Ende – und sei es nur, um die Flugverbindungen wiederherzustellen, Gas und Öl zu liefern usw.
Shitkicker
11. Oktober 2024 @ 19:09
Aber mit welchem Ziel?
In die Türkei kommen die russischen Touristen doch auch aktuell per Flugzeug, https://www.skyscanner.com/routes/ru/tr/russia-to-turkiye-turkey.html . Meinste denen fehlt Spanien so sehr? Da man an der Quelle fürs Kerosin sitzt, sind auch längere Flüge nach Südafrika oder Südamerika subventionierbar.
Hattest nicht auch die Sicht vertreten, dass RU effektiv „entkolonialisiert“ wurde?
Klar, wünschen würde ich mir es auch dass sie uns noch bräuchten und wieder mit dem billigen Gas sowie Uran, soweit nötig Nuklearingenieuren/Professoren versorgten, aber China versorgt sie mit Maschinen, was brauchen die von uns noch?
Skyjumper
10. Oktober 2024 @ 15:11
@Michael Conrad
Russland hat zwar notgedrungen so gehandelt wie sie es beschreiben. Aber blöd sind die ja nun nicht. Diese recht einseitige Fokussierung auf China ist zwar derzeit nicht zu umgehen, aber sicher nicht das Wunschszenario Russland. Die Sanktionsaufhebungen sind durchaus eine starke Verhandlungsmasse.
Michael
9. Oktober 2024 @ 20:32
“Sanktionen” werden zur soft-power gerechnet? M. E. sind Sanktionen direkt und in ihren Konsequenzen reine Gewalt! Wie sagte doch Albright (sinngemäß) auf die Frage nach 500000 toten Kindern im Irak, als Folge westlicher Sanktionen: “it is a price to pay”!? War Albright evtl. Israelin?
ebo
9. Oktober 2024 @ 20:43
Sanktionen sind normalerweise ein Mittel der Außenpolitik. Damit soll Druck auf ein Land ausgeübt werden, damit es sein Verhalten ändert und/oder in Verhandlungen einsteigt. Mehr Sanktionen bedeuten in diesem Sinne mehr Verhandlungsmasse.
Im Fall der EU-Sanktionen gegen Russland geht es jedoch nicht um Diplomatie, sondern um einen Wirtschaftskrieg. Das ändert nichts daran, dass man die Sanktionen auch zurückfahren und als Verhandlungsmasse nutzen kann. Man muß es nur wollen!
KK
9. Oktober 2024 @ 22:24
Völlig egal, ob Sanktioonen soft sind oder nicht: Ohne UN-Mandat sind sie völkerrechtswidrig. Also nicht regelbasiert!