Wer will den “Polexit”?

Die Niederlande haben Ungarn im Streit um den Rechtsstaat nahegelegt, aus der EU auszutreten. Nun ist plötzlich auch vom Bruch mit Polen die Rede. Doch wer will den “Polexit”?

Die EU-Kommission hat sich “zutiefst besorgt” über das jüngste Urteil des polnischen Verfassungsgerichts gezeigt. Es hatte am Mittwoch geurteilt, dass die Anordnungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen Polens umstrittene Justizreformen nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar seien.

“Diese Entscheidung bestätigt unsere Besorgnis über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in Polen“, erklärte nun die Brüsseler Behörde. “EU-Recht hat Vorrang vor nationalem Recht. Alle Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, einschließlich der Anordnungen einstweiliger Maßnahmen, sind für alle Behörden und nationalen Gerichte der Mitgliedsstaaten bindend.”

Doch was, wenn Polen die EuGH-Urteile nicht oder nur noch bedingt anerkennt? Droht dann der “Polexit”, wenigstens in der Rechtsprechung?

Ich denke: nein.

Denn das polnische Verfassungsgericht ist nicht allein. Auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zweifelt EuGH-Urteile an – und behauptet, über die Zuständigkeit des höchsten EU-Gerichts werde in Berlin entschieden.

Der EuGH sei nämlich nur für jene Bereiche zuständig, für die die Bundesregierung der EU ein Mandat erteilt habe. Er könne sich keine “Kompetenz-Kompetenz” anmaßen. Ähnlich argumentiert man in Warschau, nur radikaler.

Die EU-Kommission hat deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, um Polen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Der Ausgang ist ungewiß, selbst Verfassungsrichter streiten über die richtige Auslegung der EU-Verträge. Je mehr Kompetenzen die EU an sich reißt, desto schwieriger wird die Debatte.

Klar ist immerhin, dass die Politik in Berlin und Brüssel kein Interesse an einem “Polexit” hat. Im Gegenteil: Die Bundesregierung hat sich gerade erst zur Zusammenarbeit mit Polen bekannt.

Und die EU-Kommission tut alles, um den Laden zusammenzuhalten. Behördenchefin von der Leyen sieht sich weniger als “Hüterin der Verträge”, denn als Garantin des Status Quo.

Dies zeigte sich zuletzt bei einem Treffen mit dem polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki in Brüssel: Die CDU-Politikerin sprach von “konstruktiven Gesprächen” und versprach Polen Milliardenhilfen aus dem Klimafonds.

Nach dem Brexit soll es keinen weiteren Austritt geben…

Siehe auch “Diese drei schweren Konflikte könnten der EU den Sommer verderben und “Erst die Bürger, nun die Eliten: Der Konsens ist futsch”

P.S. Auch die polnische Zeitung “Gazeta Wyborcza” glaubt, dass die EU den offenen Konflikt mit Polen meiden wird: “Wir sollten uns aber nicht der Illusion hingeben, dass Brüssel sich auf einen offenen Krieg mit der PiS-Regierung einlässt. Dies wollen weder EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, noch Kanzlerin Angela Merkel oder Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Die sicherste Art, einen weichen “Polexit” abzuwenden, ist deshalb die Mobilisierung der polnischen Bevölkerung und der Opposition, um Kaczynski und die PiS von der Macht zu entfernen.”