Wer steigt zuerst aus?
In Moskau hat die Fußball-WM begonnen – doch in Berlin und Frankfurt wohnen wir schon einer Art Endspiel bei. In Berlin zerlegt sich die CDU/CSU-Fraktion von Kanzlerin Merkel, in Frankfurt kündigt EZB-Chef Draghi den Ausstieg aus dem umstrittenen Anleihenprogramm an.
Wer steigt zuerst aus – Merkel oder Draghi? Das ist die Frage, die der Donnerstag überraschend aufgeworfen hat. In Berlin kämpft Merkel um ihre Mehrheit, denn die CSU verweigert ihr die Gefolgschaft in der Flüchtlingspolitik.
Die bayerische Schwesterpartei hat sogar eine Art Ultimatum gestellt. Am Montag soll im CSU-Parteivorstand eine Entscheidung fallen. Dann dürfte man wissen, ob Merkel weiter auf Zeit spielen kann – oder ob ihre Zeit abläuft.
Die Kanzlerin setzt auf eine „europäische Lösung“ bis zum EU-Gipfel in zwei Wochen. Die CSU fordert eine nationale Lösung mit Zurückweisungen an der (bayerischen) Grenze – die Landtagswahlen im Herbst fest im Blick.
So lange könnte es auch dauern, bis der Bruderzwist zwischen CDU und CSU gelöst wird. Demgegenüber gibt sich EZB-Chef Draghi noch bis zum Jahresende Zeit, um aus dem Anleihenprogramm auszusteigen.
Sogar noch länger – bis zum Sommer 2019 – dürfte es dauern, bis die Zentralbank auch die Nullzinspolitik beendet. Letztlich geht es um den Einstieg aus dem Ausstieg. Bei Merkel hingegen geht es jetzt schon ums Ganze.
Was das für die EU bedeutet? Wait and see. Wenn Merkel zuerst aussteigt und abdankt, dann rutscht Deutschland in die Krise. Wenn die EZB zu schnell aussteigt, dann könnte Italien in die Krise rutschen.
Aber viele Endspiele gehen in die Verlängerung – nicht nur im Fußball…
WATCHLIST:
- Der neue italienische Regierungschef Conte besucht nun doch Frankreichs Staatspräsident Macron. Zuletzt lagen sich beide wegen der Flüchtlingspolitik in den Haaren, nun wollen sie den EU-Gipfel vorbereiten…
WAS FEHLT:
- Entspannung im Handelsstreit mit den USA. Die EU-Staaten brachten am Donnerstag Vergeltungszölle im Umfang von 2,8 Mrd. Euro auf US-Waren auf den Weg. Sie sollen am 1. Juli kommen – wird Trump dann neue Zölle auf Autos verhängen?
Annette Matthias
15. Juni 2018 @ 15:33
Mir scheint das Problem eher in einem falschen Verständnis von Demokratie zu liegen. Ein System repräsentativer Demokratie bedeutet, dass die Abgeordneten/POlitiker nicht dem wie auch immer geäusserten Willen der Wähler hinterherlaufen, sondern – so jedenfalls das GG- nurihrem Gewissen verantwortlich sind. Was hindert sie daran, ihren Wählern endlich mal zu erklären, warum sie eine bestimmte Entscheidung treffen und warum das die einzig richtige ist. In einer Zeit, in der Erziehung immer mehr Facebook und ähnlichen Medien überlassen bleibt, trifft Politiker auch eine gewisse Verpflichtung, öffentliche Meinung in die richtige Richtung zu beeinflussen und das geht nicht dadurch, dass man populistisch beeinflusster öffentlicher Meinung hinterherläuft, sondern dadurch, dass man öffentliche Meinung in die richtge Richtung lenkt.
Peter Nemschak
16. Juni 2018 @ 16:30
Mir scheint, das erste, was die Politiker frühmorgens schon am Weg in ihr Büro lesen, sind die Meinungsumfragen vom Vortag: direkte Demokratie, wie sie nicht sein soll.
Oudejans
17. Juni 2018 @ 19:54
>>“das erste, was die Politiker frühmorgens“
D i e Politiker? Die Mutti aller Populisten sicher, da haben Sie sicher recht.
Die einfach auf einem Oppositionsticket infam weiterregiert.
D a s ist der Kardinalfehler und die Quelle des Übels.
Sie ist nicht die Queen. Ob zuerst sie begonnen hat, sich so zu fühlen oder zuerst die Presse begonnen hat, sie so zu behandeln („Wer soll es denn sonst machen?“), ist ein Henne-Ei-Problem.
Peter Nemschak
15. Juni 2018 @ 09:18
Die von Merkel geplante europäische Lösung (bilaterale Verträge zwischen den Mitgliedsländern) ist keine europäische Lösung, sondern schiebt bestenfalls das Flüchtlingsproblem vor sich her. Die Idee mancher Politiker Albanien zum Auffanglager zu machen, ist keine gute, weil sie eine ohnedies politisch und gesellschaftlich labile Region in Europa belasten würde. Um den inneren sozialen Frieden der EU und ihren europäischen Beitrittskandidaten zu sichern muss rasch eine Obergrenze, für die Aufnahme von Migranten, egal aus welchen Motiven, gezogen, im Gegenzug ein beschränktes Kontingent legaler Einwanderung zugelassen werden. Hier muss die EU den Mut haben, im Konsens über ihren Schatten zu springen. Alles andere ist Augenauswischerei und unfaire Quälerei für alle Beteiligten, insbesondere auch für die Menschen, die es nach Europa drängt und die sich falsche Hoffnungen machen. Die derzeitige europäische Unentschlossenheit arbeitet der extremen Rechten in die Hände. Die Sicherung der Außengrenzen ist nur eine, wenn auch entscheidende Maßnahme, um die von jedem Mitgliedsland autonom festzusetzende Obergrenze durchzusetzen. Die EU darf die Interpretation der Genfer Flüchtlingskonvention nicht migrationswilligen Personen und ihren Beratern überlassen, sondern muss sie als nächsten Schritt in Richtung Obergrenze selbst interpretieren und diese Interpretation auch öffentlich kommunizieren. Die Menschen diesseits und jenseits der Außengrenze der EU müssen wissen woran sie sind und was gilt. Das würde Unsicherheit von den Menschen und Wind aus den Segeln des Rechtspopulismus nehmen.