Weniger Europa
EU-Kritiker und Euroskeptiker können sich freuen: In den letzten Wochen hat Berlin eine heimliche Kehrtwende vollzogen. Die „immer engere“ Zusammenarbeit wurde begraben, der Rückbau begonnen. Gemeinsam mit dem britischen Premier Cameron schafft Kanzlerin Merkel nicht mehr, sondern weniger Europa.
Was geschah in der Zeit zwischen Mitte November und Mitte Dezember 2012? Mit dieser Frage dürften sich schon bald die Historiker beschäftigen. Denn wenn nicht alles täuscht, vollzog Merkel in dieser Zeit eine historische Kehrtwende.
Während der Eurokrise hatte sie monatelang „mehr Europa“ gepredigt. Seit Juni 2012 wurde der Ausbau der Eurozone in eine „vollständige“ Währungsunion vorbereitet, Finanzminister Schäuble kündigte Grundgesetz-Änderungen und Volksbefragungen an.
Und dann? Nichts. Zwar hielt Merkel am 7.11.12 noch eine vielbeachtete Rede im Europaparlament, bei der sie weitere Integrationsschritte ankündigte. Doch kurz vor dem EU-Gipfel im Dezember zog sie völlig überraschend alle Pläne zurück.
Im Rückblick hat sich die Kehrtwende in drei Etappen vollzogen:
- EU-Gipfel Dezember 2012. Kurz vor dem Treffen zieht Merkel ihre Zustimmung zum Ausbau der Währungsunion und zur Vertiefung der EU zurück. Zuvor hatte sie der Bankenunion die Zähne gezogen – und Ausnahmen für Deutschland durchgeboxt.
- Cameron-Rede Januar 2013. Der britische Premier fordert einen Rückbau der EU. Binnenmarkt und Wettbewerbsfähigkeit sollten künftig im Mittelpunkt stehen, sonst könnte UK aus der EU austreten. Merkel signalisiert Zustimmung.
- Budget-Gipfel. Cameron und Merkel setzen gemeinsam das erste Schrumpf-Budget der EU-Geschichte durch. Zugleich weiten sie die Rabatte der Nettozahler aus – und kürzen bei den Zukunftsinvestitionen.
Beim EU-Gipfel im Dezember mag man noch an eine Laune Merkels geglaubt haben. Doch die beschriebenen drei Ereignisse in kurzer Folge zeigen, dass es sich doch um mehr handelt – um eine 180-Grad-Wende in der Europapolitik.
Seither geht es nicht mehr vorwärts, sondern rückwärts. Merkel hat sich entschlossen, sowohl in der Eurozone als auch in der EU mit den europaskeptischsten Kräften zusammenzuarbeiten (Finnen und Niederländer im Euro, Briten und Schweden in der EU).
Gleichzeitig werden alle, die mehr Zusammenhalt und auch (finanzielle) Solidarität fordern, ausgebremst. Mag sein, dass dies vor allem wahltaktische Gründe hat; mit Europa und dem Euro lassen sich derzeit wohl keine Wahlen gewinnen.
Doch da die deutsche Opposition nicht dagegenhält (wieder mal, siehe “Diese Opposition ist Mist”) und Merkel ihre Allianz mit Cameron ausbaut (“Open Europe” spricht schon von einer britisch-deutschen Achse), ist auch nach der Bundestagswahl keine Rückbesinnung auf Europa zu erwarten.
Ab sofort heißt der inoffizielle Wahlkampfslogan von CDU/CSU/FDP/SPD und wohl auch Grünen: „Mehr Deutschland, weniger Europa“. Aber bitte nicht laut sagen, denn das ist politisch (noch) nicht korrekt…
Siehe zu diesem Thema auch: “Merkels neue Freunde” und “Was Cameron wirklich will (Merkel auch?)”
Jochen
17. Februar 2013 @ 19:43
Macht euch doch nichts vor: Europa war, ist und wird nie eine politische Idee sein, sondern nur eine rein ökonomische. Europa ist nichts als die Versuchsbühne der neoliberalen Theorie und die ist nichts anderes als Wunsch und Idee jener, die heute schon die Macht haben und sie sich sichern wollen. Natürlich haben deren Ölonomen auch nur zu genau gewußt, dass die allein auf finazwirtschaftliche Daten gerichteten Maastricht-Kriterien für keine Konvergenz, sondern nur für das Gegenteil sorgen würden und dass der Euro das Vehikel dazu sein würde. Die Finanzwirtschaft hat die Macht übernommen, Merkel und Schäuble sind nichts als deren Marionetten.Deshalb wird gerettet werden, noch und nöcher, solange das blöde Volk das Europa-Gesäusel nicht mit einem gewaltigen Schrei übertönt.
ebo
17. Februar 2013 @ 19:59
@Jochen Einspruch: Ursprünglich war die EU dazu gedacht, ein Wiederaufleben des deutschen Faschismus und ein Wiedererstarken konkurrierender nationaler Konzerne zu verhindern. Die Kohle- und Stahlunion hat genau dieses Ziel verfolgt. Mit dem Maastricht- und dem Lissabon-Vertrag wurde die EU jedoch in ihr Gegenteil verkehrt: eine Wettbewerbs- und Konkurrenzunion. Immerhin war der Euro noch als Konvergenzprojekt gedacht (daher auch die Konvergenzkriterien). Doch nun machen Merkel, Schäuble & Co. auch aus dem Euro ein neoliberales Experiment, das alle Mitglieder gnadenlos den Launen der “Märkte” aussetzt. Dies hat freilich seinen Preis, und den muss nun auch Deutschland zahlen, in Form von Hilfskrediten und “Rettungs”schirmen. Weil dies äußerst unbeliebt ist und bald gewählt wird, versucht Merkel nun, an anderer Stelle einen “Rabatt” zu erstreiten, z.B. beim EU-Budget…
Johannes
18. Februar 2013 @ 10:08
“Doch nun machen Merkel, Schäuble & Co. auch aus dem Euro ein neoliberales Experiment” – Ebo vergisst, das es ausgerechnet SPD und GRÜNE waren, die die Euro-Gesetze als Erste in Europa gebrochen haben und bisher alle Europläne von der CDU mitbeschlossen haben. DAS ist das große Problem, ALLE im Bundestag sind Euro-Träumer-Lügner oder Spinner …
Jochen
18. Februar 2013 @ 10:25
Ach, ebo: wäre es wirklich um die politischen Widrwärtigkeiten des Faschismus gegangen, hätte Frankreich etwa in seinen folgenden Konolialkriegen sich anders verhalten müssen, Vietnam und Algerien nur als Beispiel. Es ging schleicht darum über die Montanunion Deutschland kontrollieren zu können, natürlich zum eigenen Nutzen und Gasperi ist als Vertreter einer “sieger”macht aufgesprungen. Die ganze EU-Soße von Demokratie, von Parlamenten und Kommission ist reine Machtpolitik und deren Claquere sind auch die Profiteure, etwa grüne Abgepordnete, die im Parlament geparkt werden weil sich die Partei auf diese Weise die Pension sparen und auf die Steuerzahler verlagern kann. Es ist die politische Klasse, die von Europa profitiert und nicht das Volk, wie immer wieder gelogen wird.Da nützen auch die ganzen european studies und ähnliches Blendwerk nichts: die Institutionen verteilen Macht, Diäten und Pensionen, also den Kern Europas. Das Volk darf nur “wählen” : Leute abnicken, die als Parteisoldaten die Wohlfühlfanfare blasen sollen und das auch tun.
H.Ewerth
16. Februar 2013 @ 13:23
Es ist schon ungewöhnlich, in einer so aufgeklärten Welt, die Probleme nur bei Europa sehen zu wollen. Halten wir einmal fest, erst mit der massiven Deregulierung der Finanzmärkte durch die Regierungen, in den 70ziger und 80ziger Jahren, wurde 2007/08 die Finanzkrise ausgelöst.
Weil einige kriminelle die Deregulierung dazu genutzt haben, zu betrügen. Statt aber die Verantwortlichen endlich anzuklagen und zu verurteilen, und die Finanzmärkte endlich wieder zu regulieren, wurde nach nunmehr 6 Jahren was erreicht? Stattdessen werden kleine Länder in der EU für die Probleme verantwortlich gemacht. Obwohl viele dieser Länder vor der Krise weniger Schulden und ausgeglichene Haushalte hatten als zum Beispiel Deutschland?
Hinzu kommt dass Deutschland in Europa seit der Euroeinführung alles niederkonkurriert hat, weil sich die kleinen Länder nicht mehr wehren können. Hätte Deutschland nicht den größten Niedriglohnsektor Europas aufgebaut, hätten die kleinen Länder vielleicht eine Chance gehabt, gegen die größte Volkswirtschaft in Europa bestehen zu können. Nicht Europa ist schuld, schon garnicht die sog. kleinen Länder in der EU” sondern weil die Ursachen nicht bekämpft werden, sondern nur die Symptome.
ebo
16. Februar 2013 @ 22:38
Nun ja, vielen kleinen Ländern geht es in der Tat schlecht im deutschen Europa. Sogar die Niederlande leiden! Doch dass Merkel nun ausgerechnet mit Cameron gemeinsame Sache macht, ist schon bitter. Fast könnte man meinen, ihr Ziel sei, Frankreich an den Rand zu drängen… Dies wäre allerdings eine Katastrophe für Europa.
Johannes
17. Februar 2013 @ 03:16
“Nicht Europa ist schuld, schon garnicht die sog. kleinen Länder in der EU” ” – Nicht, aber genau diese Länder haben zu viel Geld ausgegeben. Die Schuld von denen ganz zu nehmen halten ich für falsch. Du sprichst es doch an, die Symtome werden leider nur bekämpft, aber zu der Ursachen gehört auch ein Lebenswandel, den man sich in Süden hätte nicht leisten dürfen. Der Süden konnte sich vor dem Euro weniger leisten, nur weil eine andere Währung da war, “gönnte” man sich mehr. Wäre der Euro nicht, der Süden wäre besser dran … aber man wollte um jeden Preis im Club dabei sein … .
Ursachen bekämpfen, das sind die Banken, oder? Ebo schlägt hier im Blog fast täglich die Bankenunion vor und das Banken direkt aus dem ESM gerettet werden, das Spielchen der Bankster geht damit weiter, Rettungen ohne Ende! Wie stehst du so solchen Blankochecks für die Bankster wenn du die Ursachen bekämpft haben willst?
Johannes
16. Februar 2013 @ 03:04
Die EU braucht eine große Reform, sonst ist sie am Ende. In Brüssel wie auch in diesem Blog hat man noch nicht begriffen, dass eine neue Zeitrechnung begonnen hat, in der der Bürger nicht mehr alles mit macht nur weil EU/EURO/EUROPA draufsteht. Ebo, auch Du meinst noch immer, “Ihr” könntet in Brüssel weiter so regieren wie vor der Eurokrise. Du und die Politiker haben nicht begriffen oder wollen nicht einsehen, dass man endlich liefern muss, das, wovon man ständig spricht, mehr Demokratie und Gerechtigkeit. Stattdessen forderst du die Bankenunion und Euro-Bonds die weniger Demokratie und Transparenz bedeuten. Wann werdet ihr da in Brüssel UNS BÜRGER WIEDER ERNST nehmen, wann?
Ludwig Buechner
15. Februar 2013 @ 14:52
Hallo Herr Bonse,
da überschätzen Sie glaube ich, die Sache ein wenig. Merkel macht nichts anderes als im Inneren auch: Sie geht in Opposition zur Regierung. Dieses Konzept ist so unglaublich erfolgreich, dass man es jetzt praktisch jeden Tag zu sehen bekommt. Nicht mehr nur die FDP ist in vielen Punkten gegen die Bundesregierung, nein, die BK’in ist jetzt selbst dagegen.
Wenn wir uns in Europa so ein wenig umschauen ist ja bald jede Regierung dagegen, währen in den stillen Beamtenkämmerlein unverdrossen die Dinge ihren Gang gehen, das Freihandelsabkommen vorbereitet wird, die Sparanstrengungen ein ums andere mal erhöht werden usw…. Aber: Alle waren im Widerstand.
S.a. Seehofer gegen Studiengebühren etc.
ebo
16. Februar 2013 @ 10:39
@Ludwig Buechner Das ist ja mal ein witziger Kommentar. Merkel, die Regierungschefin, geht auf Opposition zu ihrer eigenen Regierung??? Das heißt nichts anders als dass sie nicht weiß was sie will, und das ihre bisherige Politik falsch war. – Was das Freihandelsabkommen angeht, so hat dies Merkel ebenso entscheiden vorangetrieben wie die Spardiktate. Jetzt bekommen wir die Rechnung – in Form einer tiefen Rezession, die womöglich auch Deutschland erfasst…
ludwig buechner
17. Februar 2013 @ 23:19
@ebo
Veralbern kann ich mich alleine. Merkel will die Bundestagswahl gewinnen, nicht die Europa Wahl. Darum werden wir die nächsten 6 Monate sehen wie sie auf Distanz geht, wie sie gegen die EU Institutionen und die Bürokratie meckern wird. Sie macht da nichts falsch. Sie ist da einfach nur im Widerstand gegen alles was den Deutschen gerade nicht passt. So wie Frau Aigner, die eigentlich schon am Montag zurücktreten müsste, gerade ihr eigenes Amt kritisiert, strengere Kontrollen fordert, die sie jahrelang behindert hat und sich an die Spitze der Bewegung gegen sich selbst setzt.
Asymetrische Demobilisierung ist out. Widerstand ist in. Easy as f.—, wie manche gerne sagen. Warum dauert es immer solange bis so ein Themechange auffällt ?
Tim
15. Februar 2013 @ 13:16
Weder Finnen noch Niederländer noch Briten noch Schweden sind “europaskeptisch”. Muß man denn jeden technokratischen Unsinn mitmachen, um heutzutage als “europafreundlich” zu gelten? Mit dem Maßstab müßte man heute dann wahrscheinlich auch Ralf Dahrendorf als Euroskeptiker bezeichnen, der bekanntlich wie Finnen, Niederländer, Briten und Schweden stark auf eine föderale EU setzte. Dieses Konzept hat trotz der zentralistischen Anstrengungen Frankreichs hoffentlich noch eine Chance, denn nur eine förderale EU kann ein Erfolg werden.
ebo
16. Februar 2013 @ 10:36
@Tim Schau Dir mal folgende Parteien an: UKIP und tories in UK, Die Wahren Finnen in Finnland, G. Wilders Freiheitspartei in NL. Euroskeptisch ist für viele dieser Parteien noch eine milde Umschreibung. Für ein föderales Europa ist keine dieser Bewegungen. Dahrendorf wäre entsetzt über den aktuellen Zustand der EU, genau wie es Habermas heute ist…
Tim
18. Februar 2013 @ 10:17
Dahrendorf war entsetzt über den Trend, immer mehr Kompetenzen nach Brüssel zu verschieben und immer mehr zentral zu regeln. Wenn dieser Trend nicht bald gestoppt wird, werden wir auch in anderen EU-Ländern immer mehr Radikalkritiker wie die von Dir genannten bekommen.
UKIP & Co. sind nur das Symptom einer Krankheit, deren Ursache aber bei den EU-Zentralisten zu suchen ist.