Bundestagswahl: Mehr Alternativen als bei der Europawahl
Die Parteien haben ihre Programme für die vorgezogene Bundestagswahl vorgestellt. Sie sagen wenig zur EU – bieten aber doch mehr Auswahl als bei der Europawahl.
Erinnern Sie sich noch? Bei der Europawahl im Juni sind die damaligen Koalitionspartner SPD, Grüne und FDP, aber auch CDU/CSU mit kaum unterscheidbaren Programmen angetreten.
Kanzler Scholz posierte mit Ex-Ministerin Barley am Schachbrett der Weltpolitik, während die CDU ihre Spitzenkandidatin von der Leyen vor den Wählern versteckte – sie war ohnehin “gesetzt” und de facto alternativlos.
Nur das damals noch neue BSW ließ mit Forderungen nach einem Ende des Blutvergießens in der Ukraine aufhorchen, was ihm einen Achtungserfolg verschaffte und S. Wagenknecht europaweit bekannt machte.
Sechs Monate später schweigen sich die etablierten Parteien fast völlig zur EU-Politik aus. In Brüssel bzw. Straßburg sind sie eine ganz große Koalition eingegangen, da gibt es kaum noch Unterschiede.
Allenfalls bei der Migration kann man die Grünen vom Rest unterscheiden – sie wollen eine menschlichere Politik, tragen aber dennoch die neue EU-Kommission mit deren Abschottungs-Programm mit.
Der große Ausreißer ist die AfD. Spitzenkandidatin Alice Weidel will – anders als alle anderen Parteien im Bundestag – einen Austritt aus der EU, dem Euro und dem Pariser Klimaabkommen.
Das BSW ist sich treu geblieben, sticht aber nicht mehr so sehr heraus wie bei der Europawahl. Die Linke fordert, die Nato durch „eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur für Europa“ zu ersetzen.
Alles für die Ukraine?
Mehr Auswahl als im Juni gibt es bei der Ukraine-Frage, um die sich in Brüssel (fast) alles dreht. So fordern CDU/CSU weiter “Feuer frei”, auch wenn Kanzlerkandidat Merz bei Taurus ein wenig zurück gerudert ist.
Im Wahlprogramm wird der Ukraine viel versprochen. Allerdings ist nicht mehr von “allen erforderlichen Waffenlieferungen” die Rede, wie “Welt”-Journalist R. Alexander festhält. Auch hier scheint sich ein wenig Realismus breit zu machen.
Demgegenüber sind die Grünen wohl endgültig zur Truppe der bedingungslosen Ukraine-Krieger mutiert. Die SPD bleibt ihrem Noch-Kanzler treu und setzt sich in dieser Frage deutlich von CDU/CSU und Grünen ab.
Kein Friedensplan
Einen eigenen Friedensplan hat “Friedenskanzler” Scholz aber auch nicht, aller Wahlkampf-Rhetorik zum Trotz. Die einzige Partei, die öffentlich über eine Friedenslösung diskutiert, ist weiter das BSW.
Und die FDP? Hat sie überhaupt ein Programm? Ja – sie will “Europa. Einfach. Machen”. Was nach der Blockade bei vielen EU-Gesetzen und der Verweigerung von Finanzmitteln wie ein Hohn klingt.
Vor allem aber wollen die Liberalen die EU massiv aufrüsten – mit Strack-Zimmermann. Das Europaparlament hat ihr dafür nun sogar einen vollwertigen KriegsVerteidigungs-Ausschuss eingerichtet…
P.S. Der X-Chef und Multi-Milliardär E. Musk greift in den Bundestagswahlkampf ein. “Nur die AfD kann Deutschland retten”, postete der Berater des designierten US-Präsidenten Donald Trump am Freitag und erhielt umgehend Lob von AfD-Chefin Alice Weidel. Diese schrieb in einer englischen Antwort an Musk auf X daraufhin unter anderem, dass die “Sowjetische Europäische Union” die deutsche Wirtschaft zerstöre. Ist nun auch die Bundestagswahl gefährdet, so wie in Rumänien? Dort spielte TikTok eine wichtige Rolle – allerdings sollen keine Amerikaner, sondern Russen dahinter stecken…
Arthur Dent
20. Dezember 2024 @ 13:40
@european
Im Außenhandel sollte man durchaus mal in „Real Terms“ denken, nicht nur in Geld.
Beispiel: Du lieferst eine Luxuskarosse in die USA, im Gegenzug bekommst du ein Bündel grün bedrucktes Papier. Und mittlerweile immer weniger Papier, weil der Euro mittlerweile so weich ist, wie seinerzeit die Lira.
Ute Plass
20. Dezember 2024 @ 12:01
Hier wird sich Gedanken gemacht über eine “Demokratie von morgen”
https://www.youtube.com/watch?v=qmS5ROpooUw&t=195s
Nichts davon in den sog. Leitmedien, vermutlich weil “die falschen Leute” sich da Gedanken machen!
european
20. Dezember 2024 @ 09:46
Am Ende ist alles Wahlpropaganda und nichts weiter als Schall und Rauch. Nach der Wahl verschwinden alle Vorsaetze wieder in der Mottenkiste der Geschichte und man geht ueber zum Business as usual, einem Europa der Einzelkaempfer. Wichtig ist nur, dass “wir” gut aus der Krise kommen. Same procedure as always.
Keine der Parteien hat auf dem Schirm, dass es in diesem Buendnis, insbesondere der Eurozone, nur gemeinsam geht, was u.a. bedeutet, dass wir zu einem System der einigermassen ausgeglichenen Handelsbilanzen kommen. Voraussetzung dafuer ist ein angemessenes Lohnniveau, wo insbesondere die Ueberschusslaender einen enormen Bedarf haben. Gesprochen wird vom Gegenteil.
Die Kernfrage wird ueberhaupt nicht angeruehrt. Was ist das oekonomische Konzept des Kontinents, der ueber keine nennenswerte Rohstoffe aber ca. 450 Mio Einwohner verfuegt? Womit wollen wir unsere Broetchen verdienen? Was ist der Plan? Wer investiert und worin? Die Austeritaet hat enormen Kahlschlag in den Laendern verursacht. Wer kuemmert sich darum, sichtlich falsche oekonomische Entscheidungen nicht nur zu bekaempfen, sondern zurueckzunehmen?
Nichts ist klar, aber wenn jetzt wieder einige Laender sich zu Lasten der anderen gesundstossen, wird es den Rechtsdrall weiter befoerdern und letztlich zum Bruch fuehren. Europa muss man nicht machen, man muss es erst einmal denken koennen und daran scheitern viele, ganz vorn uebrigens die FDP mit ihrem oekonomischen Nonsense.
Es sieht nicht gut aus.
Helmut Höft
20. Dezember 2024 @ 10:03
FACK!
“Die Kernfrage wird ueberhaupt nicht angeruehrt. Was ist das oekonomische Konzept des Kontinents, …? Womit wollen wir unsere Broetchen verdienen? Was ist der Plan? Wer investiert und worin? Die Austeritaet hat enormen Kahlschlag in den Laendern verursacht. Wer kuemmert sich darum, sichtlich falsche oekonomische Entscheidungen nicht nur zu bekaempfen, sondern zurueckzunehmen?”
Stattdessen halten sie an falschen Vorstellungen vom Geld fest was zu einer falschen Politik auf allen Feldern führt. https://www.hhoeft.de/mythos/index.php/2024/12/15/schon-wieder-was-ist-geld-wo-kommt-es-her-wo-geht-es-hin-was-passiert-dazwischen/
“It’s the economy, stupid!” mC But “to do” economy you have ti know something about it!
european
20. Dezember 2024 @ 11:05
@Helmut
Genau so. Wir verstehen das Geldsystem nicht, deswegen denken wir unsere Oekonomie ohne Geld. Wir verstehen den Binnenmarkt nicht, deshalb denken wir ihn ohne accounts. Wir machen einfach alle Ueberschuesse und sanieren damit unsere Haushalte. Wir suchen uns alle ein Ausland, das die Investitionen uebernimmt, damit wir keine Schulden machen. Wirtschaftswachstum muss schliesslich ohne eigene Investitionen funktionieren. Wo kaemen wir denn da hin?
Ja, genau so machen wir es und unser gefuehltes Finanzgenie wird uns durch die Stromschnellen der internationalen Maerkte leiten 😉
Stef
20. Dezember 2024 @ 08:53
Kurze und sehr gute Analyse!
Die Systemparteien haben nach der Europawahl gelernt, dass sie bestraft werden, wenn sie das politische Spektrum nicht besser mit ihren Wahlangeboten abdecken. Dennoch sollte man sich keinen Illusionen hingeben: Was vor der Wahl erzählt und versprochen wird, spielt nach der Wahl keine große Rolle mehr. Nicht etwa, weil die gewählten Politiker nicht Willens wären, ihre Versprechen auch einzuhalten. Ich behaupte, dass das politische Betriebssystem in Deutschland und der EU sich soweit zu einem undurchdringlichen Rahmen verdichtet hat, dass die Spielräume für nationale Politikgestaltung kaum noch vorhanden sind. Das ist genau der Zweck der EU, den sie auch mit Bravour erfüllt. Bestes Beispiel dafür sind die auf deutschen Druck inzwischen kaum noch vorhandenen Spielräume für staatliche Finanzierungsprogramme durch Schuldenbremsen, Fiskalpakt und politische “Oberaufsicht” durch die EZB. Ohne Geld gibt es keine politische Gestaltung.
Bedenkt man dabei noch, dass die EU, im Gegensatz zu ihren Mitgliedsländern, ein krasses Demokratiedefizit hat, muss man diese Struktur als eine absichtliche Unterhöhlung der Demokratie bezeichnen.
Und genau das wird m.E. nach der Wahl übrig bleiben: Die Parteien machen ein kurzes und knackiges Wahlkampffeuerwerk. Nach der Wahl wird eine pragmatische Koalition gebildet. Unabhängig von deren Zusammensetzung wird sich die politische Ausrichtung kaum von derjenigen der Ampel oder der vorherigen GroKo unterscheiden.
Auch wenn ich nicht wirklich glaube, dass sich dieser Befund bei einer Regierungsübernahme oder auch nur -beteiligung von AfD und BSW grundlegend ändern würde, es ist dieser Umstand, der den beiden “nicht-Systemparteien” Auftrieb beschert.
Ich glaube aber auch, dass sich unser politisches System nicht einfach durch herkömmliche parlamentarische Politik wieder zu einer wirksamen demokratischen Struktur zurück (oder weiter) entwickeln lässt. Dazu sind die nationalen Parlamente inzwischen zu entmachtet. Diese Blockade wird uns in Europa noch viel Kopfzerbrechen und Probleme verursachen. Lösen müssen wir sie, oder uns mit einem zunehmend autoritären politischen System abfinden. Und hier habe ich zunehmend Sympathien für die Forderung nach einem Ende der EU und euro, wie wir sie heute haben. Oder eben für einen Austritt.
Guido B.
20. Dezember 2024 @ 10:33
Sehe ich ähnlich.
Man sollte allerdings die Möglichkeiten einer Demokratie auch nicht überschätzen. Letztlich steht die Souveränität des demokratischen Nationalstaates immer im Widerspruch zur „regelbasierten Ordnung“ des Neoliberalismus. In dieser Ordnung haben die Interessen von Großinvestoren und Großkonzernen generell Vorrang. Die Regulierung und Normierung der Märkte soll in erster Linie deren Gedeihen fördern. Gebremst wird nur bei allzu dreisten Kartell- und Monopolkonstrukten. Es ist die Aufgabe und der Zweck der EU, die Souveränität der Nationen zu beschneiden. Von der EU kann man vieles erwarten, aber sicher nicht mehr Demokratie und Frieden.