Wende oder Willkür
Paris erhält zwei Jahre Aufschub zur Erfüllung der EU-Defizitziele, Rom jedoch nicht. Dies sorgt für neuen Ärger. Ist dass nun die lang ersehnte Trendwende, wie Frankreichs Finanzminister Moscovici glaubt? Oder reine Willkür?
“Das Ende des dummen Europas”, überschreibt die französische Zeitung “Le Monde” einen Artikel zum neuen Budgetstreit. Endlich werde der Stabilitätspakt, den Ex-Kommissionspräsident Prodi als “dumm” bezeichnet hatte, intelligent ausgelegt.
Auf den ersten Blick könnte man dies tatsächlich glauben. Wegen der schlechten Konjunktur erhalten Spanien und Frankreich zwei Jahre mehr Aufschub zur Einhaltung der Drei-Prozent-Grenze beim Budgetdefizit.
Italien und Belgien hingegen können nicht auf Nachsicht aus Brüssel hoffen. Währungskommissar Rehn fordert von Rom, die drei Prozent schon dieses Jahr zu erreichen, den Belgiern droht sogar ein Defizitverfahren.
Dabei steckt Italien genau wie Spanien in der Rezession, Belgien kratzt genau wie Frankreich an der Grenze zum Nullwachstum. Alle zusammen leiden am einseitigen Sparkurs in Europa und unter steigender Arbeitslosigkeit.
Wieso werden Frankreich und Spanien dann anders behandelt? Weil sie die geforderten Strukturreformen umsetzen und ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, heißt die offizielle Antwort aus Brüssel.
Strukturreformen dämpfen das Wachstum
Aber das tun Belgien und Italien auch. Zudem werden die Strukturreformen, die auf eine Agendapolitik nach deutschem Muster hinauslaufen, das Wachstum dämpfen und den Schuldenabbau weiter erschweren.
Am Hauptproblem Frankreichs – dem Wegfall seiner traditionellen Absatzmärkte in Südeuropa – ändern sie nichts. Am Hauptproblem Spaniens – der extrem hohen Arbeitslosigkeit – auch nicht.
Und wie sich die Wettbewerbsfähigkeit entwickelt, weiß niemand, denn dafür gibt es keine allgemein anerkannte Kriterien. Hinter den Kulissen streiten sich Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande sogar darum, ob und wie man sie messen kann.
Die unsichere Datenlage und die noch unsicheren Prognosen, mit denen Rehn zuletzt immer falsch lag, machen die gesamte “Economic Gouvernance” der EU angreifbar.
Am angebotspolitischen Mantra wird nicht gerüttelt
Sie ist nun vielleicht weniger dumm, dafür aber umso politisierter. In Deutschland schimpfen FDP-Fraktionschef Brüderle und CDU-Haushälter schon lauthals über das “Geschenk” an Paris.
Finanzminister Schäuble nahm Frankreich zwar heute in Schutz. Doch auch er beharrt auf Strukturreformen. Am deutschen Mantra der exportorientierten Angebotspolitik wird nicht gerüttelt.
Im Grunde werden nur die Akzente ein wenig verschoben – und das auf völlig intransparente Weise…
Siehe zu diesem Thema auch “Das Phantom der Euroretter”
photo credit: ALDEADLE Alliance of Liberals and Democrats for EU via photopin cc
Mira
8. Mai 2013 @ 14:29
Dass eine wachsende Bevölkerung auch mehr erwirtschaften, ergo wachsen muss, um ihren Wohlstand zu halten oder zu erhöhen, würde ich mal als selbstverständlich ansehen.
In der Summe bestimmt das natürlich Konsum und Investitionen, aber die schlagen sich eben auch in der Aggregatsbetrachtung nieder.
Der Schüleraufsatz im verlinkten Gewerkschaftsblatt umschifft solche Details natürlich gekonnt, und auch die eigenwillige Wahl des Vergleichszeitraumes hinterlassen bei kritischer Betrachtung einen fragwürdigen Eindruck.
Das die Geburtenrate in Frankreich nach wie vor relativ hoch ist, ist bewundernswert und sollte in Deutschland (Stichwort Familienpolitik) genauer studiert werden. Ihre Begründung dafür scheint mir aber etwas eigenwillig zu sein, da die BRD weder ein Niedriglohnland (PPP-Einkommen liegen im Spitzenbereich) im Schnitt wohlhabender und auch egalitärer als Frankreich ist, und das trotz Wiedervereinigung.
Robert
9. Mai 2013 @ 18:47
Aber das mit dem Wachstum kann man ja schlecht steuern. Die Investitionen sind die Voraussetzung von Wachstum, nicht die Folge.
Der Vergleichszeitraum ist doch ganz gut gewählt. Man hätte natürlich direkt mit dem Jahr der Wechselkursanpassung beginnen können, nämlich 1999, aber das eine wird es wohl nicht fett machen.
Meine Erklärung für die bessere Geburtenrate wäre, unter anderem, die gute Lohnentwicklung. Wenn man Einkommenszuwächse erwartet, dann denkt man wohl eher über ein Kind nach als bei stagnierenden bis sinkenden Einkommen. Ich glaube nicht, dass in Südeuropa zur Zeit eine Bevölkerungsexplosion zu erwarten ist.
Skalg
8. Mai 2013 @ 07:18
Am Ende liegts vielleicht an der politischen Handlungsfähigkeit 😉
Johannes
7. Mai 2013 @ 19:50
Die Welt meldet “Die EZB prüft offenbar den nächsten Tabubruch: Sie will Banken in Krisenländern verbriefte Kredite abkaufen – und riskiert damit hohe Verluste, für die am Ende der Steuerzahler aufkommen müsste. ” Langsam reicht es, das ist ja fast schon Krieg was die EZB da plant.
Robert
8. Mai 2013 @ 08:03
Für Verluste der EZB muss nicht zwangsläufig der Steuerzahler aufkommen. Die können auch einfach in deren Büchern stehen bleiben.
Wenn man im Jahr 4 der Krise nicht mal ein bisschen zweifelt, ob denn Austerität vielleicht doch nicht die Lösung ist, der wundert sich natürlich, wenn die EZB extremste Maßnahmen ergreift um die Scherben der Politik zu beseitigen. Sonst fehlt ihr vielleicht bald ihre Daseinsberechtigung, der Euro.
Hyperlokal
7. Mai 2013 @ 16:39
Lasst Zahlen sprechen:
http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_pb_1_2010.pdf
Frankreich ist besser als Deutschland
GS
7. Mai 2013 @ 20:25
Der größte Teil der Ergebnisse dürfte sich in Luft auflösen, wenn man die unterschiedliche Bevölkerungsdynamik beachtet. Wirtschaftswachstum pro Kopf z.B. war in Frankreich nicht höher als in Deutschland.
Mira
7. Mai 2013 @ 23:12
Das Prokopfwachstum seit 2000 war in D tatsächlich höher und wird in der Tendenz wohl auch in absehbarer Zeit höher bleiben.
Hyperlokal
8. Mai 2013 @ 12:18
@GS
Versteh den Einwand nicht. Was soll das Wirtschaftswachstum pro Kopf jetzt so isoliert aussagen?
Es kommt doch auf die summarische Bewertung aller Entwicklungen an, z.B. Investitionsvolumen, Beschäftigung, Konsum, etc. Also da einfach irgendeine Zahl in die Diskussion werfen und damit die ganze Studie widerlegen zu wollen, das reicht wohl kaum.
Wie heißt es z.B. in der Studie: “Anders als Frankreich mit steigender Erwerbsbevölkerung konnte Deutschland seine Arbeitslo-
senquote trotz zuletzt sinkender Erwerbsbevölkerung nur leicht reduzieren.”
Genau so ist es. Was uns das ZDF-Heute-Journal dagegen jeden Tag verklickern will, ist doch Blödsinn. Von wegen bei uns brummt die Konjunktur, wir hätten die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpft, wir seien Spitze in Europa, bla bla”. Höchsten beim Sozialdumping. Das ist öffentlich-rechtliche Propaganda zugunsten des erhofften Wahlerfolges der CDU. Das wollen die dort mit 500000€ Jahresgehalt beschäftigten Nachrichten-Moderatoren doch nur weismachen, damit sie noch möglichst lange ihre von ihrer Eloquenz abhängigen Pfründe sichern können.
Natürlich ist die Bevölkerungsdynamik in beiden Ländern unterschiedlich. In Frankreich werden wesentlich mehr Kinder geboren als in Deutschland. Auch da liegt Frankreich vorne. Weil man es sich dort im Moment noch leisten kann, Kinder zu bekommen, Im Niedriglohnland Deutschland dagegen nicht mehr.
Langfristig strategisch steht Frankreich im Moment noch wesentlich besser dar. Natürlich nicht mehr lange. Der Druck, den deutschen Unsinn zu übernehmen wird immer stärker. Ist ja klar, wir können die Südeuropäer im Moment wunderbar intellektuell ausbluten lassen, um unser Exportmodell mit Hilfe von deren Fachkräften noch ein paar Jahre länger durchzuquetschen.
Also nochmal, was soll dieser Wirtschaftswachstum pro Kopf-Vergleich? Und wenn, dann verlief er ja immerhin noch parallel? Oder? Wir sind also diesbezüglich jedenfalls nicht besser..
mira
7. Mai 2013 @ 15:46
Ebo,
“Frankreich hat das Problem dass seine Märkte in Südeuropä wegbrechen”
und
” In übrigen war dort immer die Binnennachfrage der Hauptmmtmp, nicht der Export.”
==> ???? Hää ????
Dieses ominöse Exportmodell, was man Dtl. immer andichtet, halte ich ja eher für ein Artefakt, das in erheblichem Maße dem Euro geschuldet ist, und in der Anfangszeit quasi die spiegelbildliche Entwicklungen zu gewissen anderen Ländern der EZ darstellte.
Ebo, es geht bei den momentanen Entscheidungen ja gerade darum ein neues Gleichgewicht zu finden, wo zB Frankreich nicht mit fragwürdiger Finanzpolitik seine “Binnenkonjunktur ” unterhält, die nicht nachhaltig ist und primär durch das Auftürmen von Schulden im In- und Ausland zustande kommt.
ebo
7. Mai 2013 @ 16:03
@mira
Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss beträgt lt. EU-KOM 6 Prozent. Es soll auf diesem hohen Niveau verharren. Die ganze Ideologie der Wettbewerbsfähigkeit zielt nur auf die Steigerung der Exporte. Wenn Deutschland mal aufhören würde, ganz Europa mit seinen Überkapazitäten der Aotomobilindustrie vollzuschütten, wäre Frankreich gewiß bereit, ein paar mehr Renaults oder Citroes zu exportieren. Belgien übrigens auch. Es hatte bis vor ein paar Jahren pro Kopf noch die größte Autoproduktion, doch nun macht ein Werk nach dem anderen zu – die Hersteller konzentrieren sich auf den größten Markt Deutschland…
Johannes
7. Mai 2013 @ 18:53
“Wenn Deutschland mal aufhören würde, ganz Europa mit seinen Überkapazitäten der Aotomobilindustrie vollzuschütten” – Die dt. Autos verkaufen sich im Ausland besser als in der EU, Stichwort China. Deutsche Autos sind teuer, Europa ist immer uninteressanter. Aber auf den dt .Autos bleiben die Hersteller dennoch nicht sitzen. Dieses ewige “Deutschland ist an allem schuld” nervt nur noch.
Robert
7. Mai 2013 @ 17:21
@Mira
Da ist nichts angedichtet. Im Jahr 1999, dem Beginn der Wechselkursanpassung, betrug der Exportanteil am BIP 25% und im Jahr 2012 ca. 50%. Das ist aber nicht das eigentlich wichtige. Viel problematischer ist der Anstieg des Überschusses auf 188 Mrd. Das dadurch verdiente Geld wird hier in Deutschland nicht benötigt, da wir ja mehr produzieren, als wir brauchen. Also wird das Geld fast in gleicher Höhe (Leistungsbilanz=169 Mrd in 2012) in Form von Krediten an das Ausland weitergegeben. Und was machen die mit dem Geld? Sie kaufen bei uns Güter, die wir nicht brauchen. Dies findet alles über die aufgelaufenen Preisdifferenzen zwischen den Ländern statt, ist also kein aktives Handeln.
Tim
11. Mai 2013 @ 13:34
@ Robert
Das Geld, das ein Unternehmen mit Warenexport verdient, gehört … diesem Unternehmen. Es ist ja eben nicht so, daß Deutschland ein Akteur auf dem Weltmarkt ist. Man kann den Exportunternehmen nicht einfach verbieten, Waren zu verkaufen. Ebensowenig kann man südeuropäischen Ländern untersagen, Waren in Deutschland zu kaufen.
Was man aber tun sollte, ist, Fehlanreize zu beseitigen, die die Schieflage im Euro-System bewirken. Dieser Fehlanreiz heißt TARGET-2.
Robert
11. Mai 2013 @ 21:27
Ich hab ja auch gar nicht gesagt, dass man es den Unternehmen verbieten kann, Waren zu verkaufen bzw. den anderen Ländern Waren bei uns zu kaufen. Aber wenn dauerhafte Ungleichgewichte entstehen, muss gegengesteuert werden und das auf allen(!) Seiten, also bei Defizit und bei Überschussländern.
Die Target 2 Salden sind auch nur ein weiterer Indikator, dass etwas schief läuft. Die zeigen nur die Kapitalströme zwischen den einzelnen Ländern an. Letztes Jahr, als Söder, Dobrindt und Rösler gegen Griechenland und für einen eventuellen Rauswurf gepoltert haben, haben die Menschen in den anderen Krisenländern ihr Geld von den heimischen Banken zu deutschen Banken geschafft, da sie um ihr Geld gebangt haben. Die Target 2 Salden geben nur diesen Sachverhalt wieder. Sie bieten absolut keinen Anreiz für irgendwas.
Tim
13. Mai 2013 @ 10:58
@ Robert
“Die Target 2 Salden geben nur diesen Sachverhalt wieder. Sie bieten absolut keinen Anreiz für irgendwas.”
Im Target-2-System hat jede nationale Zentralbank das Recht, praktisch unbegrenzt Buchgeld zu schaffen. Genau das ist nach Erschlaffen der konventionellen Kreditvergabe auch geschehen, und genau das war auch ein Kerntreiber der Euro-Krise.
Target 2 = der Fehlanreiz, sich mit billigem Geld zu überschulden und (weiter) eine Wohlstandsblase aufzubauen.
Robert
13. Mai 2013 @ 14:05
@Tim
Target 2 ist ein Verrechnungssystem, es ist nur ein Messinstrument. Sie sollten sich auch mal über andere Quellen außer Herr’n Sinn informieren.
Mira
7. Mai 2013 @ 14:58
“Und wie sich die Wettbewerbsfähigkeit entwickelt, weiß niemand, denn dafür gibt es keine allgemein anerkannte Kriterien.”
Das ist so wohl nicht richtig.
Wenn ein Land, z.B. Frankreich, Italien und auch Belgien, defizitär und nicht nachhaltig wirtschaften, zu teuer sind und daher unter verschärfter und lang anhaltender Massenarbeitslosigkeit und/oder Unterbeschäftigung leiden, zumal die Produktivität der VW sinkt, und sich diese negative Dynamik auch noch stärker als in anderen Ländern vollzieht, kann man sehr wohl davon ausgehen, dass das Land ein Wettbewerbsproblem hat.
Trifft auf die besagten Länder zu, wobei ich dir recht gebe, dass die Gruppierung Belgien/Italien einerseits und Frankreich/Spanien anderseits eher politischem und taktischem Kalkül entspringt.
Konjunkturell sind die Probleme in diesen Ländern jedenfalls nicht.
ebo
7. Mai 2013 @ 15:25
Frankreich hat das Problem dass seine Märkte in Südeuropä wegbrechen! Das lost man nicht mit Hartz- Reformen, In übrigen war dort immer die Binnennachfrage der Hauptmmtmp, nicht der Export. Wenn alle die deutsche Strategie nachahmen, verlieren alle, auch wir!
GS
7. Mai 2013 @ 21:01
ebo, wenn es wirklich so ist, dass die Südländer sehr wichtige Märkte für die Franzosen sind, werden sich die letzteren noch umgucken. Denn von den Südstaaten werden auf längere Frist keine Impulse für die französische Wirtschaft ausgehen.
Mit Ausnahme von Italien weisen unsere südlichen Krisenstaaten alle Nettoauslandsverschuldungen auf, die sich in der Nähe, in Portugal sogar über der Marke von 100 % des BIP bewegen. Damit sind sie die globalen Spitzenreiter, im negativen Sinne natürlich. Solche Positionen sind schlicht und ergreifend nicht dauerhaft zu halten. Hier muss es zu massiven Veränderungen in den Leistungsbilanzen kommen. Statt Defiziten müssen Überschüsse entstehen, damit die Nettoauslandsverschuldung reduziert werden kann. Nur dann können diese Staaten überhaupt wieder solvent werden. Für den Produktemix, den diese Volkswirtschaften anzubieten haben, wird das, innerhalb des Euro, nur mit massiven Lohnsenkungen und einem entsprechenden Rückgang der Importe und Anstieg der Exporte möglich sein. Für die Bevölkerung ist das dramatisch, aber eine Stärkung der Binnenwirtschaft wird die Leistungsbilanzdefizite weiter (wieder) festigen. Das geht überhaupt nur, wenn es jemand anders (Euro-Norden) finanziert. Davon werden diese Volkswirtschaften aber nicht wieder gesunden.
Wir können über die deutsche Leistungsbilanz diskutieren, aber die verfügbaren Zahlen deuten daraufhin, dass nur ein kleiner Teil der Überschüsse noch ggü. den anderen Ländern der Eurozone entsteht, der größte Teil ggü. der Nicht-Euro-Welt. Solange die Südländer nicht wie aus dem Nichts zu großen Konkurrenten Deutschlands in unseren wichtigen Exportbranchen wie Autobau, Maschinenbau etc. werden, wird eine Anpassung der deutschen Leistungsbilanz durch deutliche Lohnerhöhungen wohl in erster Linie andere profitieren lassen – z.B. Japan, Korea oder die USA. Es ist leider nicht so einfach, dass die Deutschen einfach nur mal bisschen mehr zahlen müssen und schon kommt im Süden der Aufschwung. Käse! Dafür sind die Volkswirtschaften zu verschieden. Und das ist ja auch das Grundproblem des Euro.
Robert
9. Mai 2013 @ 19:06
@GS
Ich finde es immer erstaunlich, dass jeder Deutsche weiß, dass es bei den Südländern an den hohen Löhnen liegt. Aber dass die zu niedrigen Löhne in Deutschland genauso Mitschuld sind, dass ist dann vollkommen unverständlich. Diese Einsicht wird bekämpft bis aufs Messer.
Die Eurozone hat ja insgesamt eine mehr oder weniger ausgeglichene Handelsbilanz. Wenn Deutschland seine Überschüsse abbauen würde, können die anderen spiegelbildlich ihre Defizite abbauen. Das muss ja nicht nicht bilateral mit uns laufen, das kann auch über Zwischenstationen stattfinden.
Tim
10. Mai 2013 @ 11:48
@ Robert
“Wenn Deutschland seine Überschüsse abbauen würde, können die anderen spiegelbildlich ihre Defizite abbauen.”
Deutschland muß also nur höhere Löhne durchsetzen, damit China künftig Werkzeugmaschinen bei den portugiesischen Bauern statt bei den deutschen Werkzeugmaschinenherstellern kauft? 🙂
Nein, so einfach ist das natürlich nicht. Die Exportstrukturen der Euro-Länder sind teilweise extrem unterschiedlich, gerade Deutschland hat eine sehr spezielle Ausrichtung am Weltmarkt.
Wir werden ja in der nächsten Zeit in Deutschland höhere Lohnzuwächse erleben, und Du wirst sehen, wieviel das den Südländern hilft: gar nicht.
Natürlich muß (und wird) das Lohnniveau in einigen Euro-Problemländern noch weiter sinken, aber ein ständiger Vergleich mit Deutschland ist irreführend und kontraproduktiv.
Robert
10. Mai 2013 @ 21:56
@Tim
Da ist gar nichts irreführend. Wenn es Probleme gibt, muss man eine Analyse durchführen was schiefgegangen ist und das wird in Deutschland tunlichst vermieden. Man verkündet eine Staatsschuldenkrise, die man nicht beweisen kann. Man macht die anderen fertig, weil sie über ihre Verhältnisse gelebt haben, verschweigt aber, dass man unter seinen Verhältnissen gelebt hat und beide Seiten einander bedingen. Hauptsache, man muss keine Mitverantwortung für die Fehlentwicklungen eingestehen.
Na klar sind die Exportstrukturen in den einzelnen Ländern total verschieden. Die Chinesen und der Rest der Welt können auch gerne Klopapier bei den Portugiesen kaufen, das ist vollkommen egal. Die Südländer können aber nicht wettbewerbsfähig werden, wenn wir sie die ganze Zeit niederkonkurrieren. Es geht nicht es ist unmöglich.
Tim
11. Mai 2013 @ 10:45
@ Robert
Dir unterläuft da ein ganz typischer und ziemlich häufiger Denkfehler bei der Analyse von Außenhandelsbilanzen. Wenn z.B. Portugal ggü. Deutschland ein Handelsdefizit hat, heißt das eben NICHT, daß Portugal weniger wettbewerbsfähig als Deutschland ist oder daß Deutschland Portugal “niederkonkurriert”.
Beim Export nach Deutschland konkurrieren portugiesische Unternehmen eher mit der Türkei, Polen, Brasilien usw. Beim Export nach Portugal konkurrieren deutsche Unternehmen eher mit der Schweiz, Frankreich und den USA.
Das heißt: Wenn Deutschland teurer wird, hilft das Portugal … gar nicht. Portugal muß sich bei den nötigen Reformen nicht mit Deutschland messen, sondern z.B. mit der Türkei.
Außenbilanzsalden gehören leider zu den am meisten mißverstandenen Konzepten der Wirtschaftspolitik überhaupt und vernebeln den Blick.
Robert
11. Mai 2013 @ 21:14
Sie können doch nicht einfach Euro- und Nicht-Euro-Länder wild durcheinander mischen. Da ist überhaupt keine Struktur in ihrer Argumentation. Die einzelnen Unternehmen konkurrieren in allen Ländern miteinander, auch in den Eigenen(!). Wenn jetzt aber alle Unternehmen eines Landes aufgrund dessen Politik im Durchschnitt dauerhafte Vorteile gegenüber den Unternehmen eines anderen Landes erlangen, dann äußert sich das in dauerhaften Überschüssen, da sie ja günstiger anbieten können. Warum sollte das nichts mit Wettbewerbsfähigkeit zu tun haben. Wettbewerbsfähigkeit äußert sich letztendlich im Preis. In einer Marktwirtschaft kann man niemanden verbieten, die günstigeren Waren zu kaufen. Wenn jetzt Türkei, Schweiz, USA, Polen oder Brasilien diese dauerhaften Wettbewerbsnachteile erleiden, dann werten sie einfach ihre Währung ab. Deutschland hatte das ja schon öfters probiert, musste jedoch immer wieder Aufwertungen hinnehmen, Durch die Währungsunion entfällt jedoch diese Möglichkeit für die anderen Euroländer. In der New York Times ist mal ein Beispiel wie das funktioniert.
Was ist denn dann in ihrer Vorstellung der Ausdruck von Wettbewerbsfähigkeit bzw. was repräsentieren die Außenhandelsbilanzen bei ihnen.
ebo
11. Mai 2013 @ 21:24
@Robert
Zum Thema Wettbewerbsfähigkeit: meiner Meinung nach kann man einzelne Unternehmen oder Branchen miteinander vergleichen, nicht jedoch ganze Länder. Denn Länder verfügen über ganz verschiedene Wirtschaftszweige, die teils w-fähig, teils nicht sein können, oder auch mehr oder weniger. Nehmen wir die Luxusgüterindustrie da sind Frankreich und Italien weiter absolut w-fähig, obwohl es in Deutschland immer heißt, sie seien allgemein eben nicht w-fähig. Oder nehmen wir die Autoindustrie: FRanzösische und italienische Autos sind weder teurer noch schlechter als deutsche. Allerdings haben sich die Hersteller auf bestimmte Segmente spezialisiert (insbes. Kleinwagen), die z.Z. schlecht laufen oder sogar zusammenbrechen, weil die Märkte wegbrechen (wg. der Krise in Südeuropa). – Was die Außenhandelsbilanz betrifft: sie ist in den USA negativ, sind die Amis also pauschal nicht mehr w-fähig? Natürlich nicht. Die Bilanz der Niederländer ist sehr positiv, trotzdem stecken sie in der Krise. Kurz: die W. ist ein völlig unscharfen Begriff, für die Analyse von Volkswirtschaften taugt sie nichts.
Robert
11. Mai 2013 @ 22:00
@ebo
Man muss sogar ganze Länder vergleichen. Der Durchschnitt der Wettbewerbsfähigkeiten aller Unternehmen eines Landes muss mit den Durchschnittswerten der anderen Länder der Währungsunion übereinstimmen, damit keine dauerhaften Ungleichgewichte entstehen. Dies kann man anhand der preislichen Wettbewerbsfähigkeit im Durchschnitt der jeweiligen Länder ablesen, der Inflationsrate. Man hat sich auf eine jährlich Zielinflationsrate von 2% geeinigt. Frankreich war das einzige Land, das sich daran gehalten hat. Alle anderen waren daneben, also müssen diese Anpassungen vornehmen, die Südländer nach unten und Deutschland nach oben.
Tim
13. Mai 2013 @ 10:05
@ Robert
Ich weiß ja, daß die Versuchung groß ist, alle Schuld auf Deutschland zu schieben, aber das Problem der Südländer ist nun mal mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit – nicht bloß mangelnde innereuropäische Wettbewerbsfähigkeit. Natürlich haben diese Länder im Zuge der Euro-Krise auch gegenüber Deutschland verloren, aber das ist nicht deren eigentliches Problem.
Um es mal überspitzt zu formulieren: Selbst wenn z.B. Portugal ausschließlich mit anderen EU-Ländern Handel triebe, würde es (wahrscheinlich) sehr stark mit externen Ländern konkurrieren müssen.
Mein Rat: Am besten nicht über Handelsbilanzen nachdenken, das führt fast immer zu falschen Schlußfolgerungen.
@ ebo
Das hatten wir doch schon mal, oder? 🙂 Wenn man sagt, ein Land ist international nicht wettbewerbsfähig, ist folgendes gemeint: Der Mix der Standortfaktoren in diesem Land ist so beschaffen, daß a) die ansässigen Unternehmen nicht gut mit der internationalen Konkurrenz mithalten können und/oder b) in- und ausländische Firmen lieber anderswo investieren.
Ein Beispiel: Hightech-Produktion in extrem dynamischen Produktsegmenten (z.B. Smartphones) ist in Europa praktisch nicht mehr möglich, weil es schon an der fehlenden Flexibilität im Bau- und Arbeitsrecht scheitert. In China kann problemlos in 4 Wochen ein neue Fabrik hochgezogen werden, und sie kann auch problemlos schnell wieder dicht gemacht werden, wenn es nicht läuft. Brutal und weit weg von unseren Standards, sicher. Aber nun mal ein sehr harter Wettbewerbsvorteil gegenüber Europa, zumindest in der Smartphone-Produktion.
Robert
13. Mai 2013 @ 14:02
@Tim
Jemand (Sie!), der die Schuld bei allen anderen außer sich selbst und seinem Land sucht, wirft einem anderen (mir!), der eine Anpassung auf beiden Seiten aufgrund beiderseitiger Verantwortung befürwortet, Einseitigkeit vor. Das lasse ich mal unkommentiert.
Nochmal: Wenn für ein externes Land dauerhaft Wettbewerbsnachteile entstehen, dann wertet es ab. Portugal kann das nicht, da es mit diesem Land in einer Währungsunion ist. Das einfachste Mittel um Wettbewerbsfähigkeitsunterschiede zu erkennen sind und bleiben die Handelsbilanzen. Ein dauerhaftes Defizit führt zum Auftürmen von Schulden im Ausland und wird irgendwann nicht mehr von den Auslandsgläubigern akzeptiert. Sie können sich ja gerne mal die Daten bezüglich der Auslandsforderungen bzw. -verbindlichkeiten (NIIP) ansehen.
Sie haben immer noch nicht auf meine Frage geantwortet, wie sich Ihrer Meinung nach die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes darstellen lässt.
Meine Variante, besser gesagt, die von Herr’n Flassbeck, ist die über die Inflationsentwicklung der einzelnen Länder, beispielhaft Dhier in Abbildung 2 “real effective exchange rates” dargestellt. Dieses Diagramm kann wie folgt gelesen werden. Ein Produkt, dass in allen Ländern im Jahr 2000 100€ gekostet hat, kostet 2009 in Deutschland 110€, in Frankreich 120€ und in Griechenland 132€. Das Ziel, dass sich alle gesetzt haben, liegt in etwa bei dem Wert von Frankreich. Deutschland war drunter, der Süden war drüber. Fazit: beide Seiten müssen sich also anpassen.
Tim
14. Mai 2013 @ 00:01
@ Robert
“Jemand (Sie!), der die Schuld bei allen anderen außer sich selbst und seinem Land sucht”,
Ja, ich muß es jetzt wohl zugeben. Die Schuld an der Krise trage ich. Mea culpa. 🙂
“Das einfachste Mittel um Wettbewerbsfähigkeitsunterschiede zu erkennen sind und bleiben die Handelsbilanzen.”
Könnte man auf den ersten Blick glauben, ist aber falsch. Selbst die Leistungsbilanzen sind kein geeigneter Indikator.
Schade, eine Diskussion scheint nicht möglich zu sein. Ich mag die kontroversen Meinungen auf lostineu.eu ja sehr, aber wenn mir persönlich die Schuld an der Euro-Krise zugeschoben wird, muß ich leider aussteigen.