Streit über EU-Jobs, mehr Atomwaffen in der Nato & Eklat um den Naturschutz

Die Watchlist EUropa vom 18. Juni 2024 – Heute mit einem überraschenden Machtkampf in Brüssel, einem brisanten Interview in London und handfestem Streit in Wien

Rund eine Woche nach der Europawahl scheint das Ergebnis schon vergessen. Die Staats- und Regierungschefs, die sich am Montag zu einem informellen EU-Gipfel in Brüssel trafen, hatten es eilig – lange und (selbst-)kritische Wahlanalysen waren nicht nach ihrem Geschmack.

Der Rechtsruck in Frankreich, Österreich, Belgien und Deutschland? Kein Thema. “Die Mitte hält”, hieß die Parole, die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen ausgegeben hatte. Dafür soll sie mit einer zweiten Amtszeit belohnt werden.

Die Klatsche für Präsident Macron, Kanzler Scholz und den belgischen Ratspräsidenten De Croo? Darüber spricht man vielleicht zuhause, doch nicht in Brüssel! Dabei wird die Wahlschlappe früher oder später auch die EU einholen, spätestens nach den Wahlen in Frankreich.

Die wachsende Angst vor einem großen Krieg? In Deutschland ist sie mit Händen zu greifen. In Ungarn, der Slowakei und Serbien warnt man schon offiziell vor einem dritten Weltkrieg. Doch im Brüsseler Ratsgebäude ist auch das kein Thema. Hier heißt es “weiter so“.

Man müsse jetzt schnell zur Tagesordnung übergehen und eine neue EU-Führung einsetzen, erklärten Scholz und die anderen EU-Chefs bei ihrem Treffen, das den regulären EU-Gipfel nächste Woche vorbereiten sollte. “Kontinuität” und “Stabilität” hießen die Stichworte.

In der EU-Kommission könnte das klappen – für von der Leyen II. zeichnet sich eine Mehrheit ab. Anders sieht es beim ständigen EU-Ratspräsidenten aus. Dieser Job, den bisher der Liberale Charles Michel innehat, sollte eigentlich an die Sozialdemokraten fallen.

EVP will mehr Macht

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Doch die Konservativen stellten sich überraschend quer – sie fordern mehr Macht. Dazu soll die Amtszeit des Ratspräsidenten (fünf Jahre) halbiert werden, damit die konservative Europäische Volkspartei eine Hälfte des “Kuchens” bekommt und einen der Ihren nominieren kann.

Dabei gibt das Wahlergebnis das nicht her. Die Wähler haben vor allem die Grünen und die Liberalen abgestraft, nicht aber die Sozis. Die EVP hat auf der anderen Seite nicht so viel hinzugewonnen, dass sie (neben VDL) noch mehr Posten fordern könnte.

Doch wen kümmert schon das Wahlergebnis? Die Wähler konnten weder für von der Leyen stimmen noch für den künftigen Ratspräsidenten. Und die Chefs konnten sich nicht einigen, der Gipfel endete im Streit. Fortsetzung in zehn Tagen – dann sollen Entscheidungen fallen…

Siehe auch “Weiter so? Das haben die Wähler nicht gewollt” und “Was von der Leyen alles normalisiert hat”

News & Updates

  • Mehr Atomwaffen in der Nato. Die Militärallianz sei in Gesprächen über die Stationierung weiterer Atomwaffen und ihre Versetzung in Bereitschaft, sagte Generalsekretär Stoltenberg in einem Aufsehen erregenden Interview. “Ich werde nicht auf operative Details eingehen, wie viele Atomsprengköpfe einsatzbereit sein und welche gelagert werden sollten, aber wir müssen uns über diese Fragen beraten. Und genau das tun wir”, so Stoltenberg nach einem Besuch in Washington. – Wächst die Atomkriegsgefahr also doch?
  • Belgien begräbt das Katargate. Kurz nach der Europawahl hat die belgische Justiz mitgeteilt, dass sie gegen mutmassliche Drahtzieher der bisher größten EU-Korruptionsaffäre in Marokko nicht länger ermitteln werde. Dies wolle man den marokkanischen Behörden überlassen, hieß es. – Damit sinken die Chancen, dass der Skandal jemals aufgeklärt, gegen Null. Das “Katargate” erhält ein Begräbnis 3. Klasse!Alles zum Katargate hier
  • China schlägt zurück. Die chinesische Regierung hat der EU mit Maßnahmen zur Beschränkung von Schweinefleischimporten gedroht. Das Handelsministerium in Peking kündigte eine Anti-Dumping-Untersuchung an. Die handelspolitischen Spannungen hatten mit der Ankündigung der EU-Kommission erhöhter Zollsätze für E-Autos aus China stark zugenommen. Nun kommt die Retourkutsche! – Siehe auch “Handelskrieg ante portas”

Das Letzte

Eklat um den Naturschutz. Nach monatelangem erbitterten Streit haben die EU-Umweltminister dem Gesetz zur Renaturierung (Wiederherstellung der Natur) zugestimmt. Es kann damit doch noch in Kraft treten. Allerdings war der Gesetzestext zuvor entschärft worden. Der Beschluß löste zudem eine schwere Regierungskrise in Österreich aus. Die konservative Regierungspartei ÖVP will das „Ja“ der grünen Umweltministerin nicht hinnehmen und mit juristischen Mitteln dagegen vorgehen. Bundeskanzler Nehammer (ÖVP) kündigte sogar eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof an. Das Votum Gewesslers “entspricht nicht dem innerstaatlichen Willen und konnte daher nicht verfassungskonform abgegeben werden”, erklärte das Kanzleramt in Wien. Österreich wählt Ende September ein neues Parlament – bis dahin soll die schwarzgrüne Koalition noch halten… – Mein Bericht für die “taz” hier

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