Was wäre, wenn?

Die Karlsruher Richter lassen CSU-Kläger Gauweiler abblitzen: Wegen des neuen Anleiheprogramms der EZB wird die Entscheidung über den Rettungsschirm ESM nicht verschoben. Dies deutet, wie viele andere Indizien, auf eine nüchterne, wenig spektakuläre Entscheidung hin. Doch was wäre, wenn die Verfassungsrichter Merkels „Rettungs“instrumente kippen? Geht dann die Welt unter, oder gibt es ein Euro-Leben nach dem ESM?

Auf den ersten Blick geben sich alle ganz gelassen. Man habe volles Vertrauen in die Karlsruher Richter, heißt es bei der Bundesregierung in Berlin. ESM und Fiskalpakt seinen mit der Verfassung vereinbar, das habe man sorgfältig geprüft. Wenn Karlsruhe Auflagen machen sollte, dann würden sie wohl nur die Mitsprache des Bundestags oder die deutsche Haftung betreffen, heißt es auf SPON. Beides wäre kein Problem; Merkel würde das sogar ganz gut in den Kram passen.

Und was ist, wenn Karlsruhe „Nein“ sagt? Wäre das der „Anfang vom Ende der gemeinsamen Währung“, wie die „Süddeutsche“ unkt? Auf den ersten Blick sieht es tatsächlich so aus. Deutschland stünde als unsicherer Kantonist da, auf den man sich nicht mehr verlassen kann. Spanien würde sofort unter Druck der Spekulanten geraten, in „Programmländern“ wie Griechenland oder Portugal würde sich Angst breit machen – womöglich käme es sogar zu einem fatalen „Bank run“.

Doch bei näherer Betrachtung sieht die Sache anders aus. Denn selbst ohne ESM gibt es ja immer noch den provisorischen Rettungsschirm EFSF und die EZB. Beide wären weiter handlungsfähig. Die EZB könnte sogar ihr umstrittenes Anleiheprogramm starten und Spanien zu Hilfe eilen, denn dafür genügt ein Antrag der Spanier beim EFSF. Möglicherweise liegt der sogar schon in einem versiegelten Umschlag bei EFSF-Chef K. Regling – für alle Fälle.

Auch der Fiskalpakt wäre entbehrlich. Budgetdisziplin lässt sich schließlich schon jetzt, mit dem so genannten „Six pack“, durchsetzen. Weitere Spar- und Reformauflagen können über den EFSF diktiert werden, wie man von Griechenland bis Portugal sieht. Zudem hat sich der Fiskalpakt schon jetzt als kurzssichtig und unzureichend erwiesen (siehe „Auslaufmodell Fiskalpakt“). Es wäre ein Gewinn, ihn zu kippen und durch eine echte Fiskalunion zu ersetzen.

Letztlich braucht man weder Fiskalpakt noch ESM, solange ein effizienter Hilfsmechanismus besteht, wie ihn die EZB mit ihrem Anleiheprogramm vorgelegt hat. Das Problem ist allerdings, dass die EZB nur Anleihen auf dem Sekundärmarkt kaufen darf, und dass der EFSF für Käufe auf dem Primärmarkt – also für eine direkte Stützung angeschlagener Staaten – zu schwach ist. Dauerhaft ließe sich dieses Problem aber lösen, indem man den Rettungsschirm von Garantien der Staaten löst und ihm eine Banklizenz erteilt. Damit würde auch Deutschland entlastet.

Natürlich würde auch diese Lösung durch neue Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten. Doch eine Klage gegen die EZB hätte wesentlich geringere Erfolgsaussichten als ein Prozess gegen den ESM, wie der „Verfassungsblog“ schreibt. Und sollte eine Banklizenz nicht möglich sein, so könnte man immer noch über die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds nachdenken, der nicht die umstrittenen und teilweise absurden Regeln des ESM haben müsste. Zu Beginn der Griechenland-Krise hat sogar Schäuble einen solchen „EWF“ gefordert…

Man sollte nicht vergessen, dass ESM und Fiskalpakt eine Vorgeschichte in der unseligen „Merkozy“-Affäre haben, und dass sie von konservativen und neoliberalen Politikmodellen geprägt sind. Andere Rettungsmodelle für den Euro sind nicht nur denkbar, sondern auch möglich, wie ich oben skizziert habe. Die entscheidende Frage ist allerdings, ob es dafür politische Mehrheiten in Deutschland gäbe – und Politiker, die diese Alternativen aufzeigen und durchsetzen können.

Und da habe auch ich große Zweifel…