Was Schulz geschafft hat – und was nicht
Im Wahlkampf-Endspurt präsentiert sich SPD-Kandidat Schulz als Kümmerer – er scheint für jedes Problem eine Lösung zu haben. Nur ein Thema spart er aus: Europa. Dabei sollte das doch eigentlich sein größter Trumpf sein. Ist es aber nicht – hier steht, warum.
Was Schulz geschafft hat – und was nicht
Europäische Listen – aber keine europäische Öffentlichkeit
Die Spitzenkandidaten bei der Europawahl haben dazu beigetragen, die nationalen Wahllisten zu überwinden. Doch die TV-Debatten der Spitzenkandidaten wurden fast nur in Deutschland übertragen, am Rest der EU gingen sie vorbei. Die Öffentlichkeit ist national geblieben.
Mehr Demokratie bei der Europawahl – aber nicht mehr Demokratie in der EU-Gesetzgebung
Die europäischen Parteienfamilien mussten erstmals mehrheitsfähige Kandidaten nominieren, die sich dann der Wahl stellten. Doch im parlamentarischen Alltag hat sich nicht viel geändert. Entscheidungen über EU-Gesetze fallen zunehmend im „Trilog“ mit Kommission und Ministerrat. Die Demokratie bleibt dabei auf der Strecke.
Mehr Sichtbarkeit für das Europaparlament – aber nicht mehr Glaubwürdigkeit
Schulz hat prominente Spitzenpolitiker zur Plenardebatte nach Straßburg geholt und dem Parlament so mehr Sichtbarkeit verschafft. So durften die EU-Abgeordneten im Herbst 2015 mit dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras streiten – doch die Entscheidung über den neuen Bailout und die Konditionen war da längst gefallen.
Wahl des Kommissionschefs – aber nicht der Kommission
Jean-Claude Juncker wurde vom Europaparlament gewählt und von den Staats- und Regierungschefs nur noch bestätigt. Doch sein Team wird immer noch nicht frei gewählt; es kann auch nicht abgewählt werden. Die Kommissare werden weiter von den EU-Staaten ernannt. Und ob die Wahl des Kommissionschefs bleibt, ist auch noch nicht sicher. Merkel möchte sie wieder abschaffen.
Mehr Deutsche auf Schlüsselposten – aber keine Abkehr vom deutschen Europa
Unter Schulz wurden Schlüsselposten des Parlaments an deutsche Politiker vergeben – neben dem Präsidenten kamen auch der Generalsekretär und viele Ausschuss-Vorsitzende aus dem größten EU-Land. Ihre Entscheidungen orientierten sich oft an der Politik der GroKo in Berlin, die deutsche Dominanz wurde erst unter Schulz-Nachfolger Antonio Tajani infrage gestellt.
Die EU-Gegner im Parlament wurden im Zaum gehalten – doch in den EU-Staaten legen sie weiter zu.
Schulz hat die Große Koalition im Europaparlament mit der Notwendigkeit begründet, EU-Gegner wie Marine Le Pen, Geert Wilders, Nigel Farage & Co. im Zaum zu halten. Das ist ihm auch weitgehend gelungen – doch die EU-Gegner geben sich noch längst nicht geschlagen. In vielen EU-Staaten sind sie heute sogar stärker denn je.
Die Eurokrise ist überstanden – dafür haben wir jetzt die EU-Krise.
Das Europaparlament hat in der Eurokrise nur eine Zuschauerrolle gespielt. Auch in der EU-Krise, bei der es um Demokratie und Souveränität geht („take back control“) spielt es keine große Rolle. Seit dem Brexit fordern die Abgeordneten zwar einen Neustart der EU. Doch Schulz hat sich dafür nicht stark gemacht. Die Krise geht weiter.
Dies ist ein Auszug aus meinem E-Book: „MEGA enttäuschend“ – Eine politische Bilanz aus Brüsseler Sicht. Das Buch gibt’s für 1,99 Euro bei Amazon Kindle.
Am Donnerstag folgt an dieser Stelle die europapolitische Bilanz für Kanzlerin Merkel
Peter Nemschak
19. September 2017 @ 17:05
Es liegt an den Nationalstaaten die zweifellos vorhandene institutionelle Krise der EU zu überwinden. Die EU für Dinge verantwortlich zu machen, welche die Mitgliedsstaaten zu vertreten haben, erzeugt ein irreführendes Bild der EU-Institutionen und eine Aversion der Bürger gegen die Supranationalität generell. Es sind heimische Politiker, welche die EU für politisch unbeliebte Maßnahmen, die sie selber zu vertreten haben, verantwortlich machen. Die Boulevardmedien sollten dieses falsche Bild korrigieren statt es im Bewusstsein der Bürger zu verstärken und damit zur Europafeindlichkeit beitragen.