Vor EU-Vorsitz: Merkel sucht Macrons Hilfe
Kanzlerin Merkel und Präsident Macron treffen sich in Meseberg, die EU sammelt wieder Geld für Libyen – und Deutschland übernimmt den EU-Vorsitz: Das sind die wichtigsten Themen der kommenden Woche in Brüssel.
Was kommt in EUropa auf uns zu? Mit dieser Frage wollen wir uns in diesem Blog künftig öfter befassen. Die neue Vorschau soll die Wochenbilanz (“Was bleibt?”) ergänzen und den Newsletter ersetzen, der nun erst einmal Sommerpause macht.
Was kommt also? Fangen wir mit dem offiziellen Terminkalender an.
Am Montag treffen sich Präsident Macron und Kanzlerin Merkel in Meseberg. Sie wollen den EU-Finanzgipfel Mitte Juli vorbereiten. Zuletzt hat sich Österreichs Kanzler Kurz erneut gegen Zuschüsse an die Krisenländer ausgesprochen, die Fronten sind verhärtet.
Eine Lösung ist nicht in Sicht – weshalb Kommissionschefin von der Leyen schon eingeräumt hat, Mitte Juli könne es wohl noch keine Einigung geben. Denn auch Merkel hat noch einige Sonderwünsche – und braucht dafür Macrons Hilfe…
Am Dienstag findet wieder eine Geberkonferenz für Syrien in Brüssel statt. In dem Bürgerkriegsland droht eine Hungersnot, vor allem die Kinder leiden. Mitschuld sind die US-Sanktionen, die gerade noch einmal verschärft worden sind.
“Syrien droht wegen “Caesar Act”-Sanktionen der freie Fall”, schreibt der “Standard”. Wird die EU die Größe finden, sich von diesem Sanktions-Wahnsinn zu distanzieren? Ich würde mir auch klare Worte zur türkischen Aggression in Nordsyrien wünschen!
Am Mittwoch übernimmt dann Deutschland für sechs Monate den EU-Vorsitz. Auf Kanzlerin Merkel lasten riesige, kaum erfüllbare Erwartungen – ich komme darauf ab Montag in einer dreiteiligen Artikel-Serie zurück!
Fast noch spannender als die offiziellen Termine sind aber die inoffiziellen. Stürzt Polens Präsident Duda – oder Frankreichs Premier Philippe? Dies dürfte sich am Montag nach den Wahlen in beiden Ländern zeigen. Beides könnte die EU erschüttern.
Für Turbulenzen dürfte auch der Streit um das Ende des Einreisebanns sorgen. Amerikaner, Russen und Türken müssen auch nach dem 1. Juli draußen bleiben, haben die EU-Botschafter angekündigt.
Doch Präsident Trump und Sultan Erdogan wollen sich das nicht bieten lassen. Wenn sie Druck machen, könnte dies der erste Test für den deutschen EU-Vorsitz werden…
Siehe auch die neue Seite “Was bleibt?” sowie die letzte Wochenbilanz: “VW, Facebook: die EU handelt – viel zu spät!“
asisi1
30. Juni 2020 @ 21:04
Muss Merkel ihn denn jetzt auch pampern? Der hat doch schon eine Oma!
Drago
30. Juni 2020 @ 23:47
Habe ich gelesen, finde ich soweit auch gut. Nur: hier geht es eben nicht um die EU-Entsenderichtlinie für ArbeitnehmerInnen. Sondern um die (unternehmerische) ‚Dienstleistungsfreiheit‘. Das ist ein großer Unterschied.
Die Entsenderichtlinie wurde zuvor vom EuGH (Fälle Laval, Viking Line, Luxemburg, Rüffert in DE usw.) so interpretiert, dass nur der im ‚Herkunftsland‘ für die Entsende-ArbeitnehmerInnen geltende Mindestlohn zu zahlen sei. Es gab dabei auch eine Reihe von Entscheidungen wg. Streikrecht usw., die bislang ungeklärt bleiben.
Mit der Reform der Entsende-Rili gilt im Prinzip nun: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Arbeitsort. Die Bundesregierung hat dies aber so nicht umgesetzt. Die neue EU-Rili ermöglicht, dass Tarifverträge als allgemein verbindlich (auch für entsandte ArbeitnehmerInnen) erklärt werden. Meine Gewerkschaft verdi fordert dies seit langem für den Einzelhandel und andere Branchen. Nix ist passiert (obwohl die Supermarkt-Kassiererinnen jetzt ja ‚Heldinnen‘ und ’systemrelevant‘ sind). Also: wg. reformierter Entsenderichtlinie liegt der Ball im Feld der nationalen Regierungen (die überwiegend nix daraus machen wg. Tarifverträgen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort).
Wie gesagt, die Dienstleistungsfreiheit der EU ist aber noch was anderes (weil ‚unternehmerisch‘ konzipiert). Erst Recht nach der Reform der Entsende-Rili wird von den ärmeren EU-Mitgliedstaaten dazu übergegangen, dass ‚ihre‘ Arbeitslosen‘ als ‚Selbständige‘ im Westen der EU tätig werden (mit Selbstausbeutung bis zum geht nicht mehr).
So geschehen in GB, das unter Cameron ja völlig auf die billigen Arbeitskräfte aus Osteuropa für den ‚Aufschwung‘ setzte, um danach ‚Rumänen und Bulgaren‘ zu dissen für alle sozialen Probleme im UK. Der ‚Brexit‘ – keine Folge von all diesen von der EU und Bolkestein initiierten ‚Reformen‘ wg. Dienstleistungsbinnenmarkt?
Ich finde das in Ihrer Analyse – Herr Bonse – eher unterbelichtet.
Drago
29. Juni 2020 @ 19:29
Hallo. Den Beitrag von Eric Bonse finde ich gut, die Kommentare dazu auch. Allerdings ist das nicht nur ein ‘deutsches Problem’ mit der Lage auf den Schlachthöfen. Was mich stört: die EU-Dienstleistungsrichtlinie (Bolkestein Hammer 2006, EU-DLR) wird nicht mal erwähnt.
In Deutschland gab es zuvor auch schon Werkverträge – größtenteils aber im oberen Bereich des Arbeitsmarkts (Spezialisten, Techniker, Ingenieure usw.). Nach der Agenda 2010 von Rot-Grün unter Schröder/Fischer wurde der Niedriglohnsektor dafür ins Visier genommen, eben in Kombination mit der EU-DLR.
Es kamen britische Maurer als ‘Solo-Selbständige’ (also Unternehmer) nur mit ihrem Arbeitsgerät. In der Fleischindustrie und auch anderswo kamen viele als ‘Selbständige’ deklarierte Kräfte aus Polen, Rumänien, Bulgarien usw. (z.B nur mit einem Fleischermesser bewaffnet). Das ganze Konzept der EU-DLR beruhte darauf, den Mitgliedstaaten Einschränkungen der so genannten EU-weiten ‘Dienstleistungsfreiheit’ zu verbieten – und so funktioniert es bis heute.
Die Interessenlagen dahinter sind m.E. offensichtlich: für die reicheren EU-Länder und ihre Kapitalisten ‘billige Arbeit’, extreme Ausbeutung, für die osteuropäischen Länder Export ‘überschüssiger Arbeitskraft’. Gibt viele Studien dazu, will hier kein Seminar abhalten.
Etwas mehr ‘historisch-materialistische’ Analyse wg. dieser Entwicklungen fände ich gut. Mir scheint, es wird eher moralisch argumentiert (Empörung über diese Verhältnisse finde ich richtig). Aber weniger darauf geblickt und analysiert, weshalb es in den letzten Jahrzehnten so gekommen ist. Und der Beitrag der EU-Politik dazu bleibt weit gehend außen vor … Etwas seltsam bei einem Blog namens ‘Lost in EU’, finde ich.
ebo
29. Juni 2020 @ 21:27
Vielleicht lesen Sie das hier mal: Toennies oder das asoziale EUropa