Was für ein wahrhaft unabhängiges Europa nötig wäre
Neuerdings ist in Brüssel viel von einem “unabhängigen Europa” die Rede. Doch die nötigen Schritte in der Sicherheitspolitik werden nicht einmal angedacht.
Ein “unabhängiges Europa” – das hat EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in ihrer Rede zum Karlspreis gefordert. Ihr Rüstungskommissar Kubilius hat dies aufgegriffen und erste Pläne vorgestellt.
Allerdings bezieht sich die “Unabhängigkeit” bei dem Litauer nur auf Russland, das er nach Art der baltischen Hardliner niederringen will. Von der Leyen hingegen hat auch eine militärische Unabhängigkeit von den USA angedeutet.
Wirklich ernst gemeint war dies aber wohl nie. Dies zeigt ein Blick auf von der Leyens Politik: Die 150prozentige deutsche Transatlantikerin hat die EU in den letzten fünf Jahren abhängiger von den USA gemacht denn je zuvor.
Im Irak-Krieg war man weiter
Doch nehmen wir mal an, man wolle tatsächlich ein unabhängiges Europa schaffen. Dann wären ganz andere Schritte nötig als jene, die von der Leyen und Kubilius nun ankündigen.
Sie zu benennen, fällt nicht schwer – denn über all das, was nötig wäre, wurde in der EU schon während des Irak-Kriegs diskutiert; auch in der Nato gab es bereits ähnliche Debatten.
Altkanzler Schröder und Ex-Präsident Chirac haben 2003 über einen Gegenentwurf zur US-geführten Militärallianz nachgedacht. Erster Schritt: ein eigenständiges, europäisches Hauptquartier.
Wo bleibt der “europäische Pfeiler”?
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Darauf konnte man sich damals zwar nicht einigen. Aber ohne ein eigenes HQ macht auch die heutige “Koalition der Willigen” keinen Sinn. Die traf sich zuletzt allerdings bei der Nato – von Unabhängigkeit keine Spur!
Dass man es mit der Eigenständigkeit nicht so ernst meint, zeigt auch der mögliche zweite Schritt: der Aufbau des viel beschworenen “europäischen Pfeilers” in der Nato – mit europäischem Oberbefehlshaber.
Doch das ist in Brüssel kein Thema. Denn man hat sich ja längst mit dem amerikanischen Oberbefehlshaber für Europa – dem sog. SACEUR – arrangiert. Er soll die USA bei der Stange halten – Austausch unerwünscht!
Der größte Bremser ist Deutschland
Das dritte Beispiel handelt vom Geld. Statt, wie nun geplant, die Rüstungsausgaben für die Nato von bisher zwei auf irre 5 Prozent zu erhöhen, wie dies US-Präsident Trump fordert, würde eine unabhängige EU ihr eigenes Budget steigern.
Die Beiträge für die EU liegen derzeit knapp über 1,1 Prozent des BIP. Warum steigert man sie nicht auf 2,5 Prozent – und deckelt die Nato auch bei 2,5? Das wäre ein echtes Signal der Gleichberechtigung…
Doch das ist nicht erwünscht – vor allem nicht in Berlin. Deutschland hat schon 2003 einen Rückzieher gemacht. Nun ist es wiederum Deutschland, das die Nato umwirbt und die EU kurz hält. Nicht mal für Europas “Wiederbewaffnung” will man Geld geben.
Kanzler Merz hat nämlich ganz andere Pläne als ein “unabhängiges Europa”: Er will die größte Armee Europas aufbauen und in der EU die “Führung” übernehmen – dabei zählt er offenbar auf die Hilfe der USA…
european
8. Juni 2025 @ 22:47
Noch als Ergänzung :
Ich meine damit nicht Ebo’s Ausführungen in seinem Artikel. Ich beziehe mich auf die Aussagen seitens der Politik.
Mein Posting kann sonst missverstanden werden.
european
8. Juni 2025 @ 22:35
Es gibt keine Unabhängigkeit. Nirgendwo.
So einfach ist das und man sollte sich diejenigen sehr genau ansehen, die diesen Bullshit zum eigenen Nutzen verbreiten.
Helmut Höft
5. Juni 2025 @ 10:31
Doch die nötigen Schritte in der Sicherheitspolitik werden nicht einmal angedacht. Das ist der Punkt: Aufrüsten aber in der Kaserne bleiben, raus geht’ nicht wegen Infrastrucktur, Brücken usw. “Sicherheit” först, die eigene Bevölkerung sekend. (Die “eigene Sicherheit” ist nichts anderes als die ultimative Aufforderung an die Gegenseite zu rüsten … für “Sicherheit”! Jetzt komme mir bloß keiner mit Diplomatie.)
Politik live: “Keine Angst, wir machen was! Wir wissen nicht genau was, aber: Wir machen was, auf uns ist Verlass!”
Skyjumper
4. Juni 2025 @ 21:03
Was für ein wahrhaft unabhängiges Europa nötig wäre?
Eine weitgehende Rückabwicklung der Institution EU. Diesem übergestülpten Zwangskorsett. Dem wahrhaften Bremsklotz souveräner Staaten in Europa, deren Wettbewerb um das beste Konzept, die besten Köpfe und die beste Ideologie überhaupt erst den Anreiz für Weiterentwicklungen und Diversität in allen Bereichen schaffen würde.
Die Unabhängigkeit wäre dann sozusagen ein Kollateralschaden.
Michael
4. Juni 2025 @ 20:02
Die BRICS+ denken und planen in Größenordnungen wie z. B. Eurasien und Globaler Süden. Eurasien: einschl. ein Großteil Ost-Europas. Merz denkt konventionell als Führer Deutschlands und der EU. EU: West-Europa. UvdL will im Atlantik lauwarm baden. Washington sieht sich auf Augenhöhe mit Moskau und Peking, und findet die EU unerträglich und zeigt erste Anzeichen dass die NATO nurmehr ein historischer Anachronismus ist.
Guido B.
4. Juni 2025 @ 19:35
Für ein wahrhaft unabhängiges Europa wären erforderlich:
1) Verzicht auf selbstzerstörerische Expansion
2) Verzicht auf selbstzerstörerischen (Doppel)Moralismus
3) Verzicht auf selbstzerstörerische Konfrontationen
4) Rückkehr zu einer inklusiven Friedens-, Wohlstands- und Sicherheitspolitik
5) Stärkung des Pluralismus und der demokratischen Teilhabe
6) Emanzipation von US-amerikanischen Hegemonieansprüchen
Europa braucht dringend Eliten, die wieder Optimismus verbreiten, indem sie zeigen, was das Leben in Europa attraktiv macht.
Die Militarisierung Europas, egal in welcher Form, verbreitet nur Tristesse und Pessimismus. Niemand will in einem Europa leben, das von Angst und Hass überwältigt wird.
Arthur Dent
4. Juni 2025 @ 20:07
“Europa braucht dringend Eliten, …”
Ich denke, Eliten sind das Problem, nicht Teil der Lösung.
Biedere Hinterwäldler wie ich kommen gar nicht auf die Idee andere Länder zu überfallen.
ebo
4. Juni 2025 @ 20:33
Sicher, da würde mir auch noch viel einfallen. Aber hier ging es um Maßnahmen, über die die EU seit 20 Jahren spricht und die auch sofort machbar wären.
Dass sie nicht umgesetzt werden, zeigt, wie ernst es von der Leyen & Co. meinen mit ihrem “unabhängigen Europa” – nämlich gar nicht.
Ales
5. Juni 2025 @ 07:31
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass jene Europäisierungs- und Governenceprozesse, die uns einst in den 90ern überzeugend vermittelt wurden, nie ihren Abschluss fanden. Insbesondere die EU-Armee und die Fiskalunion blieb aus. Zu diesem Zeitpunkt ging dem EU-Motor leider schon die Luft aus.
Und ich sah die Idee einer europäischen Armee stets positiv, als ein interessantes Vehikel für Kulturaustausch bei jungen Leuten, in dem Soldaten die Gelegenheit bekamen, z.B. in anderen Ländern der EU Dienst zu tun oder Ausbildung zu erhalten.
An ein russophobes, neoliberales und börsennotiertes Bollwerk unter der Ägide von gänzlich inkompetenten und teilweise derangierten Politikern, dachte ich dabei allerdings nicht. Zuerst müssen die transatlantischen, elitären Elemente zurückgedrängt werden, dann erst kann Europa genesen. Und das wird Zeit und Schmerz kosten.
KK
5. Juni 2025 @ 00:39
@ Guido B.:
“Für ein wahrhaft unabhängiges Europa wären erforderlich:
1) Verzicht auf…”
… das derzeitige aus einem korrumpierten Parteiensumpf requirierte nationale und EUropäische/Brüsseler Spitzenpersonal und Ersetzung desselben durch unabhängige, ausschliesslich dem Gemeinwohl verpflichtete Köpfe.