Was das Europaparlament jetzt tun sollte

Im Streit um die Spitzenkandidaten will sich das EU-Parlament nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Vier Fraktionen erarbeiten nun eine Art Koalitionsprogramm, das den Weg nach vorn weisen soll. Dabei gäbe es Wichtigeres zu tun – z.B. eine Jugend- und Klimakonferenz.

Ab Mittwoch tagen im EU-Parlament fünf Arbeitsgruppen, die das gemeinsame Programm erarbeiten sollen. Eingeladen sind nur vier etablierte Parteien – konservative EVP, sozialdemokratische S&D, Grüne und Liberale. Alle anderen müssen leider draußen bleiben.

Ziel der Übung ist es, den Staats- und Regierungschefs zuvorzukommen und einen Text vorzulegen, der dann auch den EU-Gipfel am 20. und 21. Juni bindet. Die Abgeordneten wollen den „politischen Prozess“ zur Ernennung einer neuen EU-Kommission steuern, sagen sie.

Doch dabei stehen sie nicht nur unter enormem Zeitdruck – es bleibt kaum eine Woche, um sich zu einigen. Ein Koalitionsprogramm würde auch die Unterschiede zwischen den Parteien verwischen – und damit den Wählerwillen verwässern.

Am Ende stünde womöglich eine GroKo wie in Berlin – aber ohne Kanzler(in). Denn der Streit um die Spitzenkandidaten schwelt ja weiter. Wer soll sich in einem solchen Prozess wiedererkennen? Und warum sollte es der Brüsseler GroKo besser ergehen als ihrem Berliner Vorbild?

Vor allem die Wahlgewinner – Liberale und Grüne – müssen bei diesem Verfahren um ihr Profil fürchten. Sie müssen Kompromisse eingehen, bevor ihre neuen Abgeordneten die Arbeit aufgenommen haben! Die kommen nämlich erst Anfang Juli zu ihrer ersten Sitzung zusammen.

Derweil geht die Kungelei zwischen Konservativen und Sozialdemokraten munter weiter. Dabei gäbe es Wichtigeres zu tun. Statt sich auf die Machtspiele einzulassen, sollte das Europaparlament selbstbewußt auftreten und seinen Aktionsradius erweitern. Hier drei Vorschläge:

  • Das Budgetrecht erkämpfen. Bisher darf das Parlament nur das Budget absegnen, das Kommission und Rat vorgeben – mit ein paar kleinen Änderungen. Bei den im Herbst anstehenden Verhandlungen über das neue EU-Rahmenbudget 2021-2027 hat es nichts zu melden. Das muß sich ändern!
  • Take (back) control on Brexit. Bisher über das Parlament nur indirekt Einfluß auf den britischen EU-Austritt aus; es muß den fertigen Austrittsvertrag ratifizieren. Doch dieser Vertrag ist brüchig geworden, wie man jeden Tag in London besichtigen kann. Warum übernehmen die Abgeordneten nicht die Kontrolle?
  • Jugend- bzw. Klimakonferenz einberufen. Bei der Europawahl hat sich gezeigt, dass ein Riss durch die Generationen geht. Die Jugend wählte in vielen Ländern grün – und sie fordert radikale Entscheidungen zum Klimaschutz. Warum beruft das Parlament keine Konferenz ein, um auf diese Krise zu reagieren?

Schon klar, all das geht über den Rahmen des bisher in Brüssel bzw. Straßburg Üblichen hinaus. Aber genau darum geht es ja nach dieser Wahl: statt „Business as usual“ braucht die EU einen Neustart. So interpretiere ich jedenfalls das Wahlergebnis…

Siehe auch „Die Wahl der Chefs“

[yasr_visitor_votes null size=“medium“]