Warum ich SPON boykottiere
Ich habe mich entschlossen, SPON ab sofort nicht mehr auf diesem Blog zu zitieren. Ich hatte schon lange Bauchschmerzen mit “Spiegel online” – wegen der völlig überdrehten Zeilen, der dünnen Recherche, dem penetranten Hype und der deutschnationalen Brille, in der die EU nur noch als Brüsseler Bürokratenmonster taugt. Eine seriöse Quelle war das schon lange nicht mehr, auch wenn es alle Journalisten und (fast) alle Blogger lesen.
Doch was da heute über die neue Wendung in der Griechenland-Krise verbreitet wird, macht mir den Abschied leicht.
“Noch zwei Jahre mehr zum Nichtstun”, heißt der Kommentar, der uns da von J. A. Heyer mit der Ortsmarke Athen aufgetischt wird. Aus Hamburg hätte man darüber vielleicht noch hinweggelsen. Aber aus Athen? Kennt die Korrespondentin nicht die drakonischen Auflagen, mit denen die “zwei Jahre Nichtstun” verbunden sind (siehe “zwei Jahre für wen?”)? Hat sie noch nie was von einem Spardiktat gehört? Ignoriert sie die Troika-Berichte, die Kürzungen bei den Sozialleistungen fordern (siehe “Wie die Troika arbeitet”)?
Die Schuld nur bei den griechischen Politikern zu suchen, und kein Wort über Merkel und Schäuble zu verlieren, die Griechenland per Sperrkonto zur EU-Kolonie machen wollen, ist billiger deutschnationaler Populismus. Mit Journalismus hat das nichts mehr zu tun. Good-bye, SPON!
ebo
24. Oktober 2012 @ 20:44
@ Gerd Weghorn Mit dem Forum von SPON habe ich ganz andere Erfahrungen gemacht. Zudem stelle ich seit einiger Zeit fest, dass die Seite immer schlechter wird – vor alle, was EU- und Euro-Themen betrifft. Aktuelle und exklusive News finden sich zunehmend bei der Süddeutschen, manchmal auch bei der FAZ, und natürlich bei der FTD. Am besten ist man aber informiert, wenn man FT, NYT und griechische Dienste liest. Genau deswegen habe ich heute so sauer reagiert, denn bei den “anderen” wird dokumentiert, dass das “zwei Jahre Nichtstun” mit drastischen Auflagen für Griechenland verbunden ist, Stichwort Sperrkonto. Das einfach auszublenden, ist schiere Demagogie…
Gerd Weghorn
24. Oktober 2012 @ 18:41
Ich würde empfehlen, diese Entscheidung zu revidieren.
SPON ist zweifellos eine journalistische Institution, die den Mainstream in Deutschland abbildet und bedient, doch habe ich im Forum http://forum.spiegel.de/member.php?u=130655 Beiträge unterbringen können, die von DIE ZEIT-Online sofort gecancelt und in letzter Instanz mit dem totalen Veröffentlichungs-Verbot geahndet worden sind.
Man sollte an diese Massenmedien mit professioneller Distanz, also sine ira et studio, herangehen, gegründet auf der Erkenntnis, dass Beiträge wie der hier kritisierte unbedingt dafür genutzt werden sollten, durch einen Forumsbeitrag eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen.
Ich erwarte von SPON nicht, dass es meine Meinung vertritt und meinen Interessen dient, ich erwarte von der Redaktion nur, dass sie die Gewährleistung der Pressefreiheit auch als Verpflichtung betrachten, Andersdenden das Grundrecht auf Entäußerung und Verbreitung ihrer Meinung zu ermöglichen.
Und dieser Grundrechte-Verpflichtung des Art. 5 GG wird die Redaktion von SPON-Forum im Großen und Ganzen gerecht – was, wie gesagt, nicht selbstverständlich ist im deutschen Pressewesen.
Jochen Kiess
5. November 2012 @ 15:00
Sehr geehrter Herr Weghorn,
ich verstehe Ihre Position ebenso gut wie die des Herrn Bonse. Auch ich trage mich mit dem Gedanken, SPON von meiner täglichen Lektüre auszunehmen. Wie Sie treffend feststellen, ist SPON zweifellos eine journalistische Institution, die den Mainstream in Deutschland abbildet und bedient. Und genau hierin liegt das Problem.
Denn SPON ist heute so weit von unabhängiger, kritischer, intellektueller und zum Nachdenken animierender Berichterstattung entfernt wie die Freien Liberalen vom Liberalismus Ihrer GründerInnen.
Ich bin fast dazu verleidet zu behaupten, SPON, und zunehmend auch Der Spiegel, sind heute nicht viel mehr als eine BILD für vermeintlich Intellektuelle oder wie es manche auch umschreiben: von einem Sturmgeschütz der Demokratie zu einer Disko-Nebelkanone des Neoliberalismus verkommen ist..
Der Grad der Interessenbedienung und eines kaum verhohlenden und z.T. zynischen Populismus, gepaart mit verdecktem Lobbyismus, ist m.E. nur noch einen intelektuellen Wimpernschlag von der untersten Schublade einer BILD entfernt.
Wenn nun manche Menschen glauben, durch Forumsbeiträge eine Gegenöffentlichkeit herzustellen, halte ich das für schlicht naiv.
Zum einen, weil diese Beiträge zumeist nur von den Menschen gelesen werden, die dort selbst dazu beitragen. Und zum anderen, weil die übrigen Leser eine veschwindend kleine Minderheit sind.
Was bei 99% der Leser haften bleibt ist lediglich die Schlagzeile und vielleicht noch die Headlines des SPON Artikels, mehr nicht.
Machen Sie mal eine Selbsttest und Lesen eine Woche lang statt SPON die Bild Online.
Wenn Sie dann wieder zu SPON zurückkehren, werden Sie feststellen, dass es sich hier nur noch um graduelle Unterscheide handelt, mit wenigen Ausnahmen wie z.B. Augstein.
Und überhaupt, wer sich nicht aus beruflichen Gründen mit Mainstream (z.B. Soziologen oder Berufspolitiker), Journalismus oder Institutionell damit befassen muss, was bringt denn dann allen anderen, ganz persönlich und individuell, die Lektüre von SPON?
Ich bin – für mich ganz persönlich – zu dem Schluss gekommen: fast nichts mehr bzw. zunehmend immer weniger. Ich ärgere mich sogar zunehmend über mich selbst, dass ich wegen vielleicht zwei oder drei guter Artikel pro Woche den ganzen übrigen Schotter querlesen muss um dann festzustellen, dass in Foren wie diesem hier, genau diese Artikel dann intertextuell auftauchen (siehe z.B. der Zeit Artikel über die “Europhoriker” und dessen Verarbeitung hier im Blog) und ich mir die Mühe und den Verdruss der SPON Lektüre hätte sparen können, ganz abgesehen von der vertanen Zeit bei SPON statt in Blogs wie diesem hier oder einigen anderen.
Ich jedenfalls weis schon jetzt, dass ich über kurz oder lang und zwangsläufig zum gleichen Entschluss wie Herr Bonse gelangen werde, denn wer will sich schon mit 10000 Worten propagandaähnlichem und boulevardeskem Journalismus abgeben um dann letztendlich 100 Worte an einigermassen ordentlichem herauszufiltern? Ich jedenfalls nicht.