Warum Barley nun doch für von der Leyen stimmen will

Im Juli haben die deutschen Sozialdemokraten noch gegen Kommissionschefin von der Leyen (CDU) Front gemacht. Nun wollen sie ihrem Team zustimmen – wie kam es zu diesem Sinneswandel? Ein Interview mit Katarina Barley (SPD).

Die neue EU-Kommission steht, jetzt fehlt nur noch das grüne Licht aus dem Europaparlament. Wie schätzen Sie das Team um Ursula von der Leyen ein?

Ich habe weiter Bedenken, vor allem mit dem Dossier Ungarn. Dass Ungarn die Zuständigkeit für die EU-Erweiterung bekommt, halte ich nach wie vor für falsch. Es kann doch nicht angehen, dass ein Land, das selbst Probleme mit dem Rechtsstaat hat, nun über Fortschritte bei der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei und auf dem Balkan wachen soll. Außerdem ist das französische Dossier immer noch zu groß. Der neue Binnenmarktkommissar Thierry Breton soll sich um zu viele, sehr unterschiedliche Themenfelder kümmern.

Breton soll neben dem Binnenmarkt auch die Industrie, die Rüstung, den Weltraum und digitale Themen betreuen. Warum hat das Europaparlament das nicht verhindert?

Das kommt ja nicht aus dem Parlament, das ist die Denke der Regierungen. Ein großes Land fordert für seinen Kommissar so viele Kompetenzen wie möglich. Wir erleben eine Machtverlagerung von der Kommission zum Rat (der Vertretung der EU-Mitgliedsländer, Red.). Da kann man sich als Parlament nicht zu hundert Prozent durchsetzen. Dennoch haben wir einiges erreicht.

Was steht denn auf der Habenseite?

Wir Sozialdemokraten haben beispielsweise durchgesetzt, dass der Migrationskommissar nicht mehr für den “Schutz der europäischen Lebensweise“ verantwortlich ist, sondern für deren Förderung. Damit ist klar, dass es nicht um eine Abschottung der EU vor Migration gehen soll, wie es vorher aussah. Außerdem haben wir das Aufgabenportfolio für den künftigen Sozialkommissar Nicolas Schmitt geändert. Er ist nun nicht nur einfach für mehr Jobs verantwortlich, sondern auch für Soziale Rechte. Das ist ein wichtiger Unterschied zu den Marktliberalen!

Reicht das, um der neuen EU-Kommission zuzustimmen? Im Juli haben Sie noch gegen von der Leyen gestimmt… 

Ja, ich musste mit Nein stimmen. Dabei mag ich sie persönlich, wir kennen uns gut und haben auch in Brüssel noch Kontakt. Aber diese grundsätzliche Entscheidung ist gefallen, jetzt geht es um die Kommission. Es ist wichtig, dass wir endlich loslegen können. Wir stehen alle in den Startlöchern, und wir sind guten Willens. Das Europaparlament ist sehr konstruktiv!

Das müssen Sie erklären. In vielen Hauptstädten heißt es, das neue Europaparlament sei völlig außer Kontrolle, man könne sich auf nichts mehr verlassen…

Dass es in den letzten Wochen so turbulent zuging, hat sich der Rat leider selbst zuzuschreiben. Er ist wenig respektvoll mit dem Parlament umgegangen und vom Spitzenkandidaten-Prinzip abgewichen. Der Rat hat dies sehenden Auges getan: Das Parlament hat 2018 sogar einen Beschluss gefasst, in dem es den Rat warnt, dass es nach der Europawahl nur eine oder einen Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten wählen wird. Deshalb mussten wir uns wehren. Aber mittlerweile gibt es eine konstruktive Zusammenarbeit mit von der Leyen. 

Die neue Kommissionspräsidentin hat aber noch keine eigene, proeuropäische Mehrheit, wie ihr Amtsvorgänger Jean-Claude Juncker. Die große Koalition zwischen Konservativen und Sozialdemokraten ist zerbrochen…

…aber es gibt immer noch eine sehr vernünftige Mehrheit im Europaparlament. Allerdings ist sie kein Selbstläufer mehr. Man muss sich die Mehrheit von Fall zu Fall erarbeiten, so ist das nun einmal in der Demokratie!

Dies ist die gekürzte Fassung eines taz-Interviews, die Langfassung steht hier. Siehe auch den Beitrag zum Nein der Linken