Von Konvergenz zu Divergenz – wie der Euro spaltet
Für die Weltbank war die EU lange ein Modell für gute Wirtschaftspolitik – weil sie bei der Konvergenz (der Angleichung der Lebensverhältnisse) Vorbildliches leistete. Doch das ist vorbei – zerfällt die Union?
Mit dieser Frage beschäftigte sich eine Tagung im Brüsseler Thinktank CEPS. Wobei der Zerfall nicht auf der Tagesordnung stand. Die meisten Referenten redeten über “Strukturreformen”, die den Abgehängten helfen sollen.
Nur der frühere EU-Sozialkommissar Andor nahm den Stier bei den Hörnern – und wies auf die unangenehmen Fakten hin. Trotz aller Konvergenz, so seine These, haben sich die Lebensverhältnisse in Europa immer noch nicht angeglichen.
Im Gegenteil: Beim BIP, bei den Löhnen und bei der Technologie gibt es immer noch riesige Unterschiede. Bulgarien und Luxemburg trennen Welten, der Niedriglohnsektor verliert zunehmend den Anschluss, auch in Deutschland.
Hinzu kommt der Bevölkerungsschwund in Osteuropa – wegen Überalterung, aber auch wegen der (von Brüssel und Berlin forcierten) Abwanderung nach Westen. Zurück bleiben die Unzufriedenen, die Nationalisten und Populisten wählen…
So richtig akut wurde das Problem allerdings nicht, wie man erwarten könnte, mit der Osterweiterung 2004, sondern mit der globalen Finanzkrise ab 2008. Seitdem wird der Abstand zwischen Gewinnern und Verlierern immer größer.
Am schlimmsten ist die Kluft in der Eurozone, die offenbar mit falscher Wirtschaftspolitik (Austerität und Sozialabbau) auf die Krise reagiert hat, so Andor. Deutlich wird dies im Vergleich zu Nicht-Euroländern, aber auch zu den USA.
Dort ist die Arbeitslosigkeit viel schneller zurückgegangen als in den Euro-Krisenländern, auch die Nicht-Euroländer schnitten besser ab. “Dies wirft die Frage auf, ob der Euro die EU wirklich eint”, so Andor. De facto hat er sie gespalten!
Und daran dürfte sich auch nicht so schnell etwas ändern. Denn vor allem Deutschland ist nicht bereit, aus diesen Problemen Konsequenzen zu ziehen und die Währungsunion zu reformieren. Frankreichs Vorschläge sind im Sande verlaufen…
Peter Nemschak
9. Oktober 2018 @ 22:09
Die Angleichung der Lebensverhältnisse darf nicht durch Umverteilung bestehender wirtschaftlicher Leistungskraft der Starken an wirtschaftlich schwache Mitgliedsstaaten sondern muss durch ein Angleichung der wirtschaftlichen Leistungskraft der Nachzügler an die Starken erfolgen. Ersteres ist politische Illusion und rote Utopie.
Stefan Frischauf
14. Oktober 2018 @ 16:38
“Politische Illusion und rote Utopie” hin oder her: Das “Europa der zwei Geschwindigkeiten” spaltet sich immer mehr auf. Und da kann man guten Mutes durchaus mal zwei Begriffe nebeneinander stellen:
Korruption und Verwaltungsüberhang:
Korruption ist zumeist dort am stärksten, wo staatliche Autorität schwach ausgebildet ist. In „der Fläche“, „der Region“ also vorwiegend. Wo der Staat allzu häufig auch mangels Interesse und Handlungskraft gegen bestehende feudalwirtschaftliche (Clan-)Strukturen nie ankam. Wo sich insofern auch im Rahmen der „Globalisierung“ „Schattenwirtschaft“ und „Parallelgesellschaft“ zusätzlich etabliert haben.
“Verwaltungsüberhang” ist zumeist im Gegensatz dazu an „zentralen und verdichteten Orten“ zu finden. Die Bürokratie nimmt Überhand und verwaltet ihre eigenen Regelwerke überspitzt gesagt mit abnehmender Effizienz im realwirtschaftlichen Output. Ob dies dabei a) vorsätzlich geschieht oder b) einem überbordenden Rechtswesen geschuldet ist, das somit den Bürger mehr verwirrt, bisweilen auch schikaniert und „den gesunden Menschenverstand“ weitgehend nicht unbedingt unter positiver Kontrolle hält – das ist im jeweiligen Fall zu untersuchen. Mittels Leit- und Richtlinien und der entsprechend erforderlichen Kompetenz.
Und unter einem entsprechend neu herauszubildenden Leitmotiv und den entsprechenden programmatisch herauszubildenden Zielsetzungen.