Die Transferunion ist längst Realität

Wird aus der Währungs- eine Transferunion? Dies scheint die Hauptsorge von Kanzlerin Merkel zu sein. Dabei findet der realwirtschaftliche Transfer zwischen Ländern und Regionen statt – bei den Arbeitsplätzen und bei der Wertschöpfung. Dies kann zur Gefahr für den Euro werden, wie das Beispiel Italien zeigt. – Ein Gastbeitrag.

Von Joachim Schuster*

Die europäische Reformdiskussion nimmt Fahrt auf. Der französische Präsident Macron hat im September letzten Jahres mit ambitionierten Vorschlägen zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion die Debatte eröffnet. Die Kernbotschaften sind: Mehr europäische Investitionen als Alternative zur restriktiven Stabilitätspolitik, eine stärkere europäische Souveränität zur politischen Regulierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik und eine europäische Absicherung des Euros.

Bundeskanzlerin Merkel hat neun Monate später ihre Vorstellungen zur Festigung des Euros dargelegt, wobei sie manche der Vorschläge vordergründig aufgenommen hat. Allerdings weigert sich Merkel, von der radikalen Stabilitätspolitik abzuweichen. Von deutscher Seite wird immer wieder betont, dass die Währungsunion nicht zu einer Transfer- und Schuldenunion führen darf.

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Das klingt vernünftig und findet breite Unterstützung bei der deutschen Bevölkerung. Dennoch sind diese Forderungen eine Realitätsverweigerung.

Die wirtschaftliche Entwicklung und die Haushaltsentwicklung eines Staates in der Euro-Zone hängen, soweit sie im Rahmen einer Globalisierung überhaupt politisch gesteuert werden können, vom Zusammenspiel der nationalen und der europäischen Politik ab.

Denn erstens verfügen die Euro-Staaten nicht mehr über die dazu notwendigen wirtschaftspolitischen Kompetenzen, weil die Geld- und Währungspolitik seit 1998 auf die Europäische Zentralbank übertragen wurde. Zweitens ist es im Binnenmarkt sogar rechtlich verboten, den eigenen nationalen Wirtschaftsraum gegenüber den anderen Mitgliedstaaten abzugrenzen.

Damit kann aber ein einzelner Mitgliedstaat auch nicht mehr für seine Situation allein verantwortlich gemacht werden. 

In einem gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraum bildet sich zudem im Zeitverlauf eine neue wirtschaftliche Arbeitsteilung heraus, was sich etwa an der Verschiebung von Arbeitsplätzen in  die osteuropäischen Staaten zeigt. Diese Veränderungen sind einerseits die Grundlage der Wohlfahrtsgewinne in einigen Ländern, andererseits erzeugen sie aber neue wirtschaftliche Abhängigkeiten in anderen Ländern.

Neue europäische Arbeitsteilung

Die neue europäische Arbeitsteilung heißt also letztlich Transferunion, weil sie einen realwirtschaftlichen Transfer von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung zwischen den Regionen und Ländern bewirkt. 

Trotz fehlender finanzpolitischer Kompetenzen der EU entsteht über den Binnenmarkt und die Währungsunion zudem eine europäische Finanzpolitik. Diese ist derzeit abhängig von den Kräfteverhältnissen in der EU.

In den letzten Jahren konnte Deutschland als ökonomisch stärkstes Land im Verein mit anderen Mitgliedstaaten mit ähnlich gelagerten Interessen, die Leitlinien der europäischen Finanzpolitik maßgeblich bestimmen. Das Resultat war die absolute Stabilitätsorientierung, die allerdings den Interessen anderer Mitgliedstaaten zuwider läuft.

Italien hat ein Wachstumsproblem

Am Beispiel Italiens zeigt sich dieser Zusammenhang besonders deutlich. Italien hat weniger ein Schulden- als vielmehr ein Wachstumsproblem. Trotz erheblicher und auch erfolgreicher Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung kommt das Land nicht von seinem Schuldenberg herunter, weil schlicht das Wachstum zu niedrig ist.

Die Aufrechterhaltung der Fiktion der Eigenverantwortung führt an den Kapitalmärkten dazu, dass Italien höhere Zinsen für seine Staatsschulden bezahlen muss, als der Durchschnitt der Euro-Länder. Das erschwert zusätzlich die Haushaltskonsolidierung.

Enorme Krisengefahren 

Wer nun immer wieder betont, dass dies eben allein ein Problem Italiens sei, braucht sich nicht zu wundern, wenn dort euroskeptische politische Kräfte mehrheitsfähig werden. Diese Parteien verfügen dann über ein hohes Erpressungspotenzial gegenüber den anderen Euro-Ländern, weil ein Ausscheren aus der bisherigen, einseitigen Stabilitätsorientierung enorme Krisengefahren für die Eurozone beinhalten würde.

Am Anfang einer solchen Krise stünden zunächst Zinserhöhungen für italienische Staatsschulden, gefolgt von Bankenzusammenbrüchen bis hin zur drohenden Staatsinsolvenz. Es ist ein ähnliches Muster wie zu Beginn der letzten Finanzkrise 2007. Eine derartige Krise würde sehr schnell deutlich machen, dass italienische Schulden faktisch auch europäische Schulden sind, ob wir nun eine Schuldenunion verbal ablehnen oder nicht.

Was sind die Alternativen?

Was sind die Alternativen? Der Austritt aus dem Euro oder die sogenannte geordnete Staatsinsolvenz sicher nicht, da erhebliche realwirtschaftliche Strukturbrüche zu erwarten wären, die sich krisenhaft vollziehen würden.

Damit bleibt eine Veränderung der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik mit dem Ziel, auch die Interessen der bisherigen Verlierer-Staaten der Währungsunion abzubilden. Das ist im Kern das Ansinnen von Macron.

Und diese veränderte Politik muss keineswegs auf eine neue Dimension von innereuropäischen Finanztransfers hinaus laufen. Wachstum vereinfacht eine solide Haushaltsfinanzierung erheblich und ist auch ohne gesteigerte Neuverschuldung finanzierbar, wenn man, wie von Bundesfinanzminister Scholz vorgeschlagen, eine gerechte Besteuerung der internationalen Konzerne und Finanzmärkte durchsetzt.

Soll der Bestand des Euros und des Binnenmarktes gesichert werden, muss aber die deutsche Dominanz durch eine europäische Souveränität abgelöst werden. 

*Joachim Schuster (SPD) ist Mitglied des EU-Parlaments. Er kommt aus Bremen; mehr zu seiner Person hier (Homepage)