Von der Leyens lange Mängelliste, Frosts ernste Drohung – und Merkels späte Krönung

Die Watchlist EUropa vom 15. September 2021 –

Die EU ist in der Umwelt- und Klimapolitik nicht so vorbildlich, wie sich sich gerne gibt. Kurz vor der Rede zur Lage der Union, die Kommissionschefin von der Leyen am Mittwoch hält, wurden mehrere Mängel bekannt.

So ist die Schadstoff-Strategie, die die Kommission im Mai vorgelegt hatte, eine Mogelpackung. Das Versprechen „null Schadstoffe“ sei „weder technisch noch zu verhältnismäßigen Kosten erreichbar“, warnt das Centrum für Europäische Politik in Freiburg.

Die gleichzeitige Reduzierung von Schadstoffen und Treibhausgasen für Produktionsprozesse nach der Industrieemissionen-Richtlinie führe zu Doppelregulierung und Zielkonflikten – aber nicht unbedingt zu einem besseren Klima, wie Brüssel behauptet.

Auch der Kampf gegen die Waldrodung ist halbherzig. Die EU-Kommission will zwar im Dezember ein neues Gesetz vorlegen. Es soll verhindern, dass importierte Agrarprodukte etwa aus dem Amazonas-Gebiet in Brasilien zu Waldzerstörung beitragen.

Die nun bekannt gewordenen Dokumente lassen jedoch wenig Ehrgeiz erkennen. So werden Ökosysteme wie Savannen oder Moore in dem Entwurf erst gar nicht erfasst. Zudem soll das geplante Gesetz offenbar nicht für viel begehrte Agrarprodukte wie Leder, Kautschuk, Mais, Schweine- und Hühnerfleisch greifen.

“Die EU könnte sich jetzt durchringen, weltweiter Naturzerstörung konsequent entgegenzutreten”, sagt Gesche Jürgens, Wald-Expertin von Greenpeace. “Doch sie nutzt diese Gelegenheit nicht. Der Konsum Europas wird so weiterhin wichtige Naturräume auf der ganzen Welt zerstören.“

Kein Geld für Klima-Katastrophen

___STEADY_PAYWALL___

Einen Offenbarungseid mußte die EU-Kommission beim Kampf gegen Hochwasser und Waldbrände leisten. Der für die Flutkatastrophe in Deutschland und anderen EU-Staaten vorgesehene Finanztopf ist fast leer.

Die in diesem Jahr verfügbaren Gelder seien bereits nahezu vollständig vergeben, heißt es in einem Schreiben von der Leyens an den Europaabgeordneten Rasmus Andresen (Grüne).

Über die Probleme bei der Fluthilfe hatten wir in diesem Blog mehrfach berichtet. Es ist nicht nur nicht genug Geld da – die EU hat auch noch keinen Plan für die Anpassung an bzw. Vorbeugung der zunehmenden Klimakatastrophen. Von der Leyen präsentiert sich gern als Klimaheldin, doch sie handelt nicht oder zu spät.

Die Grünen fordern deshalb, das Tempo zu erhöhen. „VDL tut so, als hätte sich im Sommer nichts verändert“, kritisiert der grüne Europaabgeordnete S. Giegold. „Die Verschärfung der Klimarealität fordert aber eine Verschärfung der Maßnahmen“. Dazu legte Giegold auch Vorschläge vor.

Doch von der Leyen dürfte darauf nicht eingehen. Sie hat andere Steckenpferde. Am Mittwoch wird sie die „digitale Dekade“ ausrufen – und eine neue EU-Gesundheitsbehörde auf den Weg bringen. Die Kommissionschefin will überall mitreden, für Kritik hingegen ist sie kaum empfänglich…

Siehe auch „Back to the future“ (zur Rede zur Lage der Union)

Watchlist

Zieht London die Notfallklausel aus dem Brexit-Vertrag? „Ich rufe die EU auf, dies ernst zu nehmen“, sagte Brexitminister Frost im Oberhaus. Sie begehe sonst einen „ernsthaften Fehler“. Die Europäische Kommission müsse sich zudem auf echte Verhandlungen über das Nordirland-Protokoll einlassen. Es soll sicherstellen, dass es trotz des Austritts Großbritanniens aus der EU keine Warenkontrollen zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland gibt. Die EU ging auf die Drohung zunächst nicht ein.

Was fehlt

Die EU-Präsidentin Merkel. Der Berliner Thinktank ECFR kam auf die merkwürdige Idee, nicht nur nach Merkels „legacy“, sondern auch nach dem (fiktiven) Amt einer EU-Präsidentin zu fragen. Und siehe da: eine Mehrheit der Befragten würden die deutsche Kanzlerin wählen – und Frankreichs (echten) Präsidenten Macron verschmähen. Merkels nachträglicher Krönung steht also nichts mehr im Wege… – Die Umfrage ergab aber auch, dass es immer noch Vorbehalte gegen ihre Austeritäts-Politik gibt. Mehr dazu hier