VDL verspricht Wohlstand – und verordnet Austerität
Kommissionschefin von der Leyen soll die EU aus der Dauer-Krise holen. Dabei hat sie sie selbst mit verursacht. Was taugt ihr Programm für die zweite Amtszeit? – Teil sieben einer mehrteiligen Serie. Heute: Die Wirtschaftskrise.
Auf den ersten Blick ist es beeindruckend, was von der Leyen in ihrem Regierungsprogramm für die Wirtschaft verspricht. Eine “europäische Wohlstandsinitiative” kündigt sie an – mit einem “Clean Industrial Deal”, einem reformierten Binnenmarkt, einer vollwertigen Kapitalunion und (natürlich) Bürokratieabbau.
Damit, so frohlockt die CDU-Politikerin, werde sie Investitionen ankurbeln, Innovationen fördern und die unternehmerische Initiative erleichtern. “Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit” – unter diesem Motto hatte sie ihren Europa-Wahlkampf geführt und um bürgerliche Stimmen geworben.
Doch die meisten Wahlversprechen sind alter Wein in neuen Schläuchen. Bürokratieabbau hat schon der EU-Sonderbeauftragte Stoiber versprochen – er ist gescheitert. Über die Kapitalunion und den Binnenmarkt diskutiert die EU seit Jahren – ohne Fortschritte. Meist steht Deutschland im Weg.
Der “Clean Industrial Deal” ist nichts anderes als der “Green Deal”, nur unter einem neuen Etikett und ohne die (für einen Erfolg unverzichtbare) soziale Komponente. Ohne zusätzliche Investitionen wird er wenig bringen – die EU droht bei “Clean Tech” noch mehr hinter China und die USA zurückzufallen.
Doch woher das Geld für die Investitionen kommen soll, bleibt offen. Die Bundesregierung beharrt nicht nur auf der deutschen Schuldenbremse, sondern auch auf den neuen europäischen Schuldenregeln. Zudem lehnt sie ein weiteres EU-Schuldenprogramm nach Vorbild des Corona-Aufbaufonds ab.
Dabei braucht Deutschland konjunkturelle Impulse mehr als jedes andere EU-Land. Nach der Rezession im vergangenen Jahr stagniert die deutsche Wirtschaft 2024, so das Institut der deutschen Wirtschaft. “Der wirtschaftliche Ausblick für Deutschland bricht ein”, warnt das ZEW.
Dass die deutsche “Konjunkturlokomotive” ausfällt, ließe sich vielleicht noch verkraften, wenn die EU nicht auch noch auf der Fiskal-Bremse stehen würde. Die neuen Schuldenregeln, die ab Herbst zur Anwendung kommen, zwingen Frankreich, Italien und Belgien zu harten Kürzungen.
Kontraproduktive Sanktionen
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Die neue Chinapolitik, die von der Leyen zusammen mit US-Präsident Biden eingefädelt hat, dämpft den Handel mit der wichtigsten Wirtschaftsmacht. Die Folge: Deutschland und die EU werden noch abhängiger von den USA. Das “De-Risking” schlägt in “De-Coupling” von China um.
Und dann sind da noch die kontraproduktiven Wirtschaftssanktionen, die nach Russland nun zunehmend auch China und andere aufstrebende Länder treffen. Wobei die “Betroffenen” vor allem die deutschen und europäischen Firmen sind, die ins Hintertreffen geraten.
Fazit: Die wirtschafts- und finanzpolitischen Weichen wurden in von der Leyens erster Amtszeit derart falsch gestellt, dass sich der Schaden nun auch nicht mehr durch wohlklingende Programme beheben lässt. Die “europäische Wohlstandsinitiative” ist auf Sand gebaut.
“Die EU könnte zerbrechen”
Und das ist noch mild ausgedrückt. Experten wie der frühere EZB-Chef Draghi werfen der EU eine völlig verfehlte und überholte Wirtschaftspolitik vor. Kritiker wie der deutsche Ökonom H. Flassbeck warnen: “Europa wird hinten runterfallen und vielleicht sogar auseinander brechen” (Link zu YouTube)
Doch statt des überfälligen “radikalen Wandels” (Draghi) bekommen wir nur ein “Weiter so” – und die Rückkehr der fatalen Austeritätspolitik…
Die sechste Folge der Serie steht hier
european
16. August 2024 @ 12:40
Passend zum Thema ist der aktuelle Podcast von Milena Preradovic. Sie spricht mit Fritz Varenholt ueber die energiepolitischen Entscheidungen von EU und der Bundesregierung, ueber fatale wirtschaftliche Auswirkungen und weitere Preiserhoehungen, die bereits jetzt im System verankert, noch nicht sichtbar bzw. spuerbar sind, aber noch kommen werden.
https://youtu.be/EjCLBmz4ScQ?si=1h4-muM8amS3PaKs
Arthur Dent
14. August 2024 @ 15:22
Wohlstand haben ja noch alle versprochen, außer Wirtschaftsmini. Habeck. Für den war ja schon 2022 klar, dass wir alle ärmer würden. Es sieht so aus, als würde er recht behalten. Ihm können die Bürger ja Vorschläge unterbreiten, wo sich am besten Bürokratie abbauen lässt um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Kein Scherz.
Kennt eigentlich noch jemand “Tana-Land”? Tana-Land war ein virtuelles Entwicklungsland des Psychologen Dietrich Dörner. Dort lebten die Tupis und die Moros am Rande des Existenzminimums. Studenten
verschiedener Fachrichtungen sollten nun deren Lebensumstände verbessern. Nach kurzen Erfolgen endeten aber alle Versuche in Hungersnöten und anderen Katastrophen. War, Gott sei Dank, ja nur in Tana-Land. Von Zeit zu Zeit soll aber in Europa ein Gespenst umgehen. 🙂
exKK
15. August 2024 @ 02:10
„Für den [Habeck] war ja schon 2022 klar, dass wir alle ärmer würden. Es sieht so aus, als würde er recht behalten.“
Da halte ich gegen – Habeck selbst ist seit 2022 garantiert nicht ärmer geworden, und alle anderen in Regierung und Parlament garantiert auch nicht. Wer schlau und skrupellos genug war, hat spätestens während der Zeitenwende-Rede von Scholz aus seinem BT-Sessel heraus entsprechende Aktienkäufe getätigt und ist damit mutmasslich sehr viel reicher geworden…
Arthur Dent
15. August 2024 @ 11:04
Gemeint ist natürlich im Schnitt. Die politische und ökonomische Elite hat bei ihren Vermögen zugelegt, die Arbeiterklasse musste ihre “Villen im Tessin” leider aufgeben. Trotz ordentlicher Tariflohnabschlüsse (das sind bekanntlich ja die Inflationstreiber, nebst Taylor Swift) sind die Reallöhne wieder gesunken. Tja, Schicksal. Rentner können sich freuen, wer bereit ist, bis ins Grab zu arbeiten, dem winken Steuererleichterungen. Bekanntlich hat uns Russland ja das billige Gas abgedreht, wenn aber irgendwann am St.Nimmerleinstag der Grüne Wasserstoff (die ineffizienteste und teuerste Form der Energiegewinnung) wettbewerbsfähig werden sollte, dann wird die Welt so schön, schöner geht’s nicht. Auf grüner Au unter blauem Himmel friedlich grasende Kühe, im Hintergrund drehen sich die Windräder, vorne im Bild fröhlich spielende Kinder und freundlich lächelnde Erwachsene. Alle Probleme gelöst, welch ein schöner Traum! Bis es soweit ist, hat exkk Recht.
exKK
14. August 2024 @ 12:55
Solches personal bekommt man, wenn man die Spitzenposten nicht nach den persönlichen Fähigkeiten, sondern aufgrund ererbter Netzwerke vergibt. Das trifft ja nicht nur vdL – auch Charles Michel oder Kaja Kallas sind schon zwei mir bekannte aktuelle Namen mit entsprechendem Hintergrund.
Und generell ist es ja beliebt, zu Hause aufgrund erheblicher Minderleistungen eher hinderliche Politiker nach Brüssel wegzubefördern… auf vdL trifft indes beides zu, nicht wahr?
Michael
14. August 2024 @ 12:25
UvdL fehlt es an Verständnis. Sie kann nur in bürokratischen statt politischen und strategischen Kategorien zu denken. Daran kann die EU tatsächlich scheitern, aber nur um dann als politische Union wiederzuerstehen weil sie eine historische Notwendigkeit ist.
Skyjumper
14. August 2024 @ 13:06
Für mein Gefühl irrt @Michael wenn er das fehlende Verständnis für politische und strategische Kategorien unterstellt.
Ich sehe es vielmehr so, dass sehr wohl in politischen und strategischen Kategorien gedacht wird (und das durchaus auch bei anderen Führungspersonal in der EU), allerdings in Kategorien die viel auf “wünsch-dir-was” und wenig auf Realitäten beruhen.
Die EU denkt und tut so als sei sie die Vereinigten Staaten von Europa. Ist sie aber nicht. Und deshalb scheitern (zum Glück) noch immer viele Maßnahmen die in Brüssel erdacht werden, aber dann in 27 Bürokratien versanden.
Ich bin auch nicht der Meinung dass eine politische Union, die am Ende nichts anderes als die Vereinigte Staaten von Europa wäre, eine historische Notwendigkeit sei. Im Sinne demokratischer Gesellschaften sehe ich eher die Erfordernis große staatliche Subjekte wie DE und FR in kleinere Subjekte zu teilen. Große Staatssubjekte sind nur positiv für die politische Führung und die Großkonzerne. Für die Bürger, für Klein- und Mittelstandsunternehmen sind kleinere Staatssubjekte sehr viel vorteilhafter.
Allerdings sehe ich hier sehr wohl die (aus meiner Sicht) Gefahr, dass @Michael in diesen Punkt mit seiner Prognose Recht behält. Auch wenn auch das ein weiterer Punkt wäre der an den Wünschen udn Erwartungen der Masse der Bürger in der EU vorbeigeht. Die Vereinigten Staaten von Europa wären in DE vielleicht noch mehrheitsfähig – in anderen Staaten ist da durchaus Widerstand zu erwarten. Die Europäische Verfassung konnte nicht umsonst nicht wie vorgesehen in Kraft treten, sondern mußte durch die HInterzimmer-Schmalspur-Verträge von Lissabon ersetzt werden.
Michael
14. August 2024 @ 17:29
Wunschdenken ohne reale Basis ist nur Kosmetik, Camouflage. Wenn Sie das als Politik und Strategie bewerten wollen meinetwegen. Für mich ist es nur taktisches Kalkül.
“Vereinigte Staaten von Europa” als historisch vorbelastete “Vereinigte Staaten von Amerika” wird es nicht geben. Aber nach Auflösung der europäischen Nationalstaaten wird es eine neu gestaltete Einheit geben die sich an Eurasien orientiert.