Von der Leyen muß bangen – Scholz geht auf Distanz
Bundeskanzler Scholz ist auf Distanz zur EVP-Spitzenkandidatin von der Leyen gegangen. Ihre Chancen auf eine zweite Amtszeit sinken.
Deutliche Warnung aus dem Kanzleramt: “Für mich ist klar, wenn die nächste Kommission gebildet wird, darf sie sich nicht auf eine Mehrheit stützen, bei der es auch die Unterstützung von Rechtsextremen braucht”, sagte Scholz in Berlin.
Die Wahl der Kommissionsspitze werde nur gelingen, wenn diese sich auf traditionelle Parteien stütze. “Alles andere wäre für Europas Zukunft ein Fehler”, so Scholz. Er sei bestürzt über die “Uneindeutigkeit manch politischer Aussagen”.
Dies ist ein deutlicher Seitenhieb auf von der Leyen, die auch mit rechten Parteien zusammenarbeiten will. Sie hat dies am Wochenende sogar noch einmal bekräftigt.
Sie werde mit allen zusammenarbeiten, die für Europa, für den Rechtsstaat, für die Ukraine und gegen Russland seien, sagte sie im Deutschlandfunk.
Damit hofiert sie vor allem die rechtskonservative EKR, in der auch Italiens Postfaschistin Meloni mitarbeitet. Meloni will – genau wie daheim in Rom – auch Rechtsextreme in eine künftige EU-Koalition einbinden.
Vor Scholz war auch schon Frankreichs Staatschef Macron auf Distanz zu von der Leyen gegangen. Bei einem Besuch in Berlin könnten beide ihre Strategie abstimmen. Wenn Berlin und Paris gemeinsam von der CDU-Politikerin abrücken, hat sie keine Chance auf eine zweite Amtszeit.
Die Chancen für eine Wiederwahl stünden bei 50:50, sagte die EU-Expertin Sophia Russack bei einer Veranstaltung von Thinktanks in Brüssel. Von der Leyen habe bisher keinen richtigen Wahlkampf gemacht, sondern nur ihre Parteifreunde in den EU-Ländern besucht.
Mobilisieren tut sie offenbar nicht: Ihr Wahlkampf-Account auf Twitter / X hat gerade mal 4105 Follower – gegenüber 1,5 Millionen für ihren offiziellen Account als Kommissionspräsidentin. Offenbar will sie im Schlafwagen zur Macht…
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Gabi Banfield
28. Mai 2024 @ 15:43
Sie muss keinen Wahlkampf machen. Diese strategischen Posten werden besetzt. „We penetrate the cabinetts…“ war doch dazu die Aussage Klaus Schwabs vom WEF. Die letzte Wahl hat es doch deutlich gezeigt: 60 Millionen EU-Wähler – und den Posten bekam VdL, die gar nicht zur Wahl stand…
Arthur Dent
27. Mai 2024 @ 15:05
Hihi, Emmanuel und Olaf als Königsmacher oder Königsmörder, je nach Sichtweise – Uschi als servant leader, fragt sich nur, wem sie dienen soll. Albert Bourla & Co waren sicherlich immer hochzufrieden.
350 Millionen Wähler sind nur Staffage im Demokratieschauspiel, aber um die geht es nur am Rande. Die sollen nämlich kapieren, dass sie der „Demokratie“, im Sinne der politischen Eliten, zu dienen haben. Nicht immer nur lamentieren, da hat man unsere tolle „Demokratie“ gar nicht verdient.
Lincolns by the people, of the people, for the people – olle Kamellen, lange her.
Stef
27. Mai 2024 @ 10:26
Diese ganze Debatte über gute und schlechte Parteien ist vollkommen sinn- und inhaltslos. Unsere repräsentative Demokratie wird immer diejenigen Mehrheiten hervorbringen, die den Vorstellungen ihrer Auftraggeber aus dem Großkapital am besten dienen können. Wenn die AfD gebraucht wird, wird sie als Mehrheitsbeschafferin aufgenommen in die Riege der etablierten Parteien. Weil sie dann die gewünschten Entscheidungen mittragen wird. Das erkennt man bereits jetzt, denn die Teile&Herrsche-Kampagne gegen die Herren Bystron und Krah hat blendend funktioniert, es steht der AfD-Bundesvorstand gegen seine eigenen Spitzenkandidaten. Diese Partei wird niemals eine Gefahr für das zunehmend autoritäre System und die dahinterstehenden Finanzinteressen darstellen, damit kann der Prozess der Normalisierung der AfD ab jetzt beginnen.
Frau von der Leyen wird sich im Übrigen im Zweifel jeder Stimme bedienen, um wiedergewählt zu werden. Alles was sie im vorhinein ausschließt, würde ihre Chancen nur schmälern.
Interessant waren eher die Kriterien, die sie laut DLF gedenkt anzulegen an diejenigen Parteien und Abgeordneten, die sie wählen dürfen. Sie müssen für Europa sein, für den Rechtsstaat, für die Ukraine – und gegen Russland. Von der Leyen zeigt damit an, was sie als das Kerninteresse ihrer Auftraggeber für die nächste Legislaturperiode vermutet, nämlich der Krieg und damit der Fokus auf stärkere Rüstungsausgaben. Im Grunde ist damit das Wahlprogramm für die nächsten Jahre abschließend geschrieben: Unter den Bedingungen von Schuldenbremse und europäischer Austeritätspolitik wird es weniger Sozialstaat, weniger Klimaanpassung und weniger Infrastrukturinvestitionen geben. Dafür mehr Militär, Waffen und Muntion.
Man sollte dies als Bewerbung betrachten. Wenn von der Leyen in den Augen des großen Geldes besteht, wird die Entscheidung auf nationaler Regierungsebene in ihre Richtung fallen. Das allerletzte, an dem sie dann scheitern wird, sind fehlende Stimmen im Europaparlament.
Kleopatra
27. Mai 2024 @ 05:21
Bereits vor fünf Jahren hat Orbán unwidersprochen behauptet, vdL verdanke ihre „Wahl“ unter anderem der Fidesz. Die Frage ist also, was bei der Parlamentswahl herauskommt. Schon mit der gegenwärtigen Zusammensetzung ist der „Green Deal“ nicht mehr unumstritten, und einige dazugehörenden Rechtsakte wurden im Parlament heftig angegriffen.
Das Parlament ist am Zustandekommen von Rechtsakten beteiligt. Daher muss die Kommission, egal wer sie leitet, auf die Zusammensetzung des Parlaments Rücksicht nehmen. Wenn eine „Green Deal“-Politik eine Mehrheit des Parlaments gegen sich haben und daher abgelehnt werden sollte, mag man das bedauern, aber es ist im Sinn der repräsentativen Demokratie, die man doch in die Verträge einführen wollte. Aus demselben Grund macht es wenig Sinn, eine Führung der Kommission dem Parlament aufnötigen zu wollen.
Scholz und Macron verfolgen offenkundig innenpolitische Ziele: beide haben wohl eine fast schon kreatürliche Angst, dass in Frankreich der RN bzw.in Deutschland die AfD an die Macht kommt. Eine Forderung, die Kommission müsse sich auf „traditionelle“ Parteien stützen (falls Scholz das so gesagt haben sollte), wäre grob antidemokratisch, weil sie das Recht negiert, neue Parteien zu gründen; und aus dem Mund des Regierungschefs einer Partei, die gleichzeitig die traditionellste Partei Deutschlands ist als auch Chancen hat, in Wahlen so schlecht abzuschneiden wie in den letzten hundert Jahren nicht, klingt es erst recht merkwürdig.
Helmut Höft
27. Mai 2024 @ 09:55
Mit utilitaristischer Argumentation kommen wir hier nicht weiter! (s. u. bei european zur Demokratie)
european
26. Mai 2024 @ 17:02
Der Tag, an dem sie Brüssel für immer verlässt, ist ein guter Tag für Europa. Diese Frau hat so viel Schaden angerichtet, dass man sehen wird, was wieder zu flicken ist. Ein Trümmerfeld trifft es eher, oder “a trail of disaster” wie es der Spectator so schön beschrieb.
Wobei man sich bei Scholz’ Anspruch Gedanken über den demokratischen Ansatz machen muss. Will er die Stimmen der Rechtsaußen-Parteien von vorneherein für ungültig erklären? Gilt das dann auch zukünftig im Parlament? Dürfen nur noch die Parteien abstimmen, die von Deutschland für “demokratisch” erklärt wurden und die anderen gewählten (!!!) Abgeordneten können eigentlich gleich wieder nach Hause gehen?
Wir bewegen uns nicht in Richtung Absurdistan, wir sind doch schon da.
Helmut Höft
27. Mai 2024 @ 09:53
„Wobei man sich bei Scholz‘ Anspruch Gedanken über den demokratischen Ansatz machen muss“
Hey, european, nu lass‘ ma die Kirche im Dorf. Ist es denn demokratisch wenn man, Hände in den Hosentaschen, zu guckt, wie die „Demokratie“ zentimeterweise demontiert wird?
Schon dieses Wort(!) Demokratie, da schauen wir doch mal auf Churchill im größeren Zusammenhang: https://api.parliament.uk/historic-hansard/commons/1947/nov/11/parliament-bill#S5CV0444P0_19471111_HOC_271
„Many forms of Government have been tried, and will be tried in this world of sin and woe. No one pretends that democracy is perfect or all-wise. Indeed, it has been said that democracy is the worst form of Government except all those other forms that have been tried from time to time; but there is the broad feeling in our country that the people should rule, continuously rule, and that public opinion, expressed by all constitutional means, should shape, guide, and control the actions of Ministers who are their servants and not their masters.“
Also, wenn ich das richtig verstehe, dann hat Demokratie viel mit Gefühl zu tun : „… es gibt in unserem Land das weit verbreitete Gefühl, dass das Volk regieren sollte, kontinuierlich regieren sollte, und dass die öffentliche Meinung, ausgedrückt durch alle verfassungsmäßigen Mittel, die Handlungen der Minister formen, leiten und kontrollieren sollte, die ihre Diener und nicht ihre Herren sind.“
Kommentar: Soso *kopfkratz*
european
27. Mai 2024 @ 11:10
Volle Zustimmung. Unsere werteorientierte Regierung verheddert sich gerade in ihrem eigenen Regelwerk. 😉
exKK
28. Mai 2024 @ 13:24
Man kann die Demokratie nicht mehr desavouieren als mit dem Halbsatz “egal was meine Wähler denken”… die Delegitimierung des demokratischen Staates geht tatsächlich von den Regierenden selbst aus. Übrigens auch wegen des wiederholten Löschens von SMS und damit der vorsätzlichen Verhinderung der demokratischen Überprüfung von konkretem Regierungshandeln.
Da gibts doch gar kein Regelwerk mehr, das geht nach “Gefühl” und Sympathie… so ist ja zB auch bei den Kriegsverbrechen entscheidend, wer sie begeht, ob sanktioniert wird oder nicht.
Unsere Chefdiplomatin im AA will ja auch die Hilfe für die Menschen in Syrien von der Einhaltung der Menschenrechte abhängig machen (gestern in einer TV-Nachrichtensendung des ÖRR), worauf diese hilfsbedürftigen Menschen aber idR selbst gar keinen Einfluss haben. Wie muss so ein Hirn ticken?
Helmut Höft
29. Mai 2024 @ 11:00
” …die Delegitimierung des demokratischen Staates geht tatsächlich von den Regierenden selbst aus.”
Chapeau! Mit einem Schlag gleich alle Nägel auf den Kopf getroffen, Kompliment!
Apropos “Wie muss so ein Hirn ticken?” Naja, so ein Hirn tickt wie’s halt der Chef, das Kleinhirn, vorgibt.