Der GAU der Außenpolitik
Mit dem Atomabkommen mit Iran wollte die EU zeigen, dass man im Nahen und Mittleren Osten auch ohne Regime Change und Krieg auskommen kann. Nun droht ein Rückfall in dunkle Zeiten.
Es ist der GAU der europäischen Außenpolitik. Ausgerechnet das Atomabkommen mit Iran – „die Krönung von 12 Jahren Diplomatie“, wie es die EU-Außenbeauftrage Mogherini nennt – wird von US-Präsident Trump infrage gestellt.
Mit seinem Ausstieg stößt Trump nicht nur Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Staatschef Macron vor den Kopf, die sich bei ihm persönlich für den Atomdeal eingesetzt hatten. Er fordert die EU auch strategisch und wirtschaftlich heraus.
Denn das Abkommen war als Alternative zum Kriegskurs der USA in Irak konzipiert worden. Die Europäer wollten zeigen, dass man mit einer Mischung aus Sanktionen und Anreizen mehr erreichen kann als mit Regime Change und Bomben. Der Iran sollte das Gegenbild zum Irak werden.
Dafür hat die EU ein umfassendes Freihandelsabkommen versprochen. Wenn die Mullahs in Teheran auf Atomwaffen verzichten, so der Deal, werden sie dafür mit Wirtschaftshilfe belohnt. Dahinter stand auch die Idee, politischen Wandel durch Handel zu fördern.
Diese Grundpfeiler der europäischen Iran-Politik werden nun von den USA, aber auch von Israel, erschüttert. Die USA drohen mit neuen, scharfen Sanktionen, die auch europäische Unternehmen wie Airbus treffen dürften. Und Israel droht mit Krieg, wobei es nicht einmal so sehr um den Atomdeal geht, sondern um Syrien.
Drei Fronten
Gemeinsam wollen die USA und Israel den Iran, aber auch die EU in die Zange nehmen. Was lässt sich dagegen tun? Zunächst einmal sind die Europäer gut beraten, sich untereinander, aber auch mit Russland und China, die das Atomabkommen ebenfalls stützen, abzusprechen. Die roten Telefone laufen bereits heiß, auch mit Moskau.
Eine diplomatische Abwehrfront zu bilden, dürfte jedoch nicht reichen. Die EU muss auch versuchen, Iran bei der Stange zu halten, Israel von einem Krieg abzuhalten und die US-Sanktionen abzuwehren. Zumindest dürfen die Strafmaßnahmen in Europa keine Wirkung entfalten, denn sonst wäre der Handel mit Iran schnell am Ende.
Nötig ist eine gewaltige Kraftanstrengung, bei der die EU an drei Fronten kämpfen muss: Iran, Israel und USA. Es geht um eine Generalmobilmachung für den Frieden, und das unter Zeitdruck. Denn die US-Sanktionen kommen in wenigen Monaten, der Militäreinsatz Israels hat schon begonnen.
Schlecht vorbereitet
Doch die Europäer sind schlecht vorbereitet. Sie haben weder das Zuckerbrot für Iran vorbereitet noch die Peitsche für Kriegstreiber vom Schlage eines John Bolton, der offen einen Regime Change in Teheran propagiert. Jetzt rächt es sich, dass die EU nicht rechtzeitig einen Plan T ausgearbeitet hat – für T wie Trump.
Die Charmeoffensive von Macron und Merkel im Weißen Haus hat nicht verfangen – jetzt ist es womöglich schon zu spät, um auf Gegenkurs zu gehen. Die Stunde der europäischen Außenpolitik hat geschlagen, aber unter äußerst ungünstigen Vorzeichen. Im Grunde sind wir wieder da, wo wir schon im Irakkrieg waren – nur schlimmer.
Dieser Kommentar erschien zuerst auf taz.de. Siehe auch “Die Kriegsvorbereitungen gehen weiter” (III)
Peter Nemschak
10. Mai 2018 @ 10:18
Der Iran-Deal von 2015 hat im wesentlichen Zeit hinsichtlich der nuklearen Bewaffnung des Iran gekauft, die Entwicklung von Mittelstreckenraketen allerdings nicht verhindern können, ebenso wenig die aggressive Regionalpolitik des Landes im Libanon, in Syrien und im Jemen. Israel hat keine gemeinsame Grenze mit dem Iran, wird aber im Interesse seiner Sicherheit nicht aufhören, iranische Militär- und Geheimdiensteinrichtungen in Syrien und im Libanon anzugreifen. Eine diesbezügliche Einigung mit Russland betreffend begrenzte Militärschläge Israels in Syrien und im Libanon sollte möglich sein. Durch die Kündigung des Abkommens seitens der USA wird der Iran sein Atomprogramm nicht erst in einigen Jahren sondern bereits in naher Zukunft wieder aufnehmen. Sanktionen werden ihn, wie das Beispiel Nordkorea zeigt, nicht daran hindern. Ein durch die USA provozierter Regimewechsel hätte wenig Aussicht auf Erfolg. Die EU muss sich entscheiden, ob sie mit den Amerikanern marschiert oder strategisch eine für sie günstigere Alternative wählt. Die USA werden höchstwahrscheinlich einen Konnex zwischen Handelskonflikt und Irankonflikt im Verhältnis zur EU herstellen. Nachdem die EU die nukleare Aufrüstung des Iran realistischerweise nicht verhindern kann, muss sie sich überlegen, ob sie gegen ein für sie günstiges TTIP und Sicherheitszusagen der USA im Rahmen der NATO sich auf die Seite der USA schlagen soll. Nachdem sich die politischen und wirtschaftlichen Gewichte seit den 1960-iger Jahren zu Lasten der Großmächte verändert haben – die Welt ist multipolar geworden – stellt sich die Frage, ob der Atomwaffensperrvertrag langfristig überhaupt eine Zukunft hat. Dass Nordkorea auf seine Atomwaffen verzichten und sich unter den Schutz Chinas stellen wird, ist keine ausgemachte Sache. Wenn es im Interesse Chinas lag, ist China mit seinen Nachbarn (Vietnam) in der Vergangenheit nicht gerade zimperlich umgegangen. Das weiß auch Kim. Es gilt, verschiedene komplexe, miteinander verknüpfte, Optionen gegeneinander abzuwägen. Durch die Zerstörung der pax americana durch die Politik Trumps sind Unsicherheiten entstanden und neue Interessenstauschobjekte auf den globalen Politmarkt gekommen.