Vier Vorschläge für eine europäische Corona-Wirtschaft

Nur mit Mut und Solidarität kann Europa diese Krise bewältigen: Dazu gehören offene Grenzen, der Einsatz des Stabilitätsmechanismus, Krisenanleihen und eine koordinierte Krisenwirtschaft. Ein Gastbeitrag.

Von Steffen Daniel Meyer*

Die Coronakrise bedroht die Existenzgrundlage von Millionen von Menschen, doch sich ins nationale Heim zu verkriechen, würde die Situation nur verschlimmern. Es braucht eine gemeinsame europäische Antwort. Einige Instrumente dafür sind schon da und müssen nur angepasst werden, andere müssen etabliert werden, wie in einem Statement von Volt Europa (Englisch)  beschrieben. Meine Vorschläge hier basieren auf diesem Statement, gehen aber teilweise darüber hinaus.

Erstens: Kein Land sollte seine Grenzen schließen oder exzessive Kontrollen durchführen.

Grenzschließungen sind nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht sinnvoll, da das Virus schon längst in allen Ländern ist und sich dort verbreiten kann.

Im Gegenteil schaden Grenzschließungen und -kontrollen der gesamten europäischen Wirtschaft, da Waren- und Pendlerverkehr eingeschränkt wird.

Im schlimmsten Fall beeinträchtigen sie gar die Versorgung der Bürger mit Lebensmitteln und medizinischen Gütern. Deswegen: Um den gemeinsamen Binnenmarkt in dieser Krise nicht zusätzlich zu belasten, müssen die Grenzen offen bleiben.

Eine Kontrolle von Risikogebieten ist zielführender.

Zweitens: Mit Hilfe des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der in der letzten Finanzkrise die Finanzwirtschaft gestützt hat, sollte dieses Mal die Gesundheitswirtschaft gestützt werden.

Der ESM verfügt über eine Feuerkraft von 500 Milliarden Euro. In der Finanzkrise gab es diese Milliarden gegen Ausgabenkürzungen im öffentlichen Sektor.

Dieses Mal sollten die Milliarden fließen, wenn sie zur Bekämpfung der Coronakrise verwandt werden: Wenn Länder sich also nicht mehr am Kapitalmarkt finanzieren können, kann der ESM einspringen, damit weiter Arbeitslosengeld gezahlt oder das Gesundheitssystem gestärkt und ausgebaut werden kann.

Bedingung für Empfängerstaaten sollte etwa sein, dass sie sich nicht einer europäischen Koordination entziehen können, darunter könnte ein Verbot von Grenzschließungen fallen.

Drittens: Die EU sollte Krisenanleihen herausgeben, also sich gemeinschaftlich verschulden. 

Dadurch verfügt die Union über Finanzmittel, mit denen sie von Corona besonders betroffenen Volkswirtschaften  – wie Italien und vielleicht demnächst auch Deutschland – helfen kann.

Die nationalen Schulden bleiben bestehen, die European Safe Assets sind lediglich eine neue Form der gemeinschaftlichen Finanzierung, sie dienen nicht der Vergemeinschaftung von Altschulden.

Alternativ oder zusätzlich ließe sich auch über die Einrichtung von European Safe Bonds (ESBies) diskutieren, bei denen nationale Staatsanleihen in einem Fonds gebündelt werden.

Viertens: Es sollte über die Etablierung einer Krisenwirtschaft nachgedacht werden, die die wirtschaftlichen Aktivitäten auf die Bekämpfung des Virus umlenkt. 

Sofern möglich sollten mehr Unternehmen ihre Produktion darauf umstellen, medizinische Güter wie Atemschutzmasken oder Beatmungsgeräte herzustellen – eine staatliche Koordination auf lokaler und auf EU-Ebene wäre dabei sicher hilfreich.

Auch ist zu erwägen, den Arbeitslosen und Kurzarbeitern die Möglichkeit zu geben, sich bei den in der Krise anfallenden Tätigkeiten engagieren zu können.

So haben in Berlin zum Beispiel die Tafeln damit zu kämpfen, dass viele ihrer Aktiven älteren Semesters sind, daher zur Risikogruppe gehören und besser zu Hause bleiben.

Auch Berliner Krankenhäuser suchen nach Personal – diese sollten aber eine medizinische Ausbildung mit sich bringen. Daran sieht man, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht einfach ist: Schließlich könnten ungelernte Hilfskräfte den Profis durchaus mehr Arbeit machen, als sie ihnen abnehmen würden.

Wenn die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus aber wirklich mehrere Monate anhalten sollen, sollte man entsprechende Schulungen unterstützen und ausweiten, um Menschen für Krisenjobs fit zu machen.

Sicher würden sich viele von Arbeitslosigkeit betroffene Menschen darüber freuen, ihren Beitrag zur Bekämpfung des Virus zu leisten, als lediglich von staatlichen Transferleistungen zu leben. Schaden würde eine “medizinische Grundausbildung” in der Bevölkerung zudem sicher auch nicht.

Abschließend: Jede neue Krisenregelung sollte fortlaufend überprüft und an die aktuellen Entwicklungen angepasst werden. Denn nachdem Europas Politiker nun in aller gebotenen Eile bürgerliche Freiheiten – zurecht – eingeschränkt haben und dadurch hoffentlich die Ausbreitung des Virus ausreichend verlangsamen, muss sichergestellt werden, dass diese wiederhergestellt werden, sobald die medizinische Lage dies erlaubt.

Es ist aber durchaus positiv zu sehen, dass Europas Regionen unterschiedliche Maßnahmen ergreifen und es keine zentral verordnete One-Size-Fits-All-Politik der EU gibt. Die Subsidiarität schafft hier Best-Practice-Beispiele, die dann – europäisch koordiniert – angewandt werden können.

Auch wirtschaftlich haben die Nationalstaaten unterschiedliche Programme aufgelegt. Zusätzlich zu den oben genannten Maßnahmen muss hier in Zukunft jedoch eine bessere Koordination erfolgen.

Im nationalen Alleingang immer drastischere Maßnahmen zu verhängen, um noch verantwortungsvoller als die politischen Mitbewerber zu erscheinen, ist kontraproduktiv.

Die EU muss nun zu einer echten Gemeinschaft heranwachsen, indem es die vorhandenen wirtschaftlichen Instrumente wie offene Grenzen und den ESM nutzt und nicht davor zurückschreckt, neue zu schaffen, wie gemeinschaftliche Krisenanleihen und eine koordinierte Krisenwirtschaft.

Nicht Abschottung und Egoismus werden uns aus dieser Krise führen, sondern Kooperation, Solidarität – und Mut.

*Steffen Daniel Meyer ist Mitglied der paneuropäischen Bewegung “Volt” – er fungiert als Berlin City Co-Lead

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