Viel jammern, wenig ändern: Reaktionen auf Draghis Abrechnung

Der Draghi-Plan zur “Rettung” der europäischen Wirtschaft hat eine Flut an Reaktionen ausgelöst. Viele teilen seine Analyse, dass die EU den Bach runter geht. Wenige wollen seinen Rezepten folgen.

  • EU-Kommissisonspräsidentin von der Leyen sieht sich bestätigt: Mit dem neuen “Clean Industrial Deal” werde der Draghi-Plan bereits umgesetzt. Die Details werde sie in den “Mission Letters” an die neuen Eu-Kommissare aufschreiben. Über mehr Geld könne man auch reden – aber erst müssten die gemeinsamen Prioritäten definiert werden. Auf die Frage zu neuen EU-Schulden ging sie nicht ein. – Die CDU-Politikerin will möglichst wenig ändern – dabei ist ihre Politik gescheitert.
  • Finanzminister Lindner steht auf der Bremse: “Mit einer gemeinsamen Schuldenaufnahme durch die EU lösen wir die strukturellen Probleme nicht. Mehr Staatsschulden kosten Zinsen, schaffen aber nicht zwingend mehr Wachstum“, erklärte der FDP-Politiker. Vor allem dürfe die Verantwortung der EU-Mitglieder für die eigenen Staatsfinanzen nicht weiter verwischt werden: “Die Vergemeinschaftung von Risiken und Haftung schafft demokratische und fiskalische Probleme. Deutschland wird dem nicht zustimmen.”Im Klartext: Einen schuldenfinanzierten Marshall-Plan wird es mit der Ampel-Regierung nicht geben.
  • Der BDI klagt und warnt: Rund ein Fünftel der industriellen Wertschöpfung in Deutschland ist bedroht. Um auch in Zukunft international wettbewerbsfähig zu sein, sind private und öffentliche Mehrinvestitionen in Höhe von 1,4 Billionen Euro bis 2030 nötig. Das sind Ergebnisse der Studie „Transformationspfade“, die der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beauftragt hat. Demnach belasten u.a. langfristig hohe Energiepreise, Arbeitskräftemangel, zu viel Bürokratie, mangelnde Investitionen und hohe Steuern den Standort im internationalen Vergleich. – Das ist Jammern auf hohem Niveau. Woher das Geld kommen soll, sagt der BDI nicht.

Und hier noch drei Ökonomen:

  • Yanis Varoufakis sieht den Zug abgefahren: Mario Draghi’s new plan for investing in Europe to save the EU from economic backwardness and political failure is six years too late. In 2019, DiEM25 proposed a 500bn euro pa green investment program & the way to finance it through EIB-ECB bonds. It would have stopped Europe from becoming the failed continent that it is today. Sadly, DiEM25’s plan was dismissed as ‘fiscally irresponsible’ and ‘politically infeasible’. (…) Like the Bourbons, the EU’s modern barons forget nothing and learn nothing. And so Europe will continue to sink deeper into its economic, technological, political and moral sinkhole… (Quelle: X)
  • Isabella M. Weber unterstreicht Fehler im Energiemarkt: Draghi report urges a break with free price fundamentalism in energy markets: 1) calls for EU to use monopsony power on gas markets to bring down prices 2) calls out danger of financial markets amplifying price volatility 3) questions market design derived from marginalism (Quelle: X)
  • Fabio de Masi kritisiert blinde Flecken: Mario Draghi will öffentliche Investitionen in den Dimensionen der USA und Chinas. Das Ziel ist richtig, es ist aber völlig unklar, wer die 800 Mrd. € ausgeben soll. Draghis Plan sieht neben Investitionen auch die Erhöhung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit vor, die mit nachfragehemmenden Lohn- und Rentenkürzungen einhergehen könnte. Dies ist wie einen Patienten künstlich zu beatmen und ihm gleichzeitig Blut abzunehmen. Zudem wirken die Russland-Sanktionen preistreibend und haben insbesondere der deutschen Wirtschaft mehr geschadet als Putin.

Siehe auch “Draghis Abrechnung”