Vertrauen durch Verbote, Zweifel an der Notbremse – und Einigung vor Klimagipfel

Die Watchlist EUropa vom 22. April 2021 –

Eine computergesteuerte Massenüberwachung wie in China soll es in Europa nicht geben. Aber gegen Chatbots und autonome Fahrzeuge wie in den USA hat Brüssel nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Die EU will die Förderung der so genannten „Künstlichen Intelligenz“ (KI) ausweiten und alles tun, um die Akzeptanz dieser umstrittenen Technologie zu stärken.

Dies erklärte die für Digitales zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager. Die EU wolle Innovation nicht im Wege stehen, sagte die Dänin, sondern neues Vertrauen schaffen.

Man müsse aber eingreifen, wenn “Sicherheit und Grundrechte der Bürger auf dem Spiel stehen“. Gefahr bestehe vor allem bei Massenüberwachung und Verhaltenssteuerung.

Die EU-Kommission will deshalb einige besonders umstrittene Anwendungen verbieten. Dazu zählen KI-Systeme, die menschliches Verhalten manipulieren, sowie Programme, die den Behörden eine Bewertung des sozialen Verhaltens („Social Scoring“) ermöglichen. Auch biometrische Systeme der Fernerkennung (z.B. Videokameras) werden eingeschränkt.

Biometrische Videoüberwachung an öffentlichen Orten soll grundsätzlich verboten werden, heißt es in der Vorlage, die noch vom Europaparlament und den 27 EU-Staaten diskutiert und gebilligt werden muß. Allerdings soll automatische Gesichtserkennung in „wenigen, eng definierten Ausnahmefällen“ erlaubt bleiben.

Das Militär wird ausgeklammert

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Das ist nicht der einzige Widerspruch zu den hehren Zielen. So bleiben militärische Anwendungen der KI außen vor; für sie soll der neue Rechtsrahmen nicht gelten.

Dies ist problematisch, da die KI-Technologie vom US-Militär entwickelt wurde – und da auch die neue EU-Verteidigungsunion auf „intelligente“ Kampfsysteme setzt.

Die EU-Kommission hat auch keine Sozialfolgenabschätzung vorgenommen. Dabei gilt die KI als potentieller Jobkiller; auch dieser Artikel könnte eines nicht allzu fernen Tages von einer Maschine geschrieben werden. Bei der neuen Verordnung gehe es nicht um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen, sagte ein Experte auf Nachfrage.

Massive Wirtschafts-Förderung

Doch gleichzeitig will die EU-Kommission den Einsatz der KI massiv fördern – auch in der Wirtschaft. Es gehe um die Wettbewerbsfähigkeit, aber auch um den Aufschwung nach der Coronakrise, heißt es in Brüssel. Sogar der „European Green Deal“ soll mithilfe von automatischer Sprachverarbeitung und maschinellem Lernen vorankommen.

Wie das gehen soll, bleibt unklar. Umso deutlicher spricht sich die Brüsseler Behörde für massive Förderung aus. Es gehe um die KI-Exzellenz „vom Labor bis zum Markt“ und den „Aufbau einer strategischen Führungsrolle in hochwirksamen Sektoren und Technologien“, heißt es an die Adresse der EU-Staaten und der Unternehmen.

Im Kern geht es also um Akzeptanz für eine anmaßende und unausgereifte Technologie. Denn “intelligent” sind Computer immer noch nicht, vermutlich werden sie es nie werden. Und für viele der künftig verbotenen Systeme braucht man gar keine KI – Massenüberwachung geht auch ohne…

Siehe auch “Digitalstrategie: Kommerz mit menschlichem Gesicht”

Hinweis: Mit der Förderung der KI habe ich mich schon in meiner Diplomarbeit in den 90er Jahren beschäftigt. Damals wurde sie noch nicht mit dem “Green Deal” verbunden, sondern mit Modernisierungspolitik. Der Text ist immer noch verfügbar – und zwar hier

Watchlist

Wird Deutschland die “Notbremse” ziehen, während alle Nachbarn die Corona-Maßnahmen lockern? Diese Frage stellt sich, nachdem der Bundestag trotz erheblicher Bedenken grünes Licht für ein neues Ausnahmegesetz gegeben hat. Fast gleichzeitig kündigten Belgien, die Niederlande, Frankreich, Österreich und die Schweiz neue oder weitergehende Öffnungen an. Zuletzt war die umstrittene Inzidenz auch in Deutschland gefallen – dennoch drohen nun neue Schließungen. – Siehe auch: So anachronistisch ist die deutsche “Notbremse” und “Zwischen Notbremse und Notstand”

Hotlist

  • Einigung auf schwaches Klimaziel: EU-Parlament und EU-Staaten haben sich nach mehrstündigen Verhandlungen auf ein neues Klimaziel für 2030 geeinigt. Die Treibhausgasemissionen sollen gegenüber 1990 um 55 Prozent sinken. Sein 60-Prozent-Ziel konnte das Parlament nicht durchsetzen, bedauert der “klimareporter”.Kommissionsschefin von der Leyen hat das Ergebnis trotzdem gelobt. Beim Klimagipfel in Washington am Donnerstag will sich die EU nun als “Vorreiter” präsentieren, wie üblich…
  • Putin warnt die EU: Russlands Präsident Wladimir Putin schlägt scharfe Töne gegenüber Europa und den USA an, meldet die “Deutsche Welle”: Dem Westen warf er Umsturzversuche auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion vor. Gleichzeitig warnte er vor dem Überschreiten einer “roten Linie”. “Organisatoren jedweder Provokationen, die die Kerninteressen unserer Sicherheit bedrohen, werden ihre Taten so bereuen, wie sie lange nichts bereut haben”. – Die Rede an die Nation fällt in eine Zeit großer Spannungen, fast wie im Kalten Krieg...
  • Borrell solidarisiert sich mit Tschechien: The European Union strongly condemns the illegal activities on the territory of the Czech Republic that caused the explosions at the Vrbětice ammunition depot in 2014. It resulted in the deaths of two Czech citizens, a serious threat to civilian population and immense material damage. The EU takes extremely seriously the conclusions by the Czech authorities, based on extensive investigations, that officers of the Russian military intelligence GRU perpetrated these actions. – Es geht um Vorgänge vor sieben(!) Jahren. Was ist da los, fragen wir hier