Verläuft der Fall Nawalny im Sande?

Nawalny und kein Ende: Nachdem Kanzlerin Merkel den Fall zur Chefsache gemacht und Sanktionen gegen Russland gefordert hatte, will sie nun Nord Stream 2 retten. Derweil verwickeln sich die Ermittler in Widersprüche. Verläuft der Fall im Sande?

Zunächst tat Merkel so, als ginge sie der Fall Nawalny nichts an. Der offenbar vergiftete Kreml-Kritiker wurde mit einer NGO nach Berlin transportiert, die Regierung wollte damit nichts zu tun haben. Doch kurz darauf machte Merkel die Affäre zur Chefsache und klagte Russland an.

Damit werde ein Stopp der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream unvermeidlich, dachten viele Beobachter in Berlin. Doch nun rückt Merkel davon ab und versucht, Sanktionen auf EU-Ebene zu erwirken, wie die „Süddeutsche“ sichtlich enttäuscht schreibt:

Immer stärker schält sich aber auch heraus, dass die große ökonomische Keule zunächst nicht geschwungen wird: Nord Stream 2. Sowohl Heiko Maas, der Außenminister von der SPD, als auch CDU-Kanzlerin Merkel hatten nicht mehr ausschließen wollen, dass auch ein Aus für die Pipeline zu möglichen Strafmaßnahmen gehören würde. Dahinter stand die Sorge, in der EU nicht glaubwürdig zu sein, wenn die in Europa so umstrittene Pipeline von vorneherein von der Liste möglicher Strafen gestrichen würde.

Die Bundesregierung spielt diese Option aber herunter, vom „Fetisch Nord Stream“ ist gar die Rede. „Umgehend“ solle sich die Regierung von Nord Stream 2 distanzieren und die Fertigstellung „über geeignete Maßnahmen verhindern“, beantragten die Grünen am Freitag im Bundestag. Das sei doch ein „Infrastrukturprojekt im Interesse von Deutschland, von Westeuropa“, hielt Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD) dagegen. Ob der Stopp Russland schade, fragte der CDU-Mann Jens Koeppen. Seine Antwort: „Natürlich nicht.“

Quelle: www.sueddeutsche.de

Widersprüche werden auch bei den Ermittlungen deutlich. Plötzlich soll Nawalny nicht mehr auf dem Flughafen in Minsk, sondern schon in seinem Hotel vergiftet worden sein – mit einer Wasserflasche, die dann auch noch im Flugzeug nach Berlin geschmuggelt wurde.

Das passt nicht zu den bekannt gewordenen Erkenntnissen der deutschen Ermittler. Die „SZ“ ist besorgt:

Die Information hat sofort der russischen Lesart Futter gegeben, wonach es sich hier um eine groß angelegte Inszenierung handele. Die Bundesregierung hat sich zur Maxime gemacht, auf Theorien aus Moskau nicht zu reagieren – und muss sich dafür Kritik gefallen lassen. Die Vernebelungstaktik aus dem Fall Skripal ist zu frisch in Erinnerung, der Europäische Auswärtige Dienst hat in einer Vergleichsstudie verblüffende Parallelen zutage gefördert.

Dass die Bundesregierung auf „Theorien aus Moskau“ nicht antwortet, ist ihr gutes Recht. Dennoch wird sie wohl auf ein Rechtshilfeersuchen antworten müssen – schließlich hatte sie ja selbst Russland aufgefordert, zu ermitteln.

Diese Umstände veranlassten Moskau, ein zweites Rechtshilfeersuchen an die deutschen Behörden zu richten. Der Text der Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation und das dazugehörige Ersuchen der Transportpolizei liegen RT exklusiv vor. Das Dokument ist vom 14. September datiert und umfasst fünf DIN-A4-Seiten. Der wesentliche Unterschied zum ersten Rechtshilfeersuchen besteht darin, dass die russischen Ermittler die deutschen Experten nun unmissverständlich nach der chemischen Formel des “nervenparalysierenden Giftstoffes” fragen und den Wunsch äußern, Herrn Nawalny zu den Umständen seiner Erkrankung selbst zu befragen. Darüber hinaus erbitten sie auch, die Teilnahme zweier hochrangiger russischer Ermittler an der Befragung in Deutschland zu bewilligen. Hierbei handelt es sich um einen Vertreter des Innenministeriums auf dem Gebiet “gefährlicher Substanzen” und einen Vertreter der Tomsker Transportpolizei.

Quelle: www.nachdenkseiten.de

Last but not least gibt es auch noch Verwirrung im Umgang mit OPCW, der Organisation für das Verbot chemischer Waffen. Berlin hat die OPCW zwar eingeschaltet, will aber offenbar keine weitere Untersuchung durch die unabhängigen Experten aus Den Haag.

Deutschland müsste bei einem „Ersuchen um Klarstellung“ alle Informationen offenlegen. Die OPCW könnte dann aber überprüfen, ob das Nowitschok in Russland hergestellt wurde, und Beweise dafür verlangen, dass die Chemiewaffen wirklich zerstört wurden, was bezweifelt wird.

Quelle: Telepolis at www.heise.de

Da fragt man sich doch, was Berlin eigentlich will. Kein Verzicht auf Nord Stream 2, keine Überprüfung der neuen Wasserflaschen-Theorie, keine Untersuchung durch die OPCW – der Fall Nawlany könnte, wenn es so weiter geht, im Sande verlaufen…

Siehe auch „Noch mehr Ungereimtheiten im Fall Nawalny“

P.S. Noch eine verwirrende Neuigkeit: Der offenbar weitgehend genesene Nawalny erklärt nun, das Nervengift Nowitschok sei nicht nur in, sondern auch „an“ seinem Körper gefunden worden. Deshalb fordert er nun von Russland seine Kleidung zurück, die er am Tage seiner mutmasslichen Vergiftung getragen hat. Warum haben wir bisher nie etwas von Giftspuren an seinem Körper gehört, liebe deutsche Ermittler?