VDL ignoriert Nordstream, Scholz hofiert Moldau – und Borrells Kriegsplan

Die Watchlist EUropa vom 22. August 2024 – Heute mit einem verdrängten Attentat, einem heiklen Versprechen und einem bellizistischen Diplomaten

Die EU-Kommission in Brüssel zeigt kein Interesse mehr an der Aufklärung eines der größten Attentate der letzten Jahre. Sie will sich auch nicht zu einer möglichen Verstrickung der Ukraine und dem mysteriösen Verschwinden eines ukrainischen Tatverdächtigen in Polen äußern.

Die Ermittlungen rund um die Sprengung der Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee im Jahr 2022 seien eine nationale Aufgabe, erklärte ein Sprecher der EU-Behörde auf Anfrage. Man wolle die Nachforschungen der deutschen Behörden abwarten und den Fall nicht weiter kommentieren.

Nach Recherchen von ARD, Zeit und SZ hat Generalbundesanwalt Jens Rommel im Juni einen Haftbefehl gegen eine tatverdächtige Person erwirkt. Der betroffene Ukrainer Wolodymyr Z. habe sich zuletzt in Polen aufgehalten und sei spurlos verschwunden. Nach Angaben des  Wall Street Journal war auch der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj über die Planung des Attentats informiert. Sogar die deutsche Bundesregierung sei gewarnt worden.

Tusk will Schlußstrich

Die Ukraine hat den Bericht zurückgewiesen und jede Mitverantwortung von Selenskyj bestritten. Doch sollte er zutreffen, würden die Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine in einem neuen, grellen Licht erscheinen.

Auch das Verhältnis zu Polen ist belastet. Denn Regierungschef Donald Tusk forderte, den Fall ruhen zu lassen. Auf „X“ appellierte Tusk an die „Initiatoren und Förderer“ von Nord Stream, sich zu entschuldigen und die Klappe zu halten.

Dies sorgt für Irritationen in Berlin. Zur Ergreifung des ukrainischen Verdächtigen sind die Behörden auf die Kooperation Polens angewiesen. Doch Tusk erweckt den Eindruck, als sei er an Aufklärung nicht interessiert.

Keine Sanktionen mehr

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Auch die EU legt kein großes Interesse mehr an den Tag. 2022 hatte sie noch mit Sanktionen gedroht. Jede vorsätzliche Störung der Energieinfrastruktur sei völlig inakzeptabel und werde „mit einer robusten und gemeinsamen Reaktion beantwortet werden“, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.

Zwei Jahre später ist davon keine Rede mehr: Man habe nie mit Sanktionen gedroht, die EU habe auch andere Druckmittel. Außerdem seien nicht nur Borrell oder die EU-Kommission gefragt, sondern alle 27 EU-Staaten gemeinsam. Von Polen ist aber nichts mehr zu erwarten.

Auch Schweden und Dänemark haben ihre Ermittlungen bereits eingestellt. Sollte nun auch die deutsche Suche im Sande verlaufen, dürfte der bisher größte Anschlag auf kritische europäische Infrastruktur nie mehr aufgeklärt werden…

Dies ist die gekürzte Fassung eines Beitrags für die “taz”, das Original steht hier. Siehe auch meine Kolumne für den “Makroskop”: “Zeitbombe Nordstream”

P.S. Tusk macht Schule: Nun hat auch der tschechische Präsident Pavel erklärt, Nordstream sei ein legitimes Ziel gewesen – und die Ukraine somit freigesprochen…

News & Updates

  • Scholz in Moldau. Der Kanzler hat dem ärmsten und instabilsten Land Europas seine Unterstützung zugesagt. Bei einem Kurzbesuch in Chișinău behauptete er, “dass Russland und pro-russische Akteure versuchen, das Land zu destabilisieren”. Berlin stehe jedoch an der Seite von Maia Sandu und ihrer Regierung. – Derweil machen Gerüchte die Runde, dass die Ukraine versuchen könnte, der abtrünnigen russischsprachigen Provinz Transnistrien einen “Besuch” abzustatten – ähnlich wie in Kursk….
  • Noch ein Falke für die EU-Kommission. Nach Kaja Kallas aus Estland hat nun auch Litauen einen außenpolitischen Falken für die neue EU-Kommission nominiert. Es geht um Andrius Kubilius, der bisher für die konservative EVP im Europaparlament sitzt. Er ist ein Fan der Ukraine und Russland-Hasser. Nach seinem Willen sollen alle EU-Staaten 0,25 Prozent des BIP an Kiew abführen – sozusagen als Kriegstribut… – Mehr zu Kallas hier.
  • China revanchiert sich für EU-Strafzoll. Der Handelsstreit mit China weitet sich aus. Peking kündigte an, eine weitere Antidumping-Untersuchung bei Importen aus der EU aufzunehmen. Betroffen seien Milchprodukte wie verschiedene Käsesorten, Milch und Sahne. Auslöser ist der Streit über Sonderzölle der EU auf Elektroautos aus China. – Mehr dazu hier

Das Letzte

Borrells neuer Kriegsplan. Zu Beginn des Ukraine-Krieges erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, dass Kriege “auf dem Schlachtfeld geschlagen” werden – eine klare Absage an Diplomatie. Nun setzt der Spanier noch einen drauf: Die EU-Staaten sollten alle militärischen Beschränkungen aufgeben und zulassen, dass die Ukraine nicht nur in Russland einmarschiert (wie derzeit in Kursk), sondern auch tief im Hinterland zuschlägt. Dies wäre mit dem Völkerrecht vereinbar und würde “Friedensbemühungen voranbringen”, behauptet er in einem Tweet. Welche Friedensbemühungen er meint, blieb offen. Die EU hat unter Borrells Ägide bisher keine einzige eigene Initiative gestartet. Die Invasion in Kursk hat aber mögliche Gespräche in Katar zunichte gemacht! Zuletzt hatte die Ukraine versucht, den Krieg mit Drohnen nach Moskau zu tragen – vielleicht auch mit Borrells Segen? – Mehr dazu hier (Open Thread)

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