Varoufakis träumt weiter
In Berlin ist er ein Schreckgespenst, in Paris ein Star: Griechenlands umstrittener Finanzminister Varoufakis hat seine Vision einer runderneuerten Eurozone erläutert. Sein Traum ist gar nicht so dumm…
Bei einer Konferenz der Initiative “New Economic Thinking” in der französischen Hauptstadt antwortete Varoufakis auf Fragen des US-Nobelpreisträgers Stiglitz.
Wer möchte, kann sich das englischsprachige Video hier ansehen (Yanis redet ab der 7ten Minute). Es gibt auch eine französische Zusammenfassung seiner Thesen.
Sein Traum läuft darauf hinaus, dass die Eurozone die von Berlin verordnete Austeritätspolitik aufgibt und mithilfe der EIB ein großes Investitionsprogramm auflegt.
Die EIB könne dafür Anleihen begeben, die die EZB aufkaufen sollte. Gleichzeitig könnte die EZB ihr umstrittenes Programm zum Kauf von Staatsanleihen herunterfahren.
Letztlich ist das eine Variante von Varoufakis’ “bescheidenem Vorschlag” für eine Euro-Reform ohne Vertragsänderung. Sie liegt seit Jahren in Buchform vor – leider liest das in Berlin keiner…
…ganz im Gegenteil: Auf Druck von Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Gabriel wurde das Investitionsprogramm, das EU-Kommissionschef Juncker plant, zurechtgestutzt.
Die Führung liegt zwar bei der EIB (die zufällig von dem FDP-Politiker Hoyer geführt wird), doch von Anleihen ist ebensowenig die Rede wie von einem Ende der Austerität…
Siehe auch “Wie Stiglitz den Euro retten will”
Lloretta
19. April 2015 @ 13:37
Statt die Ursache zu beseitigen (nein, es war nicht die Bankenrettung, die macht nur einen Bruchteil des Schuldenwachstums aus), soll eine Umverteilung der Schulden , ESM für Banken, und eine offene Finanzierung durch die Notenbank erfolgen. Also ein Blankoscheck zu Lasten der Geberländer. Super Vorschlag Und so bescheiden.
GS
12. April 2015 @ 16:29
Ist halt ein weiteres Programm zur Staatsfinanzierung durch die Notenbank.
ebo
12. April 2015 @ 17:14
Nö, ist es nicht. Derzeit betreibt die EZB indirekte Staatsfinanzierung, indem sie Staatsanleihen aufkauft. Varoufakis denkt an Projektbonds der EIB, die für private wie staatliche Projekte begeben werden könnten. Die Notenbank sorgt “nur” für die nötige Liquidität…
Nemschak
12. April 2015 @ 17:59
Für rentable Projekte gibt es auch ohne staatliche Unterstützung ausreichende Finanzierungsmöglichkeiten. Es fehlt an geeigneten Projekten.
DerDicke
12. April 2015 @ 18:55
Ich wüsste ein paar staatliche Projekte: die Straßen und Brücken generalsanieren, nach 15 Jahren Sparwahn ist das überfällig. Von den 60 Milliarden Einnahmen aus Mineralöl- und KFZ-Steuer wird leider nur 1/10 in den Erhalt der Infrastruktur investiert. Und das ist für einen Industriestandort wie Deutschland auf die dauer fatal. Bei den Universitäten, Fachhochschulen und Regelschulen fällt der Putz von den Wänden, die Gebäude (meist aus den 60ern) sind mangels Wartung mittlerweile auch oft Kandidaten für eine Generalsanierung oder Neubau. Aber auch hier tut sich wohl erst was, wenn die ersten Studenten von kollabierenden Treppen erschlagen wurden.
GS
12. April 2015 @ 19:11
Sag ich doch, ebo. Ist einfach eine geschickte Maskerade für staatliche Projekte. Mag sein, dass da auch private Projekte finanziert werden sollen. Würde mich aber wundern, wenn Varoufakis gerade auf diese abzielt. Denn, da stimme ich Nemschak zu, für rentable Privatprojekte finden sich auch andere Finanzierungsmöglichkeiten.
Nemschak
12. April 2015 @ 13:13
@ebo Dass Varoufakis in Paris ein Star ist, stimmt nicht. Was heißt in Paris? Paris ist groß. Griechenland hat derzeit auf Ebene der EU-Regierungen keine Verbündeten. Auch in der französischen Regierung mag es manche Linksutopisten geben, die mit Griechenland sympathisieren, aber das ist irrelevant. Wie Griechenland seine Sozialutopien bei einem Grexit finanzieren will, kann auch Varoufakis nicht beantworten. Aber: man soll (Aus) reisewillige nicht von ihrem Glück abhalten.
ebo
13. April 2015 @ 18:11
Lese gerade, dass die Pariser Debatte Varoufakis – Stiglitz im Internet 50 Millionen mal abgerufen wurde. braucht man denn, um ein Star zu sein?
Nemschak
11. April 2015 @ 18:10
Was heißt gerechter? In Wahrheit geht es in der Diskussion darum, ob ein liberales einem etatistischen Konzept vorzuziehen ist. Die Planification in Frankreich war etatistisch inspiriert und hat sich einem liberalen Zugang mit Schwerpunkt privatwirtschaftlicher Initiative als unterlegen erwiesen. Das Modell von Juncker unter Einbeziehung der EIB ist ein Kompromiss. Infrastrukturinvestitionen sollten primär von der öffentlichen Hand finanziert werden, Investitionen in die Industrie und den Dienstleistungssektor privaten Investoren überlassen werden. Solange private Investoren in der europäischen öffentlichen Meinung negativ besetzt werden, kann kein den USA vergleichbares kulturelles Umfeld entstehen. Warum haben sich die Großkonzerne im IT-Bereich und den modernen Technologien vorwiegend in den USA entwickelt? Die gesellschaftliche Einstellung zum Unternehmertum lässt in weiten Bereichen Europas zu wünschen übrig: der Unternehmer als Ausbeuter. Das gesellschaftliche Leitbild ist in weiten Bereichen nach wie vor der fixbesoldete Staatsbeamte. Europa hat, was Wachstum betrifft, im Vergleich zu anderen Regionen der Welt keine wachstumsfreundliche Kultur.
DerDicke
11. April 2015 @ 18:35
Ist ja kein Wunder, mit der EU ist die Bürokratie in Europa explodiert.
Beispiel? Weger der übertrieben strengen Regeln gibt es kaum noch städtische Schlachthöfe. Auch mittelständische Metzgereien mit eigener Schlachtung sterben aus. Nur noch eine handvoll Großbetriebe, ihn denen osteuropäische Leiharbeiter für einen Appel und ein Ei schuften dürfen.
Allgemein sind die europäischen Regeln sehr konzernfreundlich und von mittelständischen Betrieben kaum einzuhalten. Bei uns gab es früher eine gute Wundsalbe die ein Apotheker aus der Umgebung vertrieben hat. Vorbei seit der EU.
Das hat überhaupt nichts mit einem gesellschaftlichen Leitbild zu tun.
Und es ist in den USA auch nicht besser.
http://www.zerohedge.com/news/2014-05-06/death-cross-american-business
Und liberal ist in der Welt der Zentralbanken, die Staatsanleihen und Wertpapiere aufkaufen überhaupt nichts mehr. Den Übergang zur Planwirtschaft haben wir schon hinter uns, vermutlich haben Sie es nur noch nicht gemerkt.
Nemschak
11. April 2015 @ 20:55
Auch ich würde mir Bäckereien wünschen, bei denen der Bäcker und seine Gehilfen um 2 Uhr morgens in der Backstube stehen, damit wir um 7 Uhr knackiges Gebäck zum Frühstück haben, das den ganzen Tag über knackig bleibt. In Paris soll es noch einige, allerdings weniger werdende, Boulangeries geben, die das können. Wollen Sie diesen Beruf ergreifen oder Ihren Kindern empfehlen? Tempora mutantur.
thewisemansfear
11. April 2015 @ 19:06
Ist schon interessant, dass mit Unterstellungen das eigene Weltbild rechtfertigt werden soll. Es geht also statt Gerechtigkeit um Wirtschaftskonzepte? Bitteschön, Ihre Meinung. Kommentiere ich aber nicht weiter.
Nur so viel: Unternehmer sind per se Ausbeuter. Früher hat der Landherr die Bauern auf seinem Land ackern lassen und nachdem! die Ernte eingefahren war, einen Teil davon entnommen. Da war noch offensichtlich, woher sein Gewinn stammt.
Wenn heute bei Unternehmen Gewinne erwirtschaftet werden, die der Unternehmer dann einstreicht, dann ist das nach wie vor der Anteil, den die Arbeiter zwar erschaffen haben, der ihnen aber vorenthalten wird. Das können Sie versuchen umzudefinieren wie Sie wollen, an solch grundlegenden Zusammenhängen werden Sie und niemand sonst etwas ändern.
DerDicke
11. April 2015 @ 20:15
Ach, das ist ok, dafür trägt der Unternehmer auch das Risiko, muss Entscheidungen fällen und dafür gerade stehen, muss Arbeitnehmer einstellen und dann mit ihnen leben, muss den Papierkram erledigen, muss die Fehler seiner Buchhaltung beim Finanzamt ausbaden… böse Zungen behaupten, bei der Sklaverei war das noch schwieriger für die Sklavenhalter – sie waren für ihre Sklaven verantwortlich, mussten sie inklusive deren Familien ernähren und für ihre Gesundheit sorgen – heute gibt man dem Angestellten 400 Euro, da das nicht reicht muss die Gesellschaft für den Rest aufkommen. Ein Unternehmer, der seine Mitarbeiter ordentlich bezahlt und sich selbst dafür einen guten Anteil am Gewinn gönnt ist ok. Ein Unternehmer, der seinen Anteil jedes Jahr um 25% steigern muss und dafür die Belegschaft ausquetscht und durch Leiharbeiter besetzt ist für die Gesellschaft als ganzes schädlicher als alle “haste mal ne Mark”-Punks zusammen.
Das Problem im Moment ist: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Das Vermögen, welches die Top 0.1% der menschlichen Rasse schon auf sich vereinigen muss anteilsmäßig immer weiter steigen. Was aber passieren wird, wenn sie alles Vermögen besitzen… das werden wir sehen. Nichts gutes befürchte ich.
thewisemansfear
12. April 2015 @ 08:30
Das mit dem “Risiko tragen” ist ja gerade fundamental außer Kraft gesetzt, siehe u.a. die Bankenrettungen.
In der Tat sind es systemimmanente Konzentrationsprozesse (nicht nur momentan), die den Keim der Zerstörung in sich tragen. Je länger diese anhalten, desto mehr Druck baut sich auf, der sich dann in irgendeiner Form wieder entlädt. Entweder durch einen großen Knall oder durch die Einsicht der Profiteure – aber darauf sollte man nicht hoffen 😉
Von der Seite her stehen uns spannende Zeiten bevor.
Nemschak
11. April 2015 @ 20:51
…eine paläomarxistische Sicht der Dinge. Alternativutopien sind bisher kläglichst gescheitert. Das 20.Jhdt. sollte uns zu denken geben.
thewisemansfear
11. April 2015 @ 17:19
Varoufakis hat verstanden, wie der Hase läuft. Von seinem Buch “Der globale Minotaurus” sagt er selbst, es hätte auch “Der globale Staubsauger” heißen können 😀
Er weiß, dass die USA im derzeitigen Weltwährungssystem eine privilegierte Sonderrolle einnehmen. Der Rest der Welt schaut diesem Treiben aber nicht mehr einfach nur tatenlos zu, sondern ist an einer gerechteren (Welt-)Ordnung interessiert.
Das Problem ausufernder Ungleichgewichte lässt sich über die globale Gemengelage bestens erklären. Wenn sich wirklich etwas ändern soll, muss man an die Strukturen ran.
Nemschak
11. April 2015 @ 12:45
Wie wäre es damit verlockende Anreize für private Investoren zu schaffen, alternativ in Europa statt in anderen Teilen der Welt zu investieren. Solange man pauschal Investoren mit den “Reichen” gleich setzt und am liebsten entsorgen will, kann das nicht funktionieren. So manche Anreize würden wenig Geld kosten: Entbürokratisierung, Erleichterung des Zugangs zum Markt durch Beseitigung von Wettbewerbsvorteilen alteingesessener Gruppen, vor allem im Dienstleistungsbereich etc. Derzeit genießen jene mehr politische Zustimmung, die Einkommen und Vermögen verteilen, als jene die sie schaffen. Mit rechtspopulistischer und sozialistischer Kommandowirtschaft wird sich das Problem nicht lösen lassen.
ebo
11. April 2015 @ 12:54
Die EIB begibt jetzt schon Anleihen, allerdings nur in homöopathischer Dosis. Und die EZB kauft jetzt schon Anleihen, um die Konjunktur anzukurbeln. Mit Kommandowirtschaft hat das nichts zu tun.
Nemschak
11. April 2015 @ 14:28
Ich halte die Idee für falsch, mit großen staatlichen, wie immer finanzierten Investitionsprogrammen nachhaltig ein wachstumsfreundliches Klima erzeugen zu können. Auch die geplante Co-Finanzierung staatlicher und privater Programme durch die EZB reicht nicht, selbst wenn die Höhe vervielfacht würde. Europa muss für private Investoren attraktiver werden. Warum wandert viel initiatives Talent aus Europa ab? Unternehmensgründer mit guten Ideen sollen reich werden können, warum nicht. Reichtum ist keine Schande. Die Gesellschaft soll ihn nützen und ein Mäzenatenklima schaffen. Es ist nicht alles schlecht, was aus den USA oder den aufstrebenden Ökonomien in Asien kommt. Der Staat ist selten ein guter Unternehmer.