Russland: Sanktionen im Hau-Ruck-Verfahren

So schnell kann’s gehen: Nur zwei Tage nach dem Beschluss der Außenminister hat die EU ihre „Ziele“ für Russland-Sanktionen festgelegt. Einfach so, auf Verdacht – ohne Tätersuche und Schuldnachweis.

Die EU gründet sich bekanntlich auf das Recht und die Wirtschaft. Erst vor ein paar Tagen hat die EU-Kommission einen Rechtsstaats-Bericht vorgelegt und faire Verfahren in Polen oder Ungarn angemahnt. Doch wenn es um Russland geht, geht es auch anders.

Ohne Beweisaufnahme, Tätersuche und Schuldnachweis wurden „Ziele“ für die zuvor beschlossenen Sanktionen festgelegt. Bei den betroffenen Personen soll es sich um Verantwortungsträger aus dem Kreml und aus dem russischen Sicherheitsapparat handeln.

Namen wurden nicht genannt, bisher gibt es nicht einmal eine Pressemitteilung. Macht sich die EU Sorgen wegen der dünnen Beweislage im Fall Nawalny oder der wackeligen Rechtslage? Nein – man wolle verhindern, dass Moskau die Personen schützt, heißt es in Brüssel.

Und warum die Eile? Vermutlich, damit die neuen Sanktionen beim EU-Gipfel am Donnerstag verkündet werden können – und damit die Debatte um die besondere deutsche Verantwortung im Fall Nawalny beendet wird. Nord Stream 2 muß weitergehen, nicht wahr?

Natürlich kann man argumentieren, dass es hier um Chemiewaffen gehe und kaum jemand anders als Russland infrage komme. Ich würde dagegenhalten, dass das Opfer kein EU-Bürger war, die Tat nicht in der EU geschah und es kein juristisch sauberes Verfahren gab.

Und wie lässt sich eigentlich erklären, dass Sanktionen gegen Russland im Hau-Ruck-Verfahren durchgewunken werden – während dieselben EU-Politiker im Falle der Türkei nicht einmal das Wort Strafen in den Mund nehmen?

Dabei bedroht Ankara gleich mehrere EU-Länder. Und das türkische Regime hat mehr Regimekritiker ins Gefängnis und ums Leben gebracht als der Kreml…

Siehe auch „Russland grollt, Polen schmollt – und Holland übt“

P.S. Die „New York Times“ veröffentlichte eine – offiziell bislang nicht bestätigte – Liste mit Namen. Sollte die EU etwa mit der CIA oder anderen US-Diensten zusammen gearbeitet haben? Auf jeden Fall erfährt man in New York schneller etwas über die Details der EU-Sanktionen als in Brüssel. Ich habe am 14.10. um 21h noch einmal gecheckt – immer noch keine Presseerklärung der EU-Kommission oder des deutschen Ratsvorsitzes…