EU setzt Zahlungen an Palästinenser aus
Nach dem Angriff der Hamas auf Israel hat die EU ihre Zahlungen an die Palästinenser ausgesetzt. Dabei bekam Hamas noch nie Geld aus Brüssel – die Strafe trifft die Gemäßigten.
Es hat eine Zeitlang gedauert. Nach viel Hin und Her und einigem Zögern hat die EU die Hilfszahlungen für die palästinensischen Gebiete vorerst gestoppt.
Alle Zahlungen seien mit sofortiger Wirkung ausgesetzt, erklärte Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi im Internetdienst X, ehemals Twitter. Alle Projekte würden überprüft.
Das Ausmaß des Terrors und der Brutalität gegen Israel sei ein Wendepunkt, schrieb Varhelyi. Den Angaben zufolge geht es um Hilfsgelder in Höhe von knapp 700 Mill. Euro.
Ein Sprecher der EU-Kommission hatte zuvor betont, dass keine Hilfsgelder an die Hamas oder andere terroristische Gruppen gehen. Einen möglichen Zahlungsstopp wollte er nicht kommentieren.
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Für mich sieht es so aus, dass der Befehl von ganz oben kann – von Kommissionschefin von der Leyen, die sich mit Kanzler Scholz abgestimmt hat. Denn ursprünglich hiieß es, man wolle eine Sondersitzung der EU-Außenminister am Dienstag abwarten.
Die Strafe trifft nun Palästinenserführer Abbas und andere, eher gemäßigte Politiker, die auf Kriegsfuß mit Hamas stehen. Wenn sie Bestand hat, wird das gesamte palästinensische Volk gestraft.
Denn im Gaza-Streifen, den die Hamas beherrscht, hat die israelische Armee schon Strom und Wasser abgestellt sowie Wohnhäuser bombardiert. Nun müssen auch alle anderen leiden. Es ist eine Kollektivstrafe…
Siehe auch Hamas-Angriff: Die Vorgeschichte und die Reaktion der EU
Thomas Damrau
10. Oktober 2023 @ 08:35
Wie um meine gestrige These, die Reaktionen auf den Hamas-Anschlag verlaufe analog zur Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine, hat Michael Roth (SPD) heute früh dem DLF ein Interview gegeben ( https://www.deutschlandfunk.de/wie-sehr-muss-westen-israel-helfen-interview-michael-roth-spd-aussenpolitiker-dlf-6d11a028-100.html ).
Man muss in diesem Interview nur Hamas durch Putin und Israel durch Ukraine ersetzen, um das Interview als Statement zum Ukraine-Krieg recyclen zu können. Vermutlich befindet sich im DLF-Archiv ein Interview mit Roth zum Thema Ukraine, das als Blaupause für das heutige Interview gedient hat. (Ich muss den DLF-Moderator ausnahmsweise loben, weil er doch einige zweifelnde Rückfragen gestellt hat.)
Das Ingredienzien des Interviews (wie gestern von mir beschrieben):
– Empörung
– Ausblenden der Ursachen
– Einräumen eigener Fehler (“Wir haben indirekt die Hamas subventioniert”)
– Ankündigung von Sanktionen
– Forderung nach heftiger Gegengewalt in der Hoffnung, die Hamas (analog zu Putin) so zu schädigen, dass sie nicht mehr piep sagen kann.
Israel versucht seit Jahrzehnten den “Worontärro” (Copyright G. W. Bush) nach dem Prinzip “Auge um Auge, Zahn um Zahn” (oder genau genommen “zwei palästinesische Zähne für einen israelischen Zahn”) zu führen. Mit offensichtlich mäßigem Erfolg. Ob ein Einmarsch in den Gaza-Streifen mit vermutlich vielen zivilen Opfern den Hass unter den Palästinensern beschwichtigen wird, …
ebo
10. Oktober 2023 @ 09:00
Die Reaktionen sind in der Tat vergleichbar – dabei handelt es sich um zwei völlig verschiedene Kriege. In der Ukraine ergreifen die EU-Politiker Partei für das Volk und gegen die Besatzer, in Israel für die Besatzer und gegen das palästinensische Volk. Alle Grautöne – hier Donbass und Krim, dort Westjordanland und Ost-Jerusalem – werden übertünscht. Selten wurde die Doppelmoral des Westens der Welt so deutlich vor Augen geführt wie heute. Wenn man dann auch noch an Bergkarabach und Kosovo denkt, wird einem klar, warum diese Weltordnung unhaltbar geworden ist…
Monika
10. Oktober 2023 @ 10:30
Jedes einzelne Wort richtig und wichtig.
Für mich ist nur die Frage, wie all diejenigen, die ebenfalls dieser Auffassung sind, den Weg ins große Verderben abwenden könnten. Innerhalb der “gesetzten” Srukturen sehe ich kaum eine Chance, aus dem Zug der kriegsgeilen Lemminge auszuscheren, die “Stärke” gleichsetzen mit dem Einsatz roher Gewalt und Vernichtung, bis hin zur irreversiblen Schädigung unseres Planeten als menschlichem Lebensraum.
Dass völlig verarmte, entrechtete Menschen friedlicher sein könnten, als übersatte Luxusgeschöpfe ist ein schönes Märchen. Die einen greifen zur Gewalt aus Verzweiflung, die anderen aus schierer Machtgier und Langeweile. Angesetzt werden muss bei den Machtgierigen.
Katla
10. Oktober 2023 @ 10:11
@ Thomas Damrau: “Ob ein Einmarsch in den Gaza-Streifen mit vermutlich vielen zivilen Opfern den Hass unter den Palästinensern beschwichtigen wird, ..” – da gebe ich Ihnen völlig recht.
Ich möchte aber dennoch anfügen, dass in dem Moment, in dem die Hamas begonnen hat, Geiseln zu nehmen und sie nach Gaza zu verschleppen, klar war, dass Israel (auch) mit mit einer Bodenoffensive antworten wird, ja muß. Mit allen entsetzlichen Folgen für die palästinensischen Zivilisten. Es gehört ja zum Geschäftsmodell der Hamas, die ganze palästinensische Zivilbevölkerung für Hamas-Zwecke in die Waagschale zu werfen,oder besser: vorsätzlich zu opfern.
KK
10. Oktober 2023 @ 12:20
@ Katla:
“Es gehört ja zum Geschäftsmodell der Hamas, die ganze palästinensische Zivilbevölkerung für Hamas-Zwecke in die Waagschale zu werfen,oder besser: vorsätzlich zu opfern.”
Man könnte auch argumentieren, dass die israelische Regierung seit ca. 15 Jahren rund zwei Millionen Palästinenser im Gazastreifen in Geiselhaft genommen habe und so für ihre Zwecke opfere. Man darf nicht vergessen, dass der ganze Gazastreifen die Qualität eines riesigen Freiluftknasts hat, dem die israelische Regierung, wie jetzt offenbar geplant, nach Gusto alle lebensnotwendigen Ressourcen einschliesslich Trinkwasser von jetzt auf gleich abschneiden kann.
Vom völkerrechtswidrigen Siedlungsbau im und immer weiterer Fragmentierung des Westjordanlandes, wo “zum Schutz der jüdischen Siedlungen” immer mehr Mauern und Zäune die Palästinenser in ihrer Freizügigkeit im eigenen Territorium hindern, noch gar nicht angefangen.
Hier wird seit langem von Israel Völkerrecht gebrochen, ohne dass die UN etwas dagegen unternommen hätte – dass dann irgendwann einige der Betroffenen zur verzweifelten “Selbstjustiz” greifen würden, war eigentlich absehbar, wenn man in die Geschichte der Region schaut.
Katla
10. Oktober 2023 @ 14:21
@KK: inhaltlich gehe ich in weiten Teilen mit, aber Ihre Schlussfolgerung kann ich absolut nicht teilen: es haben hier nicht “einige der Betroffenen zur verzweifelten „Selbstjustiz“” gegriffen, sondern die Terrororganisation Hamas zum Terror.
Die Völkerrechtsbrüche Israels sind seit Jahren bekannt und (zumindest von mir) unbestritten. Das macht die Hamas aber nicht zu Rittern der Gerechtigkeit. Sie ist eine Verbrecherbande mit viel Freude am Morden, Foltern, Misshandeln.. ähnlich dem IS.
KK
11. Oktober 2023 @ 01:55
@ Katla:
Aber woher rekrutiert die Hamas denn all die, die bereit sind, bei so einem Angriff ins Gras zu beissen? Ja wohl aus den vielen Verzweifelten, die sich nicht mehr anders zu helfen wissen – und für die ist es sehr wohl eine Form verzweifelter Selbstjustiz oder auch Widerstand, weil in dem – jetzt ohnehin in völliger Auflösung begriffenen – „Rechtsstaat“ Israel und auch vor den UN-Institutionen für Palästinenser sowieso kein gangbarer Rechtsweg offen steht.
Es ist immer die Frage, von welcher Seite des Zauns man derartige Aktionen betrachtet: In heutiger Terminologie wären Widerstandshandlungen gegen die Nazis, ob nun von der Resistance, der Warschauer Ghettoaufstand oder das Stauffenberg-Attentat vom 20.07.1944, aus Sicht der Nazis zweifellos auch unisono als „Terrorismus“ bezeichnet worden.
Katla
9. Oktober 2023 @ 20:44
Schon merkwürdig, dass in einem Land, in dem zeitweise täglich vor “Pauschalverdächtigungen”, Stigmatisierungen und Sippenhaft gewarnt wurde, innerhalb von zwei Jahren zwei ganze Völker unter Kollektivstrafe gestellt werden. Scheinbar hat jeder gewalttätige Dealer im Görli mehr Recht auf Unschuldsvermutung, als russische oder palästinensische Zivilisten.
Stef
9. Oktober 2023 @ 19:21
Klingt alles genauso ultimativ und einseitig wie zu Beginn der Ukraine Eskalation im Februar 2022. Ohne eindeutige Freund-Feind-Unterscheidung kommt unsere Politik nicht mehr aus. Das raubt ihr die letzten Reste an Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit.
Monika
10. Oktober 2023 @ 10:45
“Ohne eindeutige Freund-Feind-Unterscheidung kommt unsere Politik nicht mehr aus. Das raubt ihr die letzten Reste an Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit.”
Die eindeutige Freund-Feind-Unterscheidung hat nur einen einzigen Zweck: den privaten Geldsäcken, die aus ihrem “Schatz” Macht ableiten und generieren wollen, Arbeits- Melk- und Kampf”sklaven”, sogenanntes Humankapital, zuzutreiben. Solange das durch billige Propaganda noch problemlos von den politischen Zuarbeitern dieser goldenen Drachen in alle möglichen Richtungen bewerkstelligt werden kann, ist so etwas wie Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit in etwa so bedeutend wie der Sack Reis der irgendwo auf der welt umfällt.
KK
9. Oktober 2023 @ 17:54
Kollektivstrafen kennen die Palästinenser ja schon – sie haben bisher immer zu weiterer Radikalisierung und Eskalation geführt.
Wie soll ein Feuer irgendwann mal ausgehen, wenn immer wieder Öl hineingekippt und die nächste Generation den Radikalen in die Arme getrieben wird?