Unruhen in Frankreich: Macron verlässt überstürzt den EU-Gipfel
Frankreichs Staatschef Macron wollte beim EU-Gipfel “Sicherheitsgarantien” für die Ukraine durchboxen. Nun muß er um die Sicherheit im eigenen Lande fürchten – und verlässt das Treffen in Brüssel für eine Krisensitzung in Paris.
Macron hat wegen der anhaltenden Unruhen nach dem tödlichen Schuss eines Polizisten auf einen 17-Jährigen vorzeitig den EU-Gipfel in Brüssel verlassen. Er wolle an einer Krisensitzung in Paris teilnehmen, hieß es. Die Regierung könnte den Notstand ausrufen, sagte Premierministerin Elisabeth Borne.
Es ist nicht das erste Mal, dass Frankreich in Gewalt zu versinken droht. Schon 2005 gab es schwere Unruhen und Brandstiftungen, damals wurde der Ausnahmezustand verhängt. Erst vor wenigen Wochen gab es Massenproteste gegen die Rentenreform, die Macron am Parlament vorbei angeordnet hatte.
Die EU hat auf die Demokratie-Krise in Frankreich ebenso wenig reagiert wie auf den tödlichen Schuß eines französischen Polizisten auf einen Jugendlichen in Nanterre, der die jüngsten Unruhen ausgelöst hat. Beim EU-Gipfel war der explosive französische Mix bisher kein Thema.
Macron wollte sich zu den innenpolitischen Problemen auch nicht äußern. Umso aggressiver versuchte er, seine aussenpolitische Agenda durchzuboxen. Der zunehmend autoritäte agierende Staatschef drängte auf Sicherheitsgarantien für die Ukraine – dabei ist die Sicherheit im eigenen Land gefährdet…
Siehe auch “Geisterdebatte um Garantien” und “Macron wechselt ins Lager der Falken”
Art Vanderley
3. Juli 2023 @ 21:05
@KK
“ich bin mir gar nicht so sicher, wer da damals die schlimmeren Meuchler waren. ”
Sag ich doch, allerdings saßen die Serben am längeren Hebel.
“Totschlag”
ist gerechtfertigt, so sehr diese Tat inakzeptabel ist, die rechtsstaatlichen Normen müssen schon eingehalten werden. Hier ist eine Affekthandlung, oder etwas, daß Juristen vielleicht als etwas Ähnliches einstufen, sehr wahrscheinlich.
Fraglich ist schon eher, ob jeder Brandstifter ein versuchter Mörder ist, da kommt es sehr auf den Einzelfall an und auf die exakten Umstände.
KK
2. Juli 2023 @ 22:43
@ Art Vanderley:
„Die Kosovoalbaner waren im Jugoslawienkrieg die Opfer, aber sie hatten nicht weniger Hass auf andere Ethnien und Gruppen als die anderen, ein Freund von mir hat mal treffend formuliert „wären die in der Mehrheit gewesen, hätten sie ihrerseits die Serben massakriert“.“
Vorsicht – die UCK war nicht zimperlich; ich bin mir gar nicht so sicher, wer da damals die schlimmeren Meuchler waren. Auch damals schon hatte die Propaganda gut funktioniert und die Serben wurden uns wie schon bei den vorangegangenen Konflikten als die einzig wahren Bösen verkauft. Was heute Putin ist, war damals Milosevic – der mit dem Pferdehuf!
Aber ich bin seit jeher der Auffassung, dass zu einem solchen Konflikt immer zwei gehören!
Das sieht man ja auch in Frankreich gerade: Es fängt mit einem Toten an, und dann stehen sich tausende auf beiden Seiten gegenüber und schlagen sich die Köpfe ein – das geschieht, wenn Deeskalation ein Fremdwort ist. PM Borne war direkt heute persönlich bei dem angegriffenen Provinzbürgermeister, dessen Frau und Kind verletzt worden sind – dass sie aber bei den Hinterbliebenen des Todesopfers gewesen wäre, um zu kondolieren, davon habe ich nichts gehört!
Und: Während gegen die Brandstifter direkt wegen „Mordversuchs“ ermittelt wird, wird gegen den Polizisten lediglich wegen „vorsätzlicher Tötung“ (tagesschau), also Totschlag, ermittelt. Auch hier manifestiert sich eine Zwei-Klassen-Justiz.
Art Vanderley
2. Juli 2023 @ 21:28
@KK
Den vorhandenen Rassismus „klassischer Natur“ will ich nicht kleinreden, kennt man auch aus den USA. Hab ohnehin den Verdacht, daß immer beides gleichzeitig auftritt, „positiver“ Rassismus und „negativer“, bei genauerem Hinsehen war das schon in der Kolonialzeit so. Und vielleicht gehört zur Geschichte sogar ein dritter Zweig, nämlich der „Rassismus“ derjenigen, die hier die Minderheit sind.
Der Zeitgeist steht bei diesem Punkt rechts, weit über die Rechte hinaus und in allen Gruppen, die man irgendwo vorfinden kann, nicht nur bei diesem Thema, überall wird pauschalisiert und hierarchisiert, von allen Seiten. Die erhöhte Kriegsgefahr ist eine logische Folge dieser Entwicklung.
Die Kosovoalbaner waren im Jugoslawienkrieg die Opfer, aber sie hatten nicht weniger Hass auf andere Ethnien und Gruppen als die anderen, ein Freund von mir hat mal treffend formuliert „wären die in der Mehrheit gewesen, hätten sie ihrerseits die Serben massakriert“.
Wie ebo das bereits beschrieben hat, nutzen die einen das Vorgehen der anderen, islamistische Kreise nutzen hier die Situation aus und können noch stärker auftreten als ohnehin schon. Da ist schon was dran an der Beschreibung von Kräften der Sezession.
KK
2. Juli 2023 @ 14:57
@ ebo:
„Mir scheint, dass das Problem vor allem die Segregation und „Sezession“ vieler Banlieues und Vororte ist, wo sich nicht nur eine Parallel-Gesellschaft, sondern auch eine Parallel-Ökonomie entwickelt hat.“
Die Gefahr besteht ja auch in Deutschland: Indem man Asylbewerbern jahrelang das Arbeiten und somit legale Erwerbstätigkeit verbietet, macht man diese anfällig für das Abgleiten in die Illegalität.
Und anstatt sich per Schwarzarbeit von gierigen Arbeitgebern für einen Hungerlohn ausbeuten zu lassen, bietet das Risiko, erwischt zu werden, bei kriminellen Aktivitäten eben weit bessere Verdienstmöglichkeiten.
Und wenn man natürlich bestimmte Milieus in den unattraktiven Vororten zusammenpfercht wie in Frankreich, darf man sich nicht wundern, dass sich dort dann Parallelgesellschaften entwickeln, die sich ihre eigenen Regeln schaffen.
Ist auf der anderen Seite der Gesellschaft ja auch so, dass sich mehr oder weniger Reiche ihre eigenen kleinen Städte/Staaten einfach kaufen wollen (siehe zB Próspera in Honduras oder die libertäre Privatstadt-Bewegung in Döbeln/Sachsen) und dort dann nach ihren eigenen Regeln leben.
KK
2. Juli 2023 @ 13:09
@ Hekla:
“…Rassismusdiskussion waren nicht Thema meiner Posts.”
Die kann man aber bei den osteuropäischen Staaten nicht aussen vor lassen: Denn bei den ukrainischen Flüchtlingen gabs diese Probleme (insbesondere auch in Polen) ja nicht. Ausser bei den in der Ukraine ansässigen farbigen Migranten (hauptsächlich Studenten) – die hatten ja auch massive Schwierigkeiten, aus der Ukraine kommend in Polen zB hereingelassen zu werden.
ebo
2. Juli 2023 @ 13:48
Rassismus is sicherlich ein Teil des Problems, vor allem bei der französischen Polizei. Aber es ist nicht (mehr) der Kern. Mir scheint, dass das Problem vor allem die Segregation und “Sezession” vieler Banlieues und Vororte ist, wo sich nicht nur eine Parallel-Gesellschaft, sondern auch eine Parallel-Ökonomie entwickelt hat. Diese Untergrund-Wirtschaft mit Autos, Drogen, Waffen, Diebesgut etc. birgt ein enormes Gewaltpotential, wie wir auch in Belgien und den Niederlanden sehen. Dort wird sogar die Politik schon von der Drogen-Mafia bedroht…
Hekla
2. Juli 2023 @ 11:49
@Francois: wie unten beschrieben, interessiere ich mich für die osteuropäische Perspektive auf gesamteuropäische Themen. Ursachen, Schuldfrage und Rassismusdiskussion waren nicht Thema meiner Posts.
KK
1. Juli 2023 @ 23:38
@ Art Vandnerley:
„Der „Rassismus“ besteht zunächst mal darin, daß sich der Staat zurückzieht aus solchen „Brennpunkten“.“
Aber wenn deren Bewohner diese dann verlassen, um das zu arbeiten, was man sie noch gerade so arbeiten lässt, dann sind sie eben massivem „racial profiling“ ausgesetzt – das ist individueller Rassismus der handelnden Personen.
Wie jetzt der 17jährige, der ohne Führerschein als Pizzabote gearbeitet hatte. Er hätte wohl lieber eine Ausbildung gemacht, aber damit haben es die Bewohner der Banlieus schwer, zumal solche mit den falschen Namen. Ein weisser 17jähriger wäre sicher erst gar nicht angehalten und kontrolliert worden – und ganz sicher nicht von hinterrücks erschossen, als er sich dann dieser Kontrolle hätte entziehen wollen.
Das ist Rassismus auf allen Ebenen – persönlichen und institutionellen, der hier erneut zu einem unnötigen Todesopfer geführt hat!
Francois
1. Juli 2023 @ 22:21
@ Hekla: Aufruhr gegen die tödlichste Polizei Europas – Mehr als ein Polizeitoter jeden Monat in Frankreich
Waren Sie schonmal in Paris? Wissen Sie, über was Sie reden?
Der Minderjährige war Kurierfahrer und einziger Sohn einer alleinerziehenden Mutter. Seine angeblich kriminelle Vorgeschichte bezog sich offenbar auf unerlaubten Haschischkonsum.
Schon die Adresse ist für viele Arbeitgeber ein Grund, den Bewerber oder die Bewerberin erst gar nicht einzuladen. Übrig bleiben schlecht bezahlte Nebenjobs. Und wer einmal frühmorgens oder abends mit den Regionalzügen nach oder aus Paris gefahren ist, ahnt, wo die Bewohner Nanterres arbeiten: auf Baustellen, Supermärkten, in den Küchen von Bistros, als Putzkräfte in der Métro oder im Bankenviertel von La Défense.
Art Vanderley
1. Juli 2023 @ 22:19
@ebo
Ich hatte schon bei früheren Krawallen den Eindruck, daß die eher um eine Integration kämpfen, die verweigert wird und bei der es nicht nur um Ponyhof geht, da reden wir auch von Respekt vor der einheimischen Kultur, zu dem auch Kritik an derselben zählt, vor der Sprache und der Bereitschaft, sie vernünftig zu lernen, von Selbstkritik gegen den eigenen Rassismus, und derlei ähnlichem.
Das ist nicht dasselbe wie die Bildung von Parallelgesellschaften, die allerdings die Gewinner der Entwicklung sein könnten.
Natürlich gibt es, wie überall, wo muslimischer Hintergrund überwiegt, starke Kräfte, die keinerlei Integration wünschen, kennen wir aus Deutschland, das sind locker 30-40 Prozent, so durch den Bauch geschätzt- Sezession ist kein zu starker Begriff, um deren Intentionen zu beschreiben.
Aber macht man sie nicht zusätzlich noch stärker, wenn man diejenigen ignoriert, die eigentlich auf ein Angebot der “liberalen Demokratie” warten, und das sie deshalb nicht erhalten, weil es die politisch Korrekten sind, und nicht primär die Rechten, die das hintertreiben, nicht weil die Rechten so toll sind, sondern weil sie schlicht nicht an der Macht sind.
Diese Art, kein falsches Wort über Muslime zu verlieren, sie medial zu hofieren, aber dann mit den Kriminellen alleine zu lassen, meinte ich mit einem Rassismus, der von Bürgerlichen ausgeht.
Art Vanderley
1. Juli 2023 @ 21:25
@KK
“Hinzu kommt ein recht offener Rassismus,”
Der “Rassismus” besteht zunächst mal darin, daß sich der Staat zurückzieht aus solchen “Brennpunkten”.
Damit überläßt man sie faktisch Kriminellen, was dazu führt, daß niemand mit der Polizei kooperiert, weil die Bewohner abends wieder mit den Kriminellen alleine sind.
Daraus wird dann messerscharf geschlossen, daß die Mehrheit, wenn nicht alle Bewohner der banlieus, kriminell sind oder mit diesen einverstanden.
Tatsächlich ist es der Staat der hier versagt und seinen Job nicht macht, die meisten der dortigen Bewohner wollen genauso geschützt werden wie der “normale” Franzose auch.
LePen tönt zumindest rum, daß es mehr Polizei braucht, insbesondere in den “Brennpunkten”, was nicht das Schlechteste sein muß für die dortigen Bewohner, vorausgesetzt allerdings, sie gehen nicht gegen die Bewohner an sich, sondern wirklich gegen Kriminelle vor.
Trump hat ähnliche Versprechungen gemacht, aber nicht danach gehandelt.
Bei den Unruhen in den USA, wo in Portland sogar die Polzei in Teilen entmachtet wurde (von Bürgern, nicht von Kriminellen), standen medial immer die Antirassisten im Vordergrund. Tatsächlich war das primär ein Aufstand gegen die Arbeitsverweigerung der Polizei, die ganze Viertel irgendwelchen Banden überlassen hatte (ARD Morgenmagazin). Als die Bürger sich selber bewaffneten – in den USA legal – waren die Banden plötzlich weg.
Natürlich sind es wohl auch klassisch rechte Rassisten, die diese Partei wählen.
ebo
1. Juli 2023 @ 21:51
Man kann die Ereignisse in Frankreich nicht mit deutschen Maßstäben messen. Die Parallele zu den USA passt schon eher. Neu ist das Ausmaß der Gewalt, das sich hier entlädt. Es hat mit dem Anlaß – der Polizeigewalt und dem Rassismus – nur noch am Rande zu tun, das ist nur der Auslöser, oft bloß ein Vorwand. Was danach passiert, ist völlig losgelöst von lokalen oder nationalen sozialen und politischen Prozessen – was sich u.a. daran zeigt, dass es auch in Brüssel schwere Krawalle und Verhaftungen gegeben hat. Dabei gab es in Belgien keinen aktuellen Grund; Staat und Gesellschaft sind auch völlig anders aufgebaut als in Frankreich… Wir haben es hier mit Prozessen der Desintegration und innerstaatlichen Segregation bzw. Sezession zu tun, fürchte ich!
Hekla
1. Juli 2023 @ 17:36
@KK: es sollte auch kein Vergleich sein! Ich finde aber den Vergleich der osteuropäischen Perspektive mit der westeuropäischen sehr spannend – die EU nehmen wir Westeuropäer auch schon als sehr widersprüchlich in ihrem Haltungsanspruch wahr. Wie widersprüchlich und wie wenig sie mit ihrem eigenen Wertesystem konform ist , wird mir immer wieder deutlich, wenn ich versuche, das Ganze auch durch die osteuropäische(n) Perspektive(n) zu sehen. A propos ehemalige Kolonialmächte: die osteuropäischen Länder sind eben alle keine Kolonialmächte, eher selbst Kolonisierte gewesen. Dementsprechend wird dort auch keine moralische Verpflichtung empfunden und man geht mit dem Thema Migration ohne Schuldgefühle oder schlechtes Gewissen um. Und natürlich wird jedes Ereignis in Westeuropa, das die eigene Haltung in der Migrationsfrage bestätigen könnte, ganz genau beobachtet.
KK
1. Juli 2023 @ 01:51
@ Hekla:
„Leider ist das, was in Frankreich gerade passiert…“
Was in Frankreich gerade passiert, ist m.E. schlecht mit dem Rest EUropas vergleichbar:
Denn zum einen stammt wegen Frankreichs Vergangenheit als Kolonialmacht eben ein grosser Bevölkerungsanteil aus den ehemaligen Kolonien (speziell auch aus dem muslimischen Nordafrika) und hat somit in erster Linie nichts mit den aktuellen Flüchtlingen zu tun, und zweitens ist auch die Ghettoisierung der Migrantenmilieus in den Vorstädten wohl kaum irgendwo sonst so konsequent durchgezogen worden wie in Frankreich und nochmal insbesondere in den Banlieus um Paris.
Hinzu kommt ein recht offener Rassismus, der sich an den durchgehend stabilen und immer mal nach oben auisschlagenden Wahlergebnissen der Familie LePen und ihrer rechts-nationalistischen Partei (deren Name mal wechselt, wenn der Ruf allzu angeschlagen ist) ablesen lässt und sich insbesondere in Polizei und Justiz eingenistet hat.
Die Gesetzesänderung von 2017, die faktisch einen Freibrief für die Polizei darstellt, zur Waffe zu greifen, hat dann endgültig die Lage eskaliert.
Art Vanderley
30. Juni 2023 @ 21:41
„Der zunehmend autoritäte agierende Staatschef drängte auf Sicherheitsgarantien für die Ukraine – dabei ist die Sicherheit im eigenen Land gefährdet…“
Der alte Trick, außenpolitische „Größe“ soll die Probleme im Inland übertünchen.
Hekla
30. Juni 2023 @ 17:03
Leider ist das, was in Frankreich gerade passiert, ein Bärendienst für die Argumente von Duda und Orbán. Teile der polnischen und der ungarischen Presse weisen nun ausdrücklich darauf hin, dass während Polen und Ungarn die Zwangsverteilung von Migranten schmackhaft gemacht werden soll, Macron jetzt wegen den Folgen der gescheiterten EU-Migrationspolitik aus Brüssel nach Hause musste.
KK
30. Juni 2023 @ 13:44
Das kommt davon, wenn man der Polizei per Gesetz faktisch die Rechte eines Doppelnull-Agenten einräumt, wie Macron es getan hat. Das rächt sich nun.