Heuchelei oder Erpressung? – Rom führt Brüssel vor
Es läuft nicht rund in Brüssel. Obwohl offiziell noch Sommerpause ist, wurde schon die zweite Krisensitzung dieser Woche einberufen. Nach dem (erfolglosen) Brexit-Meeting am Dienstag gibt es Freitag ein Treffen zur neuen Flüchtlingskrise in Italien.
Nur 12 von 28 EU-Ländern wurden dazu eingeladen – offenbar sind das die „Willigen“, die Kanzlerin Merkel schon im Juni zu einem Sonder-Krisengipfel nach Brüssel gerufen hatte. Wieder geht es um eine „europäische Lösung“.
Doch diesmal steht eine massive Drohung im Raum: Die neue Populisten-Regierung in Rom droht, die Zahlung der italienischen EU-Beiträge einzustellen, wenn die Sitzung (wie so oft) ergebnislos enden sollte.
„Drohungen führen nirgendwo hin“, antwortete ein Sprecher der EU-Kommission. Doch eine Lösung konnte auch er nicht versprechen. Daran arbeitet die EU-Behörde schon seit Sonntag – ohne Erfolg.
Sie muss sich deshalb Versagen vorwerfen lassen. Die Kommission sei unfähig, das Flüchtlings-Problem zu lösen und lasse sich von den italienischen Populisten vorführen, heißt es etwa auf SPON.
Vordergründig geht es um das Schicksal der rund 150 Flüchtlinge auf der „Disciotti“, einem Schiff der italienischen Küstenwache. In Wahrheit geht es um viel mehr: Steht die EU noch zur Seenot-Rettung – und steht Italien noch zur EU?
P.S. Auch die Krisensitzung am Freitag endete ohne Ergebnis. Rom warf Brüssel daraufhin „Heuchelei“ vor – und drohte erneut mit finanziellen Konsequenzen…
Siehe auch „Nur noch Scheinlösungen“ und „Nun fühlt sich Spanien allein gelassen“
Peter Nemschak
25. August 2018 @ 09:48
Der Unmut Italiens ist verständlich. Nur die Drohung seine Beiträge nicht zu zahlen, geht ins Leere. Ich stimme Kleopatra zu, dass sich die EU von den Schlepperorganisationen nicht mehr moralisch erpressen lassen darf. Dass in der EU alle Erkenntnis so lange dauert, ist keine Werbung für sie.
Kleopatra
25. August 2018 @ 11:21
Die Drohung, Beiträge zurückzuhalten, funktioniert bei allen sog. Nettozahlern (da „Brüssel“ seinerseits „seine Zahlungen“ sperren kann, ergibt sich für die EU-Kasse nur dann ein Schaden, wenn das Mitglied mehr einzahlt/einahlen muss als es erhält). Da Italien ein Nettozahler ist, würde die Drohung im äußersten Fall keineswegs ins Leere gehen.
Peter Nemschak
25. August 2018 @ 15:30
Italien ist aufgrund seiner wirtschaftlichen Probleme und hohen Verschuldung stärker von der EU abhängig als umgekehrt. Wenn sich Italien dumm spielt, werden die Renditen auf seine zu refinanzierenden Staatsanleihen schnell in die Höhe gehen und die Staatsschuld untragbar machen.
G. Predl
25. August 2018 @ 08:28
Ich halte die ganze Geschichte für eine gut inszenierte Schmierenkomödie auf dem Rücken von ein paar armen Afrikanern, die nicht wissen, wie ihnen geschieht. Die neue Regierung in Rom will damit Brüssel in all seiner Unfähigkeit zu schnellen Entscheidungen vorführen, was ja bestens gelingt. Aber keineswegs mit den von Italien unterzeichneten Abkommen konform geht.
Dass Brüssel seit 2015 unfähig ist zu erkennen, dass die Abkommen Dublin 1+2+3 nichts taugen, ist eines. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass diese völkerrechtlich verbindlichen Verträge auch von Italien, Spanien und Griechenland unterzeichnet wurden. Zuerst so einen Schmarrn zu unterschreiben, dann keinen ordnungsgemäßen Rückzug aus diesen Verträgen einzuleiten und nun gegen Brüssel mit einer spektakulären Zahlungsverweigerung vorzugehen, ist schon ein wenig lustig. Sind halt Rechtspopulisten.
Italien hatte bisher, auch unter dem Rechtspopulisten Berlusconi, nicht viel gegen afrikanische Flüchtlinge. Diese Leutchen wurden nur wenig bis gar nicht registriert, von Lampedusa nach Rom gebracht und dort öffneten sich am nächsten Tag, die Lagertüren. Die Afrikaner „verschwanden“ daraufhin in Richtung Deutschland und Schweden, nur ein relativ kleiner Teil verblieb in Italien. Anzumerken ist, dass die ital. Probleme mit Ausländern hauptsächlich Roma/Sinti (aus Rumänien) betreffen, nicht aber Afrikaner.
Das umstandlose „Freilassen“ funktioniert nun nicht mehr, denn Österreich versperrt den Weg nach Norden, Frankreich den nach Westen. Österreich will diese Leutchen natürlich nicht aus Bayern wieder zurücknehmen müssen und kann sich bei der Abweisung an der österr-italienischen Grenze auf die Dublin-Abkommen berufen. Also fühlt sich die ital. Regierung alleine gelassen und will keine Flüchtlinge mehr aufnehmen.
Kleopatra
25. August 2018 @ 11:25
Nein. Unter Berlusconi hat Italien m.W. bereits Migranten nach Libyen zurückgeschickt (dass es sie manchmal fröhlich ins Land gelassen hat, um ihnen bei der Weiterreise keine Steine in den Weg zu legen stimmt freilich auch); Gaddafi war dem Herrn B. in Manchem ein geeigneter Partner. Es ist ein schlechter Witz, dass die Absetzung Berlusconis unter tatkräftiger Mitwirkung Merkels auf diese Weise im Grund im Kreis geführt hat. Und Probleme mit afrikanischen Migranten haben sie in Italien durchaus.
Kleopatra
24. August 2018 @ 20:56
Neu und beunruhigend ist freilich, dass mittlerweile schon Italien mit der Zurückbehaltung seiner Beiträge zum EU-Budget droht. Eine gute Gelegenheit, daran zu erinnern, dass auch Italien zu den sog. Nettozahlern gehört! Irgendwann rächt sich eben die Merkelsche Politik, alle EU-Mitgliedstaaten zu schurigeln und ihnen nach Lust und Laune neue Regierungen zu verordnen. Ob sie sich schon nach Berlusconi mit den geschmacklosen Merkelwitzen zurücksehnt?
Was die Frage betrifft, ob man ansonsten ertrinkende Leute aus dem Meer ziehen soll: wenn das zur Folge hat, dass der „rettende“ Staat sie dann aufnehmen muss, wird niemand es mehr machen wollen. Darum muss klargestellt werden, dass (als Beispiel) die Reise in einem Schlauchboot von Libyen nach Norden der teuerste und unangenehmste Umweg nach Tripolis ist, den es gibt.