Ukraine wird zum Budget-Risiko, Gespräche mit Russland – und ein Sanktions-“Desaster”
Die Watchlist EUropa vom 05. Oktober 2023 –
Die Lage ist noch nicht so ernst wie in den USA, wo ein finanzieller Shutdown droht und die Ukraine-Hilfen wackeln. Doch auch in Brüssel klingeln die Alarmglocken. Zur Halbzeit des Sieben-Jahres-Budgets braucht die EU einen Nachschlag – die Ukraine wird zum Haushalts-Risiko.
Schon jetzt wird das Geld knapp. Denn nicht nur die Kosten für die Ukraine-Hilfe laufen aus dem Ruder. Nur drei Jahre nach Verabschiedung des zwei Billionen Euro schweren Doppelhaushalts (reguläres EU-Budget plus Corona-Aufbaufonds) schlagen auch die steigenden Zinskosten zu Buche.
Die EU-Kommission hat deshalb einen Nachschlag von 65,8 Mrd. Euro gefordert. Das Europaparlament will noch noch einmal 10 Mrd. Euro obendrauf. Einig ist man sich nur, dass 50 Mrd. Euro – also der größte Batzen – an die Ukraine gehen sollen.
Doch die Finanzierung ist heftig umstritten. Deutschland und andere EU-Staaten klagen selbst über klamme Kassen und sagen Nein. Die EU solle erst einmal nicht genutzte Finanzmittel ausschöpfen, heißt es in Berlin und in Den Haag.
Zusätzliche Brisanz bekommt der Streit durch einen neuen Prüfbericht des EU-Rechnungshofs. Nach Auffassung der Prüfer waren 2022 zwei Drittel der geprüften Ausgaben mit einem hohen Risiko verbunden. Es habe auch mehr Fehler als früher gegeben – die Fehlerquote stieg von drei auf 4,2 Prozent.
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Ein besonderes Risiko stellt die Finanzhilfe für die Ukraine dar. Dies liegt nicht nur an der Korruption in Kiew, die sogar den USA Sorgen macht – sondern auch an den Schulden, die die EU für das Land aufnimmt. Es sei „sehr schwierig“, die Risiken genau abzuschätzen, sagten die Rechnungsprüfer.
Dabei könnte die finanzielle Belastung in Zukunft sogar noch deutlich steigen. Bei einem EU-Beitritt der Ukraine kämen auf das EU-Budget zusätzliche Kosten in Höhe von 186 Mrd. Euro zu, heißt es in einer internen Schätzung des Ministerrats, aus der die „Financial Times“ zitiert.
Das Budget müsste für die Aufnahme des armen Landes um 21 Prozent steigen, fast alle EU-Staaten würden zu Nettozahlern. Bisher zahlt Deutschland am meisten ein. Künftig könnte Brüssel aber auch Polen zur Kasse bitten – den größten Netto-Empfänger. Dabei sträubt sich Warschau jetzt schon…
Siehe auch “EU-Budget: Nur für die Ukraine ist Geld da”
News & Updates
- EU-Gipfel: Flüchtlingskrise toppt Ukraine-Krieg. Bei den nächsten EU-Gipfeln – am Donnerstag und Freitag in Malaga, zwei Wochen später wieder in Brüssel – rückt der Ukraine-Krieg erstmals in den Hintergrund. Das wichtigste Thema ist die neue Flüchtlingskrise. Doch eine Lösung zeichnet sich nicht ab – trotz der Einigung auf die umstrittene neue Krisenverodnung, der am Mittwoch auch Italien zugestimmt hat. – Mehr hier (Blog)
- EU prüft Elektro-Autos aus China. Wie angekündigt, hat die EU-Kommission eine Untersuchung wegen staatlicher Förderung für chinesische Elektroautos gestartet. Begründet wird das Verfahren damit, dass entsprechende Importe der Wirtschaft in der EU schaden. Auf Nachfrage, wieso nicht auch die Förderung in den USA geprüft werde, wußte die EU-Kommission keine Antwort… – Siehe auch Handelskrieg um E-Autos: Deutschland kann nur verlieren (Blog)
- Geheimgespräche mit Russland über Nordkarabach. Kurz vor der aserbaidschanischen Militäroffensive haben die USA, die EU und die Türkei mit Russland Gespräche über Nordkarabach geführt. Viel bewirkt haben sie nicht, nicht einmal die Vertreibung wurde verhindert. Aber immerhin zeigt dies, dass Russland nicht allein an der Krise schuld ist – und dass man doch noch mit Moskau reden kann, wenn man nur will… Mehr dazu bei “Politico” (english)
Das Letzte
Michel und das “Desaster” der Sanktionen. EU-Ratspräsident Michel und Kommissionschefin von der Leyen liegen im Dauer-Clinch. Spätestens seit dem “Sofa-Gate” in der Türkei geht nichts mehr zwischen den beiden EU-Granden. Im Gespräch mit dem “Spiegel” hat Michel nun eine neue Front eröffnet: Von der Leyen habe nicht nur den umstrittenen Tunesien-Deal verbockt, sondern auch die EU-Sanktionen gegen Russland. Ihre Ankündigung, auch Gas- und Ölprodukte ins Visier zu nehmen, hätte ein “Deaster” herbeiführen können, sagte er. Denn viele EU-Staaten seien darauf nicht vorbereitet gewesen. Das stimmt: Auch Deutschland hat sich gegen diese Sanktionen aufgelehnt. Die deutsche EU-Chefin war übers Ziel hinaus geschossen – vermutlich hat sie zu viel auf die USA und die Ukraine gehört…
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european
5. Oktober 2023 @ 14:41
Ich bin sehr gespannt. Der Tweet unser aller EUCO-Praesidentin hinterlaesst beim Leser den Eindruck als sei alles in trockenen Tuechern. Das wird den Druck auf die Laender erhoehen, weil in diesem Schauerspiel bisher niemand der nein-sagende Spielverderber sein wollte. Ausser Orban natuerlich.
Irgendjemand muss nun Dinge zuruecknehmen. Entweder die Laender ihre Verweigerung oder die EUCO-Praesidentin ihre Verkuendigung. Ich finde uebrigens die Kommentarspalte bemerkenswert. Ich kann mich an Jubelarien unter ihren Tweets erinnern. Das hat sich komplett geaendert. Ablehnung auf ganzer Linie, wie es scheint. Der Wind hat sich gedreht.
Katla
5. Oktober 2023 @ 08:54
Die Perspektiven der Verschuldung der EU für die Ukraine erinnern ein wenig an die Staatsverschuldung der Briten in den Napoleanischen Kriegen – wenn ich mich richtig erinnere, haben sie die auch erst in den 1980-er Jahren tilgen können? Die nachkommenden europäischen Generationen werden danken.
Thomas Damrau
5. Oktober 2023 @ 07:59
Wie so oft hängt alles am Geld: Es gibt so viele Krisen, die Investitionen und Schadensbehebung erfordern. Da ist der Geldbeutel schnell leer und Kürzungen, die breiten Schichten der Bevölkerung schaden, sind ohne politische Verwerfungen nicht unendlich erweiterbar.
Die ersten, die aus dem Abenteuer „Putin vernichtend schlagen“ aussteigen werden, sind die US-Amerikaner: Wenn der Return-On-Investment ausbleibt, wird das Projekt beerdigt werden – siehe Afghanistan.
Aber in Deutschland ( stellvertretend Hofreiter im DLF https://www.deutschlandfunk.de/vor-epc-gipfel-in-granada-interview-anton-hofreiter-gruenen-mdb-dlf-b15549ee-100.html ) versucht man immer noch die Geschichte vom Land Mordor unter’s Volk zu bringen, das die Welt mit Bösen überziehen wird, wenn die Hobbits sich nicht jetzt mit allen Mitteln in die Schlacht werfen.
Wer militärische Realitäten (sowohl die Ukraine als auch Russland sind viel zu schwach, um zu siegen – geschweige denn im Falle Russlands den nächsten Krieg vom Zaun zu brechen) ignoriert, kann relativ schnell allein im Regen stehen.
Helmut Höft
5. Oktober 2023 @ 12:54
@Thomas Damrau
Wie so oft hängt alles am Geld: Es gibt so viele Krisen, die Investitionen und Schadensbehebung erfordern. Da ist der Geldbeutel schnell leer und Kürzungen, die breiten Schichten der Bevölkerung schaden, sind ohne politische Verwerfungen nicht unendlich erweiterbar.
So lange man immer an der – künstlich über Jahrhunderte geschaffenen – Oberfläche bleibt, bleibt das auch so. Solange man “das Ding Geld & der Staat” nicht aufklären will, es ist von G.F. Knapp et al. aufgeklärt https://de.wikipedia.org/wiki/Chartalismus , wird das auch so bleiben. Wie kommt der Schöpfer des Geldes, der währungssouveräne(!) Staat, eigentlich dazu den begüterten Menschen, die es sich leisten können, Papier für die Stilllegung ihres Geldes gegen Zinsen anzubieten? Strafgelden gegen Horten von Geld wären angemessener.
Btw.: Die Unterstützung der Ukraine “bis zum letzten Ukrainer” war von Anfang an krank. Aber für unsere “besten Freunde” lässt der Wertewesten® seine Vasallen gerne durch ein Stahlbad gehen.