Ukraine-Krieg: Wie die EU den Weg für Verhandlungen verbaut
Beim EU-Gipfel gab es keine großen Diskussionen über die Ukraine und die Eskalation des Kriegs. Leider. Denn die 27 haben mit ihrem Gipfelbeschluß den Weg für Verhandlungen mit Russland wohl endgültig verbaut.
Dies zeigt ein Blick in die sog. Schlussfolgerungen, die eine Art Handlungsanweisung für die gesamte EU sind – und offenbar die neue italienische Regierungschefin Meloni binden sollen. Hier die wichtigsten Passagen zur Ukraine (Hervorhebungen von mir):
Sie hat das Recht, alle besetzten Gebiete innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen zu befreien und wieder vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen.
Damit gibt die EU grünes Licht für die Rückeroberung der Krim – und damit womöglich zum 3. Weltkrieg. Denn dort ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert.
Die Europäische Union wird der Ukraine so lange wie nötig zur Seite stehen. Sie wird der Ukraine weiterhin starke politische, militärische und finanzielle Unterstützung leisten, einschließlich zur Deckung ihres Liquiditätsbedarfs, und sie wird ihre humanitäre Hilfe verstärken, insbesondere im Hinblick auf die Vorsorge für den Winter.
Die Unterstützung wird weder zeitlich befristet noch inhaltlich begrenzt – z.B. durch Konditionen, etwa Koordinierung mit der EU oder Verhandlungen mit Russland. Dies ist ein Freibrief für einen langen Krieg und eine Eskalation ohne Ende.
Die Ukraine hat ihre Bereitschaft zu einem gerechten Frieden bekundet, der Folgendes einschließen sollte: die Achtung ihrer durch die Charta der Vereinten Nationen geschützten territorialen Unversehrtheit und Souveränität, die Sicherstellung der künftigen Verteidigungsfähigkeit der Ukraine, die Gewährleistung ihrer Erholung und ihres Wiederaufbaus – einschließlich der Sondierung von Möglichkeiten, dies mit Finanzmitteln aus Russland zu erreichen – sowie die Verfolgung der während des Krieges von russischer Seite begangenen Verbrechen.
Hier macht sich die EU die Wünsche der Ukraine zu eigen. Sie lässt die Tür zum Nato-Beitritt offen, der den Krieg erst ausgelöst hat – und sie eröffnet die Option, russische Vermögenswerte einschließlich der Devisenreserven der Zentralbank zu enteignen!
Bemerkenswert sind auch die Schlussfolgerungen zum Thema Sanktionen. Auch hier verpasst die EU die Gelegenheit, ihre Politik als Hebel für Verhandlungen zu nutzen. Sie will die Strafmaßnahmen nicht einmal einer eingehenden Prüfung unterziehen.
Er (der Europäische Rat) betont erneut, dass Russland die alleinige Verantwortung für die derzeitige Energie- und Wirtschaftskrise trägt.
Dass die westlichen Sanktionen mit für die Energie- und Wirtschaftskrise verantwortlich sein könnten, kommt den EU-Chefs nicht in den Sinn.
Die Europäische Union hat ihre restriktiven Maßnahmen gegen Russland weiter verstärkt und ist auch künftig dazu bereit. Der Europäische Rat betont, wie wichtig es ist, für deren wirksame Umsetzung zu sorgen sowie ihre Umgehung und die Begünstigung der Umgehung zu verhindern; er ruft alle Länder auf, sich den Sanktionen der EU anzuschließen. Die Bemühungen in diesem Zusammenhang sollten verstärkt werden. Der Europäische Rat hat erörtert, wie der kollektive Druck auf Russland weiter erhöht werden kann, damit es seinen Angriffskrieg beendet.
“Kollektiver Druck” heißt noch engere Zusammenarbeit mit USA und Nato. Zudem will die EU nun auch noch den Druck auf Länder wie die Türkei, Indien oder Südafrika erhöhen, die sich gegen die Sanktionen sträuben.
Damit dürfte auch der Wirtschaftskrieg an Schärfe zunehmen…
Siehe auch “Kriegspartei ohne Kontrolle”. Mehr zum Ukraine-Krieg hier, zum Wirtschaftskrieg hier (Live-Blog)
P.S. Während sich die EU ohne Wenn und Aber auf die Seite der Ukraine schlägt, wachsen in den USA die Zweifel an Präsident Selenskyj – und das nicht nur bei Oligarchen wie E. Musk. Siehe etwa hier: Will America end Zelenskyy’s dream?
Helga
27. Oktober 2022 @ 17:17
An KK und Damrau,
da bin ich total eurer Meinung!
Kleopatra
25. Oktober 2022 @ 09:10
Dass die Ukraine das Recht hat, die russische Besatzungsarmee aus allen ukrainischen Territorien zu vertreiben, ist eine Rechtsposition, die sich aus der UN-Charta und dem völkerrechtlichen Verbot eines Angriffskriegs ergibt. Sie schließt strenggenommen einen Waffenstillstand auf davon abweichenden Linien nicht aus, aber als EU-Standpunkt kann der nicht gefordert werden , weil die EU sich sonst mit dem (wie gesagt völkerrechtswidrigen) Aggressionskrieg Russlands gemein machen würde. Dass die Krym nicht zu Russland gehört, wurde als Rechtsstandpunkt auch von Deutschland immer vertreten, z.B. dadurch, dass die Krym zum Konsularbezirk der Botschaft in Kyiv gehört (weshalb Russen mit Wohnsitz auf der Krym ihr Visum in Kyiv zu lösen hätten).
KK
24. Oktober 2022 @ 14:15
“Dass die westlichen Sanktionen mit für die Energie- und Wirtschaftskrise verantwortlich sein könnten, kommt den EU-Chefs nicht in den Sinn.”
Die ideologische Verblendung nahezu der gesamten europäischen Politikelite kommt inzwischen einem religiösem Fanatismus gleich. Und dieser (und ihm gleichkommender politischer Fanatismus wie die NS-Ideologie, Faschismus und Stalinismus) haben in der Geschichte am Ende immer nur Unheil für alle Beteiligten angerichtet.
Thomas Damrau
24. Oktober 2022 @ 09:41
Der Weg zu Verhandlungen ist schon viel früher verbaut worden. Am Anfang des Krieges gab es noch das Angebot der Ukraine, auf Basis einer künftigen Neutralität der Ukraine Verhandlungen zu führen.
Inzwischen sind die Positionen weit auseinandergedriftet:
– Russland reklamiert für sich Gebiete der Ukraine als eigenes Staatsgebiet, die es im Augenblick nicht kontrolliert und vermutlich auch künftig nicht kontrollieren wird.
– Die Ukraine hat inzwischen die Rückkehr zum Status von 2013 zum Ziel erklärt. Ein Ziel, dessen Erreichbarkeit eher unwahrscheinlich ist.
Diese Positionen sind beste Voraussetzungen für einen langandauernden Konflikt. Wenn dann auch noch die EU permanent Blanko-Schecks für die Ukraine ausstellt, motiviert das Selenskyj nicht, an etwas Anderes als an den totalen Triumph über Russland zu denken.
Auf der anderen Seite gibt es Faktoren, die gegen eine unendliche Fortführung des Krieges sprechen:
– Wachsende Zweifel in den USA an der “Rentabilität” des Krieges in der Bevölkerung und zunehmend im politischen Establishment – vor allem beim isolationistischen Flügel der Republikaner. (Danke für den Link auf den Artikel von Thomas Fazi, der diese Gefahr deutlich beschreibt.)
– Verlieren die US-Demokraten bei den Midterms, wird Biden andere Probleme als die Ukraine haben.
– Die Strategiewechsel der russischen Armee: Offensichtlich plant Putin bis zum Beginn des Winters möglichst viel ukrainische Infrastruktur zu zerstören und damit die ukrainische Bevölkerung durch einen ungeheizten Winter zu demoralisieren. (“In die Steinzeit bomben”, wie es die USA in Vietnam versucht haben.) Und natürlich indirekt durch zusätzliche ukrainische Flüchtlinge in den EU-Staaten die Stimmung in der EU-Bevölkerung zu drehen.
– Je länger der Krieg dauert, desto verbrannter wird die Erde sein, die Selenskyj zurückerobern kann. Die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine wird nach heutigen Schätzungen 300-700 Milliarden kosten. Und mit jedem Kriegstag werden diese Kosten höher werden. Wo soll dieses Geld herkommen? Die Gefahr, dass die USA “nicht unser Problem” sagen, ist hoch. Und wo soll die EU das Geld hernehmen: Die EU schlägt sich noch mit den Folgen der COVID-Pandemie und der Energieknappheit herum, die Waffenlieferungen und die humanitäre Hilfe an die Ukraine können auf die Dauer nicht aus der Portokasse bezahlt werden.
Kurz: Ich sehe eine massive Selbstüberschätzung der EU-Granden, die wieder einmal meinen, über unlimitierte Ressourcen zu verfügen und sich auf die Konstanz der US-Außenpolitik verlasen zu können. Da hat man leider in den letzten Jahren nichts dazugelernt … Stichwort Afghanistan.
ebo
24. Oktober 2022 @ 09:56
Richtig, der Weg für Verhandlungen wurde schon früh verlassen – vor allem auf Druck von Ex-Premier Johnson. Doch dass die EU das auch noch festschreibt, hat eine neue “Qualität”. Ich vermute, dass es vor allem darum ging, die neue Rechts-Regierung in Italien zu binden…
Arthur Dent
24. Oktober 2022 @ 00:11
nein, stell dir vor – und alles vollkommen demokratisch, nicht so autoritär wie in der alten Sowjetunion. Was haben die Briten nur für ein Glück, die kriegen vielleicht ihren Clown zurück – wir haben wohl gleich siebenundzwanzig Grusel-Clowns.
Und dann schon im 1. Absatz kommt der nicht nur (sprachliche) Unfug von der regelbasierten internationalen Ordnung. Basiert nicht jede Ordnung per se auf Regeln? Die „regelbasierte Weltordnung“ dient zur Tarnung des politischen Konzepts, wonach USA, Nato und der Wertewesten willkürlich die Regeln bestimmen und wer sich ihnen widersetzt, bekommt Stress. Nach Auffassung des Wertewestens ist Russland der einzige Störenfried in einer ansonsten ganz friedlichen Welt.
Nach meiner Auffassung ist die Charta der Vereinten Nationen die einzige global gültige Ordnung. Punkt!
(Zur Wahrung ihrer Interessen, Verzeihung – zur Wahrung einer von ihr definierten Ordnung durften die USA Lybien bombardieren (erstmalig 1986), den Libanon kanonieren, Vietnam bekriegen, auch Laos und Kambodscha, Grenada besetzen, einen iranischen Airbus abschießen, Wahlen in Nicaragua kaufen, Telefone und Handys abhören in Deutschland, Regierungen im Iran 1953, Guatemala 1954, Chile 1973 auswechseln….)