Von Frieden redet niemand mehr
Acht Monate dauert die russische Invasion in der Ukraine schon. Von Frieden redet niemand mehr. Während Russland vor einer “schmutzigen Bombe” warnt und die USA eine mögliche Militär-Intervention vorbereiten, entwirft die EU einen Plan für den Wiederaufbau. Wie passt das zusammen?
Um es kurz zu machen: Überhaupt nicht. Die Kriegsparteien bemühen sich nicht mehr um kohärente Botschaften. Wer die Meldungen eines einzigen Tages aus Russland, den USA und der EU zusammennimmt, könnte darüber verzweifeln.
Beginnen wir mit Russland: Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat in Telefonaten mit mehreren Kollegen aus Nato-Mitgliedstaaten die Sorge bekundet, dass die Ukraine eine “schmutzige Bombe” einsetzen könne.
Offenbar wollte er damit die Schuld auf die Ukraine schieben, falls eine solche Bombe gezündet werden sollte. Das könnte nämlich dazu führen, dass die USA direkt in den Krieg eingreifen. Dieses Szenario wird sogar immer wahrscheinlicher.
Die Amerikaner haben nicht nur einen Flugzeugträger am Bosporus stationiert, sondern auch eine Eingreiftruppe – die 101. Luftlandedivision – nach Rumänien entsandt. Seit dem Zweiten Weltkrieg war diese Division nicht mehr in Europa stationiert.
Zugleich häufen sich die Gedankenspiele für eine direkte Intervention. Die USA könnten eine internationale Eingreiftruppe aufstellen, um die russische Armee vernichtend zu schlagen, orakelt der frühere US-General Petraeus. So könne man die Nato heraushalten.
All dies deutet auf eine weitere Eskalation. Unklar ist nur, wer sie auslöst – Russland mit einer “taktischen” Atombombe, die Ukraine mit einer “schmutzigen” Bombe – oder die USA mit einem Angriff, für den offenbar nur noch der passende Anlaß gesucht wird.
Und was macht die EU?
Sie weist alle Warnungen aus Moskau zurück und tut so, als habe sie das Säbelrasseln in Washington nicht gehört. Während sich die Haupt-Kontrahenten auf den ganz großen Knall einstellen, redet Kommissionschefin von der Leyen von “Wiederaufbau”!
Das scheint eine deutsche Marotte zu sein, denn Kanzler Scholz und der Ostausschuß der deutschen Wirtschaft haben auch nichts anderes im Sinn. Bei einer Konferenz in Berlin hieß es, Deutschland müsse beim “Wiederaufbau” eine “Führungsrolle” spielen.
Bliebe nur die klitzekleine Frage zu klären, wer die 750 Mrd. Euro bezahlen soll, die dieser Aufbau nach Angaben aus Kiew kosten wird. Das EU-Budget ist leer, das größte EU-Land Deutschland rutscht gerade in die Rezession. Und private Investoren brauchen Sicherheit.
Anders gesagt: Hier passt überhaupt nichts zusammen! Und genau das macht die Lage so beunruhigend…
Siehe auch “Neues vom Wirtschaftkrieg: Deutsche Wirtschaft will Führungsrolle in Ukraine”
P.S. Nato-Generalsekretär Stoltenberg hat die russische Warnung vor einer schmutzigen Bombe als “absurd” zurückgewiesen. Die Ukraine tue alles, um ihr Land zu befreien und würde so etwas nie tun. Seit wann spricht der Nato-SecGen für die Ukraine – und woher weiß er das?
Giere
25. Oktober 2022 @ 13:42
Vermutlich werden nicht nur der Ukraine sondern der ganzen EU, besonders D, die Daumenschrauben angelegt werden ! Deindustrialisiert , ohne sichere und preiswerte Energieversorgung, aber verschuldet ohne Ende. Was soll das Anderes werden ? Blackrock etc. werden uns fleddern bis aufs Knochenmark, egal wie der Krieg endet !
Stef
25. Oktober 2022 @ 10:10
Die Ablehnung einer direkten Kriegsteilnahme von Nato, EU und Deutschland ist bisher eine Kernpolitik dieser ansonsten wirren Bundesregierung gewesen. Von daher entlarvt das aktuelle Schweigen zu den o.g. Entwicklungen wieder mal als Bettvorleger.
Es fällt mir wohl schwer diesen Umstand zu akzeptieren.
Thomas Damrau
25. Oktober 2022 @ 09:48
Die Vorfreude der deutschen Industrie auf den “Wiederaufbau” ist verständlich – allein wegen der Summen, die im Raum stehen. Wer soll das bezahlen? Lassen wir mal unsere Fantasie spielen.
Einschub: Ich habe es vor einigen Tagen das Buch “Die Wahrheit über Griechenland, …” (2015) von Giorgos Chondros aus dem Regal geholt und endlich zu Ende zu lesen. Die Vorgehensweise in Griechenland vor einem Jahrzehnt lässt teilweise recyclen.
Einschub zum Einschub: Chondros regt sich an einer Stelle fürchterlich darüber auf, dass damals Griechenland die Daumenschrauben angelegt wurden – während der Ukraine die billigen Kredite hinterher geworfen worden seien …
Wie wird der Wiederaufbau der Ukraine organisiert werden?
1) Private Investitionen. Das wird in vielen Fällen ein Euphemismus dafür sein, dass westliche Investoren sich die Filet-Stücke der Ukraine unter den Nagel reißen werden. Einer zerstörten Ukraine wird nichts anderes übrigbleiben, als das Tafelsilber auf dem Flohmarkt anzubieten. In Griechenland hat sich z.B. damals Fraport für Billig-Geld griechische Flughäfen gekrallt. Auch in der Ukraine ist dieser Ansatz schon seit 2014 auf einem “guten Weg”.
2) Die Ukraine wird sich als Land mit niedrigen Sozial- und Umweltstandards sowie niedrigen Steuern auf Gewinne positionieren, um Investoren zu einem “Go-East” zu motivieren – beim Arbeitsrecht der Ukraine sind ja schon erste Fortschritte in dieser Richtung gemacht worden.
3) Für die nicht so lukrativen Wiederaufbauarbeiten wird es Kredite vom IWF geben. Um diese Kredite abzusichern, werden der ukrainischen Regierung Aufpasser vom IWF zur Seite gestellt, damit sie nicht in einem schwachen Moment die zu erwartenden Proteste der Bevölkerung durch soziale Wohltaten zu besänftigen versucht.
4) Zusätzlich wird sich die Ukraine bei westlichen Banken verschulden müssen – wie üblich “abgesichert” durch die “Whatever-it-takes”-EZB.
5) Die EU wird natürlich auch ihr Scherflein beitragen – allerdings nur in Maßen. Trotzdem wird dem IWF-Aufseher ein EU-Aufseher zur Seite gestellt – ich könnte mir sehr gut Herrn Schäuble vorstellen.
6) Die wirtschaftlich starken EU-Ländern werden auch direkt Geld nach Kiew überweisen. Wie wäre mit einem Ukraine-Soli als Aufschlag auf die Einkommenssteuer in Deutschland?
7) Ein nicht unerheblicher Teil des gen Osten geschickten Geldes wird als Rüstungskäufe umgehend wieder gen Westen fließen.
8) Die USA werden sich darauf beschränken, Tafelsilber zu kaufen und Waffen zu verkaufen – Investitionen in wenig lukrative Wiederaufbauprojekte werden sie der EU überlassen.
Ob man das Ganze dann einen “Zweiten Marshall-Plan” nennt, ist Geschmackssache. In jedem Fall hilft das alles der Ukraine nicht, solange noch geschossen wird.
european
25. Oktober 2022 @ 10:34
Bei privaten Investitionen muss man genauer hinsehen. Da wird nichts ohne staatliche Bürgschaften gehen. Nicht bei dieser Korruption. Selensky ist keine Lösung, sondern Teil des Problems, wie die Pandora-Papers zeigen. Der deutsche Staat wird haften.
Die Griechen werden mit ihrem Groll nicht allein bleiben. Über den Aufmarsch der Faschisten dort reden wir ja auch nicht so gern. Im Rest Europas gewinnen die Rechtsaussenparteien zunehmend. Siehe Italien, Frankreich, Spanien, Schweden, Deutschland uvm.
Wir haben zugelassen, dass minderqualifiziertes Personal an wichtigen Stellen sitzt. Verbunden mit der Unfähigkeit, aus der Geschichte zu lernen (zb Brüningsche Sparpolitik), ergibt sich ein toxischer Cocktail.
Kleopatra
25. Oktober 2022 @ 08:57
Warum sollten die Botschaften von Kriegsgegnern kohärent sein? Sie sind schließlich Bestandteil der Kriegsführung! Und dass die russische Armee mit radioaktiver Verseuchung viel nonchalanter/sorgloser umgeht als die Ukrainer, hat sie schon in Tschornobyl bewiesen.
Die Kosten des Wiederaufbaus in der Ukraine wären einfach durch Konfiskation jeglichen russischen Auslandsvermögens zu bezahlen, ähnlich wie nach den Weltkriegen. Anscheinend gehören dazu 300 Mrd. an Goldreserven der russischen Nationalbank, womit die angegebenen 750 Mrd. zu zwei Fünfteln schon mal gedeckt wären…
Thomas Damrau
25. Oktober 2022 @ 11:33
@Kleopatra
“Ziehen wir doch einfach das russische Auslandsvermögen ein”: Klingt beim ersten Hinsehen sehr plausibel. Kann man für staatliches Vermögen auch machen, wenn der Gegner die Kapitulationsurkunde unterschrieben hat. Die Konfiszierung von Privatvermögen ist selbst nach einer Kapitulation nicht so einfach zu rechtfertigen.
Solange der Gegner nicht kapituliert hat, ist der Einzug von Staatsvermögen ein kriegerischer Akt – kein Problem, solange man sich eh im Krieg befindet. Wir sind aber (angeblich) nicht im Krieg mit Russland.
Außerdem beruht unser Weltwirtschaftssystem auf Eigentumsschutz & Glauben.
Eigentum ist sakrosankt. Wer Geld hinterlegt und Geld investiert, erwartet, dass er jederzeit auf sein Eigentum zugreifen kann. Diesen Eigentumsschutz aufzuheben, würde einen heiklen Präzedenzfall schaffen.
Geld und Gold sind heutzutage reiner Glaube: Die Währungen der Welt sind nicht mehr durch Edelmetalle gedeckt – Geld wird an vielen Stellen aus dem Nichts geschaffen. Andererseits ist der Wert von Gold rein spekulativ: Er steigt zwar kontinuierlich, aber hauptsächlich aus Misstrauen gegenüber den offiziellen Währungen.
Nun klingt es erst mal sehr attraktiv, für 300 Mialliarden Gold auf den Markt zu werfen – die Nachfrage wäre sicher da. Nur müssen die potentiellen Käufer glauben, dass sie ihr Geld gegen etwas Sichereres eintauschen. Solange Russland nicht offiziell auf dieses Gold verzichtet hat, müssen die Eigentumsrechte im Zweifelsfall vor dem Justizsystem des Heimatlands des neuen Besitzer, des Landes, in dem das Gold aufbewahrt wird, und des Landes, in dem der Besitzer investieren möchte, Bestand haben. Oder anders gefragt: In wie vielen Länder der Welt würde der potentielle Käufer als Hehler angesehen? In unseres globalisierten Welt eine interessante Glaubensfrage: Wir sind heute überzeugt, dass alle “wichtigen Länder” einen Eigentumsanspruch über das ehemalige russiche Gold anerkennen würden. Und was ist mit morgen?
Arthur Dent
24. Oktober 2022 @ 23:15
“Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat in Telefonaten mit mehreren Kollegen aus Nato-Mitgliedstaaten die Sorge bekundet, dass die Ukraine eine “schmutzige Bombe” einsetzen könne.” – außer mit der Kollegin, deren Land gerne die Führungsrolle inne hätte – also mit Deutschland hat er nicht gesprochen. Was macht Deutschland derweil? Nun, der Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages treibt sich in Taiwan herum und provoziert China. Mal sehen, ob Bejing auf das Treffen in Kürze mit Kanzler Scholz noch Wert legt. Ansonsten betreiben die Kriegsgegner im Ukraine-Krieg ein Verwirrspiel. Aber Deutschland fürchtet ja nicht den Atomkrieg, sondern nur den Atomstrom.
KK
24. Oktober 2022 @ 18:31
Dem Klimawandel keine Chance – wir machen uns vorher offenbar lieber noch schnell alle selber platt!
Wenn es wider meiner Überzeugung einen Gott geben sollte, dann hat er offenbar einen sehr schwarzen Humor!