Troika ignoriert Verfassung
Wir wussten ja schon, dass die Euro-“Rettung” mit Spardiktaten einhergeht, die keine Rücksicht auf die betroffenen Länder nehmen. Doch in Portugal geht die Troika noch einen Schritt weiter.
Nachdem die Verfassungsrichter einen Teil der Sparpakets gekippt haben, fordern nun Berlin und Brüssel, die Regierung in Lissabon müsse neue Sparmaßnahmen beschließen. Aus einem Statement der EU-Kommission:
“Jedes Abweichen von den Zielen des Programms oder ihre Nachverhandlung würde die bereits geleisteten Anstrengungen der portugiesischen Bürger zunichte machen (…) und die Schwierigkeiten des Anpassungsprozesses verlängern.”
Finanzminister Schäubke gehört zwar nicht der Troika an, aber er muss natürlich auch seinen Senf dazugeben. Das Land müsse nun neue Maßnahmen treffen, forderte Schäuble im Bayerischen Rundfunk.
Anders ausgedrückt: Man respektiert nicht etwa den Spruch der Richter, sondern fordert Portugal dazu auf, sich darüber hinwegzusetzen. “Bringt Euer Verfassungsgericht auf Linie”, kommentiert “ZeroHedge”
Wir sind im Begriff, eine neue Grenze zu überschreiten – vom Diktat zur Diktatur der Troika? – Mehr zum Thema hier
Manfred K.
9. April 2013 @ 11:04
Schade, dass auch in Alternativmedien so “tendenziös” berichtet wird. Ganz abgesehen davon, wie man zur Rettungspolitik stehen mag, ist es doch sachlich falsch, hier von einem Verdikt zum Verfassungsbruch bzw. zum Ignorieren des Urteils zu sprechen, Das Gericht hat TEILE der beschlossenen Sparmaßnahmen abgelehnt, die Troika und Schäuble fordern, dass die Summe dennoch zusammen gebracht werden soll, zu der sich Portugal verpflichtet hat. Und wie jeder weiß, gibt es vielfältige Möglichkeiten, wie ein Staat zu mehr Geld kommen kann, die Portugiesen müssten nun eben verfassungskonforme Varianten wählen – vermutlich weniger Einsparungen bei Rentnern etc. und mehr Steuererhöhungen, Privatisierungen etc. Staaten sparen ja gerne bei den Schwächsten, was aber – zum Glück – gewisse Grenzen in den Verfassungen hat.
ebo
9. April 2013 @ 18:07
Ich berichte gerne ‘tendenziös, wenn das heißt, aus Sicht der europäischen Bürger. Die Sicht der Troika mache ich mir nicht zu eigen, denn sie ist kein Eu- Gremium und auch nicht demokratisch legitimiert. Hinzu kommt, dass die Spardiktate der Troika willkürlich und schädlich sind. Wenn die Verfassungsrichter die Auflagen auf Antrag des Präsidenten annullieren kann es deshalb nicht einfach darum gehen, anderswo zu kürzen, Vielmehr ist die Troika in der Pflicht sich zu erklären!
Melina
8. April 2013 @ 16:27
ebo,
die Grenze ist meiner Meinung nach schon lange überschritten. Auch ist dies nicht der erste Versuch, begleitet von mehr oder minder offenkundigen Drohungen, auf Verfassungsgerichte oder nationale Parlamente Einfluss zu nehmen. Dass Schäuble als erster die Peitsche schwingt und aufwiegelt, ist auch keine Premiere.
Meine Haltung zu Europa habe ich ja ausführlich in meinem Kommentar zum “Drama des überzeugten Europäers” dargestellt. Nach den Ereignissen der letzte Monate bin ich zu einer weiteren Überzeugung gelangt: um Europa zu retten, muss die EU zerschlagen werden. Wenn wir keinen totalitären Superstaat wollen, dann gibt es nur eine logische Alternative, nämlich die Rückkehr zu völlig souveränen Nationalstaaten.
Zwischenformen mit “marktkonform” zurecht gestutzten Demokratien funktionieren nicht, wie sich zeigt.
Wenn auch nur die geringste Chance bestünde, eine wirklich demokratische politische Union zu bilden, mit sozialstaatlichem Fundament und echter Bürgerbeteiligung, dann wäre ich dabei. Diese Chance sehe ich aber selbst bei optimistischster Betrachtung nirgends mehr. Im Gegenteil stärkt jede neue Horror-Meldung meine Befürchtungen, dass es Fünf vor Zwölf ist.
Wir haben bereits eine “lost generation”, ein Millionenheer von jungen Menschen, die auf dem Altar des Mammons geopfert werden und deren ganze Zukunft darin bestehen wird, billige Lohnsklaven in einer gigantischen Sonderwirtschaftszone zu werden. Das alleine genügt schon, um endlich auf die Notbremse zu steigen. Die Zunahme rechtspopulistischer bis rechtsextremer Bewegungen ist ein weiteres, nicht zu übersehendes Warnsignal. Was ich sehr bedauere, ist, dass die europäische Linke nicht den Mut aufbringt, aus diesen Fakten die nötigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber vielleicht ist das ja bald auch obsolet, nämlich dann, wenn die Schraube wirklich überdreht wird und die befürchteten Unruhen ausbrechen. Ich habe von Juncker noch nie was gehalten, aber seine Warnung kommt nicht von ungefähr und ist sehr ernst zu nehmen.
tim,
genau das, dass sich Länder als Billiglohnland positionieren müssen, ist Ziel der marktradikalen Politik, die auch vor den noch einigermaßen stabilen Ländern nicht halt machen wird. Im übrigen macht Agenda-Deutschland ja vor, wie das geht und demonstriert nebenbei, dass nachhaltige Wohlstandsgewinne nun wirklich nicht auf dem
Plan stehen.
Tim
8. April 2013 @ 11:16
Leute, bitte schaut doch man in die Wirklichkeit: Dank Euro-System sind (mindestens) Portugal und Griechenland wieder dort, wo sie Mitte der 90er Jahre waren. Diese Länder müssen sich jetzt wieder als Billiglohnland positionieren, wenn sie Investitionen bekommen wollen. Traurig, aber eine bessere Strategie ist nicht in Sicht. Erschwerend kommt hinzu, daß die beiden Staaten in den nächsten 10-20 Jahren einen klaren Ausgabenschwerpunkt auf Bildung & Infrastruktur legen müssen, wenn sie nachhaltige Wohlstandsgewinne erzielen möchten. Je eher sie sich von keynesianischen Träumen verabschieden, desto besser für die Zukunft der Länder.