Transatlantiker frohlocken, Brexit-Gegner hoffen – und Berg-Karabach verliert

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Am Samstagabend um 19 Uhr war für viele EU-Politiker die Welt wieder in Ordnung. In einer ungewöhnlichen koordinierten Aktion schickten die Staats- und Regierungschefs der meisten EU-Staaten ihre Glückwünsche an den neuen US-Präsidenten Biden.

Dass es gelang, fast gleichzeitig fast gleichlautende Bekenntnisse zur Freundschaft mit den USA und zur transatlantischen Partnerschaft zu übersenden, wurde in Berlin und Brüssel als großer Erfolg gefeiert. Die EU spricht endlich mit einer Stimme!

Es hielten sich zwar nicht alle an die von Ratspräsident Michel ausgegebene Deadline. Einige Europaabgeordnete melden sich schon früher zu Wort. Die Regierungschefs aus Slowenien und Ungarn, Jansa und Orban, ignorierten die Regie aus Brüssel.

Doch dafür – das ist neu – werden sie nun verlacht und geschmäht. Hofiert werden dagegen die Transatlantiker, die es angeblich immer schon gewußt haben: Amerika ist nicht so wie Trump, die USA lieben die Nato und die EU, alles wird wieder gut!

In Deutschland war die Erleichterung besonders groß. Außenminister Maas bot Biden flugs einen „New Deal“ an, Verteidigungsministerin AKK versprach höhere Militärausgaben, und die „Tagesschau“ erklärte, dass „wir“ jetzt mehr Verantwortung übernehmen müssen.

Das meint natürlich auch Kommissionschefin von der Leyen. Die Amtsvorgängerin von AKK ist jetzt wieder in ihrem Element. Sie lobte nicht nur die „unprecedented transatlantic partnership“, als hätte es Trump nie gegeben, sondern stellte auch gleich eine Agenda 2020 auf:

The European Commission stands ready to intensify cooperation with the new Administration and the new Congress to address pressing challenges we face and notably: fighting the COVID-19 pandemic and its economic and social consequences, tackling climate change together, promoting a digital transformation that benefits people, strengthening our common security, as well as reforming the rules-based multilateral system.

Quelle: EU-Kommission

Daran wird sich Biden nun messen lassen müssen! Doch was wird aus der „strategischen Autonomie“, die die EU doch neuerdings anstrebt? Was wird aus der europäischen China-Politik, die eigentlich ein Schwerpunkt des deutschen EU-Vorsitzes sein sollte?

Und wo bleibt jetzt Frankreich? Bisher gab Präsident Macron in Brüssel den Ton an, Kanzlerin Merkel ist ihm notgedrungen in vielen Bereichen gefolgt. Doch mit Biden gib es neue Optionen. Deutschland könnte der große Gewinner, Frankreich der Verlierer sein…

Siehe auch „Last exit Biden“ und unsere kritische Leseliste zur US-Wahl

Watchlist

Muß der britische Premier Johnson jetzt klein beigeben und einen Handelsvertrag mit der EU unterzeichnen? Das glauben viele in Brüssel – durch die Niederlage Trumps sei auch Johnson geschwächt. Allerdings vergessen sie, dass der nie ein Trump-Fan war. Und sie übersehen, dass der Brexit zu einer Zeit kam, als noch Obama US-Präsident war, und Biden sein Vize. Klar ist nur eins: Time is running out, noch in dieser Woche wird eine Entscheidung erwartet…

Was fehlt

Der Fall einer strategisch wichtigen Stadt in Berg-Karabach. Aserbaidschan hat nach Angaben seines Präsidenten Alijew die Stadt Schuscha erobert. In einer Fernsehansprache sprach Alijew am Sonntag „mit großem Stolz und Freude“ von der „Befreiung“ Schuschas durch aserbaidschanische Streitkräfte.  Sein Verbündeter, der türkische Sultan Erdogan, gratulierte zur „Befreiung von Schuscha“. Vom Friedensnobelpreisträger EU kam nur bleiernes Schweigen…

Das Letzte

Auch Deutschland setzt auf Abschiebung von Flüchtlingen und Auslagerung der Probleme in Drittländer. Dies geht aus einem Arbeitspapier des deutschen Ratsvorsitzes hervor, den „Statewatch“ veröffentlicht hat. „Externalisation, deportations, operations against migrant smuggling and tougher border controls are high on the Presidency’s agenda“, schreibt das Portal. Berlin stützt also den Kurs der EU-Kommission in Brüssel, Innenminister Seehofer und von der Leyen arbeiten Hand in Hand. Der Text steht hier

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