Tausend Tage Krieg, letzte Schlacht um Mercosur – und die Genossen fallen um
Die Watchlist EUropa vom 19. November 2024 – Heute mit News und Analysen zur Ukraine-Politik, zum Freihandel und zum Streit um die nächste EU-Kommission.
Seit tausend Tagen tobt der Krieg um die Ukraine. An keinem einzigen Tag hat die EU versucht, den Konflikt aus eigener Kraft und eigenen Ideen zu lösen. Am 1000. Tag will sie nun die “Helden der Ukraine” ehren – mit einer Sondersitzung des Europaparlaments am 19. November.
Doch wer nun hofft, dass die EU-Politiker einen Moment innehalten und sich auf ihre eigentliche Aufgabe – den Frieden – besinnen, sieht sich getäuscht. Dies hat das Treffen der Außenminister am Montag in Brüssel gezeigt. Nicht weniger, sondern mehr Krieg war das Thema – wie in diesem Blog angekündigt.
Der scheidende Außenbeauftragte Josep Borrell forderte nicht nur, dass alle EU-Staaten den USA folgen sollen – “Feuer frei” für die Ukraine heißt seine Devise. Er bekannte sich auch dazu, in den letzten fünf Jahren kein Chefdiplomat gewesen zu sein, sondern “Sicherheits- und Verteidigungspolitiker”.
EUropa ist unsicherer denn je
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Dummerweise ist EUropa heute unsicherer denn je. Und in der Verteidigung sind wir abhängiger von den USA als zuvor. Die Entscheidung der Amerikaner, ihre ATACMS für ukrainische Angriffe tief im russischen Hinterland freizugeben, wird die Lage nicht bessern – ganz im Gegenteil.
Russland hat erklärt, dass die Entscheidung – von der wir immer noch nicht wissen, ob sie Noch-Präsident Biden persönlich getroffen hat – die Spannungen erhöhen und dem Krieg eine “neue Qualität” verleihen wird. Sollte Kiew die US-Waffen für Angriffe nutzen, wären die USA direkt in den Krieg involviert.
Dann drohe eine “angemessene und signifikante” Antwort, erklärte die Sprecherin des russischen Außenministeriums. Der Krieg würde wohl nach EUropa getragen, jenseits der ukrainischen Grenzen – eine Eskalation, die zumindest Kanzler Scholz unbedingt verhindern will.
Doch mit diesem Ziel ist er zunehmend isoliert – nicht nur in Brüssel, sondern auch in Berlin. Offenbar ist kurz vor dem Machtwechsel in Washington eine fatale Kettenreaktion in Gang gekommen – und niemand weiß, wie sie noch aufzuhalten wäre. Nicht einmal Donald Trump, oder?
Siehe auch Baerbock stellt sich hinter Biden – und gegen Scholz
News & Updates
- Letzte Schlacht um den Mercosur-Deal. Der seit Jahren heftig umstrittene Freihandels-Deal der EU mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten soll Anfang Dezember besiegelt werden. Doch Frankreich und viele Bauern – auch in Deutschland – sind weiter dagegen. Nun hat die wohl letzte Schlacht begonnen – mit einer Bauernblockade in Paris und Protesten in Berlin. Der große Loser ist Präsident Macron, er hat den politischen Kampf auf EU-Ebene bereits verloren…
- Mindestlohn-Richtlinie nicht umgesetzt. Deutschland und die meisten anderen EU-Staaten haben die europäische Mindestlohn-Richtlinie nicht umgesetzt. Tschechien, Litauen und Luxemburg würden sogar aktive Lohndrückerei begehen, kritisiert der Europäische Gewerkschaftsbund. Doch während die EU-Kommission sonst immer auf Umsetzung drängt und mit Vertragsverletzungs-Verfahren droht, passiert in diesem Fall nichts…
- Borrell will Georgien bestrafen. Der EU-Außenbeauftragte Borrell will für Georgien bestimmte Finanzhilfen in Höhe von mehr als 100 Mill. Euro umwidmen. „Ich habe vorgeschlagen, einen wichtigen Teil der Programme, die an die Regierung gehen, nicht mehr zu unterstützen“, sagte er in Brüssel. Das Geld solle eingefroren und stattdessen Organisationen der Zivilgesellschaft zugewiesen werden. Mehr im Blog
Das Letzte
Die Genossen fallen um. Die neue EU-Kommission hängt immer noch in der Luft, ohne die Sozialdemokraten kann Behördenchefin von der Leyen ihr “Team EUrope” nicht an den Start bringen. Eine Zeitlang sah es so aus, als würden die Genossen der CDU-Politikerin die Unterstützung entziehen. Doch nun sind sie umgefallen – zumindest in Spanien. Wie “El Diario” meldet, wollen sie den Weg frei machen und sogar den rechten Italiener Fitto mitwählen, wenn dafür nur die spanische Sozialistin Ribera durchkommt. Verrat am Spitzenkandidaten-Verfahren, Bruch der Brandmauer gegen rechts, Demokratie-Defizit und Intransparenz – alles kein Thema mehr!?
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Monika
19. November 2024 @ 15:37
Die ganze Aufstellung der Kommission ist sowieso nicht EU-Recht-konform, denn -laut Sonneborn- dürfte es nur 18, nicht 27 Kommissare geben. Die Maxime der Kommission samt ihrer Chefin ist doch schon lange, sich Recht nach Belieben zu nehmen, zu beugen, zu übertreten und Andersmeinenden im Brustton der eigenen Überzeugung das Einfordern der ihnen eigentlich verbrieften Rechte per ordre di mufti zu verunmöglichen.
Am meisten enttäuscht mich somit die “Rechtsabteilung” und Justiz der EU, nur allzu deutlich zeigt, dass sie sich willig vor den Machtkarren spannen lässt. Von wegen Demokratie…. das war für ein paar Jahre ein nettes Hobby von Idealisten. Jetzt gehts zur Sache Schätzchen! Zieht euch warm an, im Schützengraben ziehts ….
KK
19. November 2024 @ 12:37
„Und in der Verteidigung sind wir abhängiger von den USA als zuvor.“
Ohne die USA müssten wir uns um Verteidigung gar keinen Kopf machen – denn spätestens seit 2008 baggern die USA an einer NAhTOd-Mitgliedschaft der Ukraine inklusive Putschunterstützung auf dem Maidan, ohne die es die Spannungen mit Russland gar nicht gäbe.
Wäre das „EUropäische Haus“, das uns einst versprochen wurde, wie angekündigt mit Russland gemeinsam gebaut worden, ginge es EUropa in jeder Hinsicht besser. Aber das mussten die Amerikaner mir aller Macht verhindern…
Insofern stimmt das mit der „Abhängigkeit“ sogar noch weit zynischer, als es wohl gemeint war…
Helmut Höft
19. November 2024 @ 10:10
“Die Genossen fallen um.” Na? Was hat ein Kommentator hier als Wette angeboten? “Morgen ist das alles wieder „Schall und Rauch“ (https://lostineu.eu/update-vdl-2-0-sozialdemokraten-sprechen-von-wortbruch/ )
In scheißebauen, umfallen usw. (und bei “Nebeneinkünften”) ist die Politniki immer höchst zuverlässig! mC
@Thomas Damrau
Interessante Idee, dafür spricht schon ‘ne gewisse Logik!
Ansonsten: “Aber so ist das eben bei unseren Maulhelden: maximale Glaubensstärke bei voller Ahnungslosigkeit.” FACK
(Interessanter Punkt: V 1und V 2 – Dronen und Raketen – entscheiden heute Kriege. “Wenn das der Führer gewusst hätte!” 😉 )
european
19. November 2024 @ 11:32
“Ruchlosigkeit ist keine Frage des Charakters sondern nur der technischen Moeglichkeiten”.
Stammt nicht von mir sondern aus dem Buch “Die Welt der Maschine”.
Wenn wir also heute die Ruchlosigkeit von Napoleon mit der von Hitler oder Stalin vergleichen wollen, so zaehlt nach dieser Erkenntnis nicht das zu deren individueller Zeit erzielte Ergebnis (Tote, Verletzte, Verschollene etc.), sondern das was sie mit gleichen technischen Moeglichkeiten erreichen wuerden.
Laut Born hat Ruchlosigkeit keine Steigerungsform. Eine interessante Erkenntnis wie ich finde. – “Wenn das der Fuehrer gewusst haette!”
european
19. November 2024 @ 09:39
Die Vertrauensfrage bzw. das Vertrauensvotum in Deutschland wird hoechstinteressant werden, denn es geht nicht nur um die Ampel sondern um eine Grundsatzentscheidung bezueglich Krieg und Frieden. Wer Scholz stuerzt nimmt entweder in Kauf oder unterstuetzt eine aktive Kriegsbeteiligung Deutschland’s, denn bisher bleibt er bezueglich Taurus standhaft. Transatlantiker Merz ist da eher unbeleckt und scheut auch einen Atomkrieg nicht, wie man online lesen konnte. Ich weiss nicht, ob er das tatsaechlich so gesagt hat, aber einer Taurus-Lieferung steht er jedenfalls nicht im Weg und es gibt genuegend Abgeordnete, die den Krieg nach Russland tragen wollen.
Wer also weiterhin den Friedenspfad waehlen moechte, muesste eigentlich Scholz unterstuetzen, zumindest so lange bis Trump vereidigt wurde und ueber die Macht verfuegt, den Krieg zu beenden. Erst gestern war eine entsprechende Rede von ihm online zu sehen, indem er vor WWIII gewarnt hat und dass es seine Aufgabe sein wird, den unsaeglichen Kriegspfad der Neocons zu beenden, die es ja auch bei den Republikanern gibt.
Es liegen spannende Monate vor uns.
Thomas Damrau
19. November 2024 @ 09:19
Es ist schon eine spannende Frage, ob Biden die Freigabe der ATACMS angekündigt hat, um Trump vor vollendete Tatsachen zu stellen.
Wir können eine solche Entscheidung auch anders lesen:
— Auch Trump kann nicht mit einem “Take whatever you want” Putin freie Hand in der Ukraine lassen.
— Deshalb unterstelle ich, dass die Freigabe zwischen Biden und Trump auf ihren Treffen vor einigen Tagen gemeinsam beschlossen wurde.
Am Ende hilft die Freigabe sowohl Biden als auch Trump:
— Biden kann sich zum Abschied noch einmal als großer Kämpfer inszenieren.
— Trump hat damit nicht selbst zusätzliches Öl ins Feuer gegossen (was viele seiner Wähler nicht goutieren würden) und kann trotzdem Putin dezent darauf hinweisen, dass es im Keller der USA noch einiges an Folterwerkzeugen gibt.
Nebenbei bemerkt: Viele Kriegs-Oberstrategen in den deutschen Medien haben die ATACMS zur Langstreckenwaffe geadelt (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/langstreckenwaffen-selenskyj-usa-ukraine-krieg-russland-100.html und auch in mehreren Zeitungen) – was sie mit einer Reichweite von 300 km definitiv nicht sind. Deshalb ist die Vorstellung unrealistisch, man könne mal kurz eine ATACMS in den Kreml schießen, wie schon der eine oder andere geträumt hat. Auch die Wunderwaffe TAURUS (auch keine Langstreckenrakete) käme in Moskau mit leerem Tank an – wenn überhaupt.
Aber so ist das eben bei unseren Maulhelden: maximale Glaubensstärke bei voller Ahnungslosigkeit.
KK
19. November 2024 @ 12:41
„Auch die Wunderwaffe TAURUS (auch keine Langstreckenrakete) käme in Moskau mit leerem Tank an – wenn überhaupt.“
M.W. wird die von Flugzeugen abgeschossen – es kommt halt darauf an, wie weit ein solches in den russischen Luftraum käme, bevor es eine Taurus ausklinkt… eigentlich nur ein paar Kilometer, um eben nicht mit leerem Tank in Moskau anzukommen.
Kleopatra
19. November 2024 @ 09:02
Wen Russland als seinen Gegner ansieht, sucht es sich schon selber aus. Die Russen möchten gerne eine Weltmacht sein, die nur mit den USA auf Augenhöhe verhandeln muss und mit denen es Interessensphären abgrenzen kann, wie Putins recht indirekter Vorgänger Stalin mit Hitler. Das russische Argument, dass die Ukrainer ohne massive amerikanische Hilfe mit so etwas Kompliziertem gar nicht zurechtkämen, zeigt für mich vor allem, dass sie die Ukrainer als Gegner nicht ernst nehmen.