Streit um Schuldenschnitt, Grünes Licht für Nord Stream – und die Frontexfiles

Die Watchlist EUropa vom 08. Februar 2021 –

Was wird aus dem enormen Schuldenberg, den die EU-Staaten in der Coronakrise anhäufen? Über diese Frage ist am Wochenende eine Grundsatzdebatte entbrannt, bei der es um verdammt viel geht.

Auf dem Spiel steht nicht nur die Finanz-Stabilität von Ländern wie Belgien, das mit 35,6 Mrd. Euro die größte Staatsverschuldung der Geschichte meldet. Es geht um das Schicksal der ganzen Eurozone.

Mehr als hundert Wirtschaftswissenschaftler, darunter der prominente französische Ökonom T. Piketty, haben nun die Europäische Zentralbank in einem offenen Brief zu einem massiven Schuldenschnitt aufgefordert.

Es geht um 2,5 Billionen Euro

Die EZB solle staatliche Schuldtitel in Höhe von insgesamt 2,5 Billionen Euro abschreiben, heißt es in einem in mehreren europäischen Medien, darunter “Le Monde”, veröffentlichten Schreiben.

Alternativen zu einem Schuldenerlass seien neue Kredite im Rahmen einer Umschuldung, Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen. Die EU plant bisher eine Rückzahlung bis 2050, äußert sich aber nicht zu den Details.

Piketti & Co. fürchten, dass nach dem Auslaufen des zeitlich befristeten Corona-Aufbaufonds, vermutlich 2024, eine Phase der harten Austeritätspolitik oder der Steuererhöhungen beginnt. Beides wäre Gift für die Konjunktur.

Die EZB ist strikt dagegen

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Doch die EZB lehnt die Forderung nach einem Schuldenschnitt ab. Die Forderung stehe im Widerspruch zum Verbot der Staatsfinanzierung in den EU-Verträgen und könne daher nicht einmal ins Auge gefasst werden, so Lagarde in “Le Monde”.

Das ist ein beinhartes Nein. Doch immerhin findet in Frankreich eine Debatte statt. In Deutschland hingegen wird das Thema weitestgehend ignoriert. Dabei steht eine Bundestagswahl bevor, die Politiker laufen sich warm.

So äußerte sich Bundesfinanzminister Scholz am Wochenende optimistisch, dass Berlin die Corona-Schulden binnen zehn Jahren abtragen könne.

Dabei könne eine Vermögenssteuer helfen, sagte Scholz der “Tagesschau”. Ein möglicher Schuldenschnitt wurde nicht einmal erwähnt…

Siehe auch “Rücksturz in die Rezession – noch eine verlorene Dekade?” sowie unseren Update “Grüne gegen Schuldenschnitt”

Watchlist

Wie wird die EU auf die Schlappe reagieren, die ihr Außenvertreter Borrell am Freitag in Moskau erlitten hat? Beim ersten EU-Besuch seit Jahren ließ Gastgeber Lawrow den Spanier erst auflaufen, dann wurden drei EU-Diplomaten ausgewiesen. Nun sinnt Borrell auf Rache und fordert neue EU-Sanktionen. “The Russian authorities did not want to seize this opportunity to have a more constructive dialogue with the EU. This is regrettable and we will have to draw the consequences.” Offenbar will er wieder an der Sanktionsspirale drehen – dabei ist seit Jahren erwiesen, dass das gar nichts bringt… – Mehr hier

Hotlist

  • Nach einem Baustopp wird die umstrittene deutsch-russische Ostsee-Gasleitung Nord Stream 2 AG ungeachtet von US-Sanktionen weitergebaut, wie die “Süddeutsche” meldet. Die USA und mehrere EU-Staaten sind gegen das fast fertige Milliardenprojekt, weil sie eine zu hohe Abhängigkeit von russischem Gas befürchten. Zuletzt war Ende 2020 ein Abschnitt fertiggestellt worden. Der Bau hatte zuvor ein Jahr geruht, nachdem US-Sanktionsdrohungen zum Abzug von Spezialschiffen einer Schweizer Firma geführt hatten. – Bemerkenswert ist, dass Frankreich seine Bedenken zurückstellt und Österreich für den Weiterbau plädiert. Deutschland ist nicht mehr (ganz so) allein…
  • Vertrauliche Dokumente zeigen, dass viele EU-Mitgliedsländer das BioNTech-Vakzin zunächst nicht kaufen wollten. Die Verhandlungen mit den Pharmafirmen stockten auch, weil einige eine Risikohaftung ablehnten. Dies berichtet die “Tagesschau”. Demnach sei anfangs auch nur “eine kleine Minderheit der Mitgliedsstaaten am möglichen Kauf des BioNTech-Impfstoffs interessiert” gewesen. Einer der Gründe sei die aufwendige Kühlung gewesen, die für diesen Impfstoff nötig ist. – Damit bricht die Legende in sich zusammen, wonach vor allem Frankreich Schuld an der Verzögerung war. Nein, viele EU-Staaten hatten kein Vertrauen in das neue deutsche Vakzin…
  • Glock, Airbus, Heckler & Koch. Die Teilnehmerliste der 16 Lobby-Treffen der EU-Grenzschutzagentur Frontex in den Jahren 2017 bis 2019 liest sich wie das Who-is-Who der Rüstungsindustrie. Kataloge mit Handfeuerwaffen wurden herumgereicht und in bunten PowerPoint-Präsentationen die Vorzüge von Überwachungsdrohnen erklärt. – So führt das “ZDF Magazine Royale” in die “Frontex Files” ein, die neue Vergehen der EU-Grenzschutzbehörde dokumentieren sollen. – Allerdings ist die Aufrüstung von Frontex nicht neu, sie wird von der EU ausdrücklich gefördert. Auch die Nähe zu Lobbyisten ist nicht überraschend. Das Hauptproblem ist die mangelnde Kontrolle...