De-Risking paradox, Milliarden für die Ukraine – und Moskau droht Kiew
Die Watchlist EUropa vom 21. Juni 2023
Von hinten durch die Brust ins Auge. So sagt man, wenn etwas unnötig verkompliziert oder verschleiert wird. Genau das hat EU-Kommissionschefin von der Leyen bei der Vorstellung ihrer “Strategie für wirtschaftliche Sicherheit” gemacht.
Sie behauptet, China sei ein Unsicherheitsfaktor für die europäische Wirtschaft. Dabei ist der Handel mit China bisher ein Stabilitätsanker, vor allem für Deutschland. Die Unsicherheit geht vor allem von den USA und ihren Sanktionen aus. Denn die wirken jetzt schon – unabhängig vom Konflikt um Taiwan.
Den Niederlanden haben die Amerikaner bereits verboten, High-Tech-Chips nach China zu exportieren. Deutschland wollen sie untersagen, weiter Huawei-Produkte zu nutzen. Sogar massive Wirtschafts-Sanktionen nach dem “Vorbild” Russland sind geplant – sie würden vor allem die deutsche Wirtschaft treffen.
Doch statt dieses Risiko klar zu benennen und sich von der US-Strategie zu distanzieren, folgt von der Leyen wieder einmal ihrem Idol Biden. Just an dem Tag, da Kanzler Scholz den chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang in Berlin empfing, kündigte die CDU-Politikerin in Brüssel eine Wende in der Wirtschaftspolitik an.
Protektionistische Investitions-Kontrollen und ein staatlich gelenkter Außenhandel – das droht, wenn sich von der Leyen durchsetzt. Ein echtes Risiko für die Wirtschaft – made in EU, bzw. in den USA…
Mehr zu China hier, zum Wirtschaftskrieg hier
News
- 50 Mrd. Euro für die Ukraine – und eine Strategie für “wirtschaftliche Sicherheit”: Das verspricht die EU-Kommission. In der “taz” habe ich aufgeschrieben, warum dies eine Wende in der Wirtschafts- und Finanzpolitik darstellt. Die 27 EU-Staaten sollen für die Ukraine sogar mehr Geld nachschießen als für die Migration und die Wettbewerbsfähigkeit…
- Harte Ansage aus Moskau an Kiew: Sollte die Ukraine mit amerikanischen Himars oder britischen Storm Shadow die Krim angreifen, so würde Moskau harte Vergeltung üben und die “Entscheidungszentren” in Kiew zerstören, drohte Kriegsminister Schoigu. Verantwortlich wären die USA und Großbritannien, erklärte er...
- Der Konservative Orpo ist Finnlands neuer Ministerpräsident und löst damit die Sozialdemokratin Marin ab. Mit seiner Vier-Parteien-Koalition rückt das Land deutlich nach rechts. (Tagesschau) Die Rechten bekommen mit den Posten der Innen- und der Justizministerin die Bestimmungshoheit in der Einwanderungspolitik.
Watchlist
- Hat die Ukraine Fortschritte auf dem Weg zum EU-Beitritt gemacht? Dazu will die EU-Kommission am Mittwoch Stellung beziehen. Nach Angaben von Reuters soll Brüssel zu dem Schluß gekommen sein, dass nur zwei von sieben Bedingungen erfüllt wurden. Das wäre nicht genug, um Beitrittsverhandlungen zu starten!
- Bedroht das Klima auch unsere Sicherheit? Darüber diskutiert Nato-Generalsekretär Stoltenberg am Mittwoch mit EU-Chefdiplomat Borrell und dem US-Sondergesandten Kerry in Brüssel. Leider hinter verschlossenen Türen: Die “Townhall”-Debatte lässt nur geladene Gäste zu. Ich stehe nicht auf der Liste. Warum nur?
P.S. Dieser Newsletter ist ein Test im Zuge des für den Herbst geplanten Relaunchs. Ihr Feedback hilft uns, die „Watchlist“ noch besser zu machen! Mehr Newsletter hier
KK
22. Juni 2023 @ 13:34
“Hat die Ukraine Fortschritte auf dem Weg zum EU-Beitritt gemacht?
…dass nur zwei von sieben Bedingungen erfüllt wurden. Das wäre nicht genug, um Beitrittsverhandlungen zu starten!”
Da kommt doch bestimmt als Argument, dass in Zeiten des “völkerrechtswidrigen brutalen russischen Angriffskrieges” ja auch nicht mehr verlangt werden könne… und es werden unverzüglich Beitrittsverhandlungen in Gang gesetzt.
Würde mich jedenfalls nicht wundern.
ebo
22. Juni 2023 @ 14:19
Kommt wahrscheinlich im Dezember. Noch ein wenig rummäkeln, und dann durchwinken – so macht man es gern in Brüssel 🙂
european
21. Juni 2023 @ 17:12
@ebo
Ich finde es gut, dass diese Seite immer weiterentwickelt wird. Ich habe aber eine Frage zu den Daumen.
Kommentiere ich mit den Daumen den Inhalt oder die Art, wie er vermittelt wird? Das ist nämlich nicht dasselbe. Z.B. finde ich nicht gut, dass wahllos weiter Kredite bekommt, die sie zum einen eh nicht zurückzahlen kann und die zum anderen die prekäre Lage verschärfen. Also müsste der Daumen runter. Gut finde ich dagegen, dass Sie überhaupt darüber schreiben. Also Daumen rauf.
P.S. Ich war das nicht mit den zwei Daumen die schon da sind 🙂
Vielleicht könnten Sie das einmal erläutern? Sollten Sie das schon getan haben (ich war einige Tage weg), dann reicht der Hinweis, wo es steht.
Vielen Dank 🙂
ebo
21. Juni 2023 @ 17:18
Sorry habe ich noch nicht erklärt. Die Daumen sind auch ganz neu Mir geht es vor allem darum, ob der Beitrag bzw der Block geliked wird, nicht so sehr um den Inhalt. Also sind die News interessant, wird die Watchlist gern gelesen? Wahrscheinlich frage ich das später nochmal genauer ab – denn ja, die Daumen sind nicht unbedingt selbst erklärend
Wolfram Elsner
21. Juni 2023 @ 12:34
wo ist mein kommentar geblieben? bitte wiederholen!
ebo
21. Juni 2023 @ 12:44
Der könnte im Spam-Ordner hängen geblieben sein. Sowas gibts auch bei WordPress (darauf läuft dieser Blog).
Also bitte einfach nochmal posten – danke!
KK
21. Juni 2023 @ 12:19
Für das Verhältnis insbesondere von der Leyens und der EU-Kommission, aber auch leider sehr, sehr vieler EUropäischer Spitzenpolitiker zu den USA fällt mir nur noch ein Wort ein:
STOCKHOLMSYNDROM!
Stef
21. Juni 2023 @ 11:12
Es spricht nichts gegen eine europäische oder deutsche strategische Industriepolitik, sie ist sogar überfällig. Nur ist davon leider nichts zu sehen. Ebo hat recht. Nur die US-Linie umzusetzen ersetzt nicht die Definition eigener Interessen.
Das Problem liegt wie immer woanders. Einmal natürlich in der inzwischen unerträglichen Abhängigkeit unserer europäischen Eliten von den USA. Aber eben auch in einem ideologischen und politischen Dilemma:
Der Neoliberalismus und sein Nachtwächterstaat stehen auf Kriegsfuß mit strategisch steuernden wirtschaftlichen Maßnahmen. Ich rede hier nicht von kleinteiliger Regulierung oder Förderprogrammen, sondern von wirksamen Maßnahmen, die eine Strategie umsetzen auch wenn es teuer wird und knirscht. Das ist bei uns ein Tabu, weil es naturgemäß die Freiheit des Großkapitals einschränkt, Investitionsentscheidungen alleine am privaten Interesse auszurichten.
China kann das offensichtlich, Russland auch, wie sich an ihrer aktuellen Performance zeigt. Nur bei uns haben sich Politik und Demokratie inzwischen vollständig zum Büttel des Großen Geldes gemacht, was strategischer Steuerung abträglich ist. Jedenfalls dann, wenn diese nicht zuerst dem privaten Profitstreben der Superreichen dienen soll.
Das ist das spannende an unserer Zeit: Hier kommen unser Gesellschaftsvertrag und die wirtschaftliche Machtverteilung an ihre Grenzen. Schaffen wir eine Neuorientierung noch vor oder erst nach dem großen Knall?
Thomas Damrau
21. Juni 2023 @ 08:47
@Kleopatra
Es ist zwar richtig, dass China inzwischen wirtschaftlich in einer Machtposition ist, die sich auch in politische Macht ummünzen lässt.
Nur sollten Sie nicht den Eindruck erwecken, als sei „der Westen“ von China in die Falle gelockt worden. Die Westen war entzückt,
– in China gut ausgebildete und preiswerte Arbeitskräfte zu finden – Stichwort „verlängerte Werkbank“
– sich einen riesigen Markt für die eigenen Produkte zu erschließen (Seriöse Wirtschaftsexperten meinen, wenn Deutschland den Handel mit China herunterfahre, könne die deutsche Autoindustrie dichtmachen.)
Vor lauter Begeisterung wurde kritisches Know-How über die Chinesische Mauer gereicht. Das geschah nicht nur auf Druck Chinas, sondern zu großen Teilen freiwillig, um gemeinsame Projekte zum Laufen zu bringen. (Ich war seinerzeit entsetzt, wie leichtfertig mein Arbeitgeber Schlüsselaufgaben und -Know-How nach China verlagert hat.)
In der Folge sind in der Tat „Kapazitäten und Fertigkeiten“ aus Europa und insbesondere den USA nach China gewandert. Und es hat sich herausgestellt, dass die Chinesen nicht nur Werkbank, sondern auch Forschung und Entwicklung können.
Das der Westen jetzt meint, von China über den Tisch gezogen worden sein, soll nach meiner Meinung nur von der westlichen Dummheit und Gier ablenken, die die augenblickliche Situation herbeigeführt haben.
Und wenn es um unfaire Praktiken und das Ausnutzen wirtschaftlicher Stärke geht, fallen mir viele andere Täter ein, insbesondere die USA und Deutschland.
Deshalb: Etwas weniger moralische Scheinheiligkeit und etwas mehr Pragmatismus.
european
21. Juni 2023 @ 08:39
„Deutschland profitiert seit ca 20 Jahren.“
So ist es.
Es war nicht zuletzt der Export nach China und auch Indien, der Deutschland nach der Finanzkrise aus der Kurve gezogen hat. Der innereuropäische Export ging zurück, weil die EU-Länder noch am Boden lagen und sich auch weiterhin nicht erholten. Die durch Austerität schwach gehaltenen Südländer drückten den Euro und vergünstigten deutsche Produkte für außereuropäische Länder. Dazu Billige Energie und Rohstoffe verbunden mit deutscher Technologie und BINGO.
Tja, man vergisst sowas schnell
http://frankfurt.china-consulate.gov.cn/det/sbwl/201005/t20100523_3436636.htm
Interessant ist die Studie des IW zu den gestiegenen Importen aus China, insbesondere die Produktliste auf Seite 10.
https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Report/PDF/2023/IW-Report_2023-China-Import-Entwicklung.pdf
Das Gejammer über die angebliche Abhängigkeit ist m.E. ein reines Schaulaufen, um weitere Aggressionen gegen China zu schüren. Natürlich hat die chinesische Regierung ein Interesse daran, ihr Milliardenvolk aus der Armut zu holen und entsprechende Verträge über Produktionen und Exporte zu schließen. Mit beachtlichem Erfolg. Doof sind sie auch nicht. Sie haben in den letzten Jahren überdurchschnittlich viel in die Bildung und Ausbildung ihrer Jugend gesteckt, Universitäten und Forschungsinstitute gebaut. Zeit für Augenhöhe.
Es ist dieser Erfolg, der den westlichen Ländern Angst macht, weil sie fürchen, ihre Dominanz zu verlieren. Bisher haben schließlich wir diktiert, wo es lang geht und das ändert sich gerade. Statt am Aufbau der Mittelschicht zu arbeiten, setzen wir seit Jahren auf Abbau der Mittelschicht. Im Gegensatz zu China übrigens. Insbesondere Deutschland braucht ein neues ökonomisches Modell und da sehe ich aktuell nichts bzw. nicht viel. Niedriglohnsektor reloaded?
Kleopatra
21. Juni 2023 @ 08:11
Der Handel mit China führt vor allem zum Abbau industrieller Kapazitäten und Fertigkeiten in Europa. China hat kein Interesse an gleichberechtigten Partnerschaften, sondern arbeitet gezielt darauf hin, andere von sich abhängig zu machen. Mit solchen „Partnern“, bei denen man nach jedem Händedruck die eigenen Finger nachzählen muss, sollte man nur sehr reduzierte Beziehungen unterhalten. Alle von Ihnen vorausgesetzten Vorteile eines umfangreichen Chinahandels sind nur kurzfristig, langfristig profitiert, wer sich von ihnen nicht abhängig macht.
ebo
21. Juni 2023 @ 08:13
Deutschland profitiert seit ca 20 Jahren. Kurzfristig würde ich das nicht nennen…
european
21. Juni 2023 @ 07:30
China plant Militärbasis in Kuba als Antwort auf die Taiwan-Entwicklung…
https://zerohedge.com/geopolitical/china-seeks-military-base-cuba-response-us-bolstering-taiwan-us-officials-admit
“Taiwan is roughly 100 miles from mainland China, about the same distance Cuba is from Florida. China has no combat forces in Latin America, according to U.S. officials. Meanwhile, the U.S. has dozens of military bases throughout the Pacific, where it stations more than 350,000 troops. Chinese officials have pointed this out when they push back on American efforts to counter their military expansion outside of the Indo-Pacific.”
Spannende Entwicklung.
@ebo: Es überrascht mich nicht, dass Sie nicht zu den geladenen Gästen gehören. Sie sind viel zu kritisch 🙂