Stillhalten ist auch keine Lösung
Fast vier Wochen nach dem Besuch von EU-Kommissionschef Juncker in Washington zeigen sich die Grenzen seines „Deals“: Jetzt überzieht US-Präsident Trump die Türkei mit Sanktionen, ein Crash könnte auch die Wirtschaft in Europa treffen.
Doch Brüssel schweigt. Kein Wort zum US-Handelskrieg gegen den EU-Beitrittskandidaten und Nato-Alliierten, keine Reaktion auf den Schwächeanfall der Börsen in Europa, der auf den Fall der türkischen Lira folgte.
Die EU hält still – denn sie will ihr eigenen Stillhalteabkommen mit Trump nicht gefährden. Doch lange dürfte dieser Deal nicht halten: Spätestens nach den Mid-Term-Wahlen in den USA im November wird der Streit wieder aufleben.
Denn Trump gewährte der EU vor allem aus innenpolitischen Gründen eine Atempause, und Juncker kann seine in Washington gemachten Versprachen kaum halten. Er hat nicht mal ein Mandat für Verhandlungen über Zollsenkungen.
Muss sich also auch EUropa auf ein Wechselbad aus Zuckerbrot und Peitsche einstellen – genau wie Russland, wo die USA nach Trumps Liebesgrüßen in Helsinki nun schon wieder mit neuen Sanktionen droht?
Darüber habe ich mit Kollegen und Experten aus Peking, Moskau und Berlin beim „Internationalen Frühschoppen“ in Köln diskutiert, der nun von „phoenix“ produziert wird. Das aktuelle Video steht hier
Siehe auch Juncker-Trump: Another Fake Deal“
Peter Nemschak
14. August 2018 @ 11:00
Welches Interesse hat die EU gegen Erdogan in Stellung zu gehen ? Erstens wird die Türkei mit oder ohne Erdogan in Zukunft ein wichtiger Handelspartner und Partner der EU in Sachen Migration sein. Zweitens hat die EU kein Interesse, dass die NATO durch den möglichen Abfall eines geostrategisch wichtigen Mitglieds wie die Türkei in einer sensiblen Region geschwächt wird. In Sachen Iran hat die EU, auch wenn sie seinerzeit das Atomabkommen als ihr Baby verkauft hat, im Grunde kein politisches oder wirtschaftliches Interesse, dem Iran gegen die USA die Stange zu halten. Sanktionen sind asymmetrisch. Man kann Handel verbieten, aber nicht anbefehlen, wie manche vielleicht glauben. Solange die EU nicht bereit ist, Sicherheitspolitik wie Handelspolitik supranational zu betreiben, was in letzter Konsequenz Entscheidung über Krieg oder Frieden bedeutet, und daher unwahrscheinlich ist, wird sie keine geopolitisch effektive Großmacht auf Augenhöhe mit den USA, China und Russland sein. Sie wird daher auch in Zukunft ein Bündnis mit einer anderen Großmacht suchen müssen. Historisch und kulturell bieten sich dafür ausschließlich die demokratischen USA an. Auf Grund ihrer Struktur hat die EU geopolitisch weniger Optionen als ihre Mitbewerber. Dass sie diesen Umstand nicht gerne an die große Glocke hängt, ist verständlich. Dass die checks and balances der amerikanischen Demokratie nicht so unmittelbar wie in einer europäischen parlamentarischen Demokratie funktionieren, hat mit der doppelten Legitimität des amerikanischen Präsidialsystems zu tun, das dem Präsidenten größere Freiheiten als einem europäischen Ministerpräsidenten oder Bundeskanzlers einräumt. Besonders erfreulich in der Expertenrunde fand ich das emotionslose Argumentieren von Lemke und Ming.
G.Predl
13. August 2018 @ 08:33
Es gibt in Europa – und schon gar nicht in Deutschland und Österreich – keine Mehrheit für die Unterstützung des irren Möchtegern-Diktators Erdogan. Sich für das deutsche Handelsvolumen von 54 Mrd Euro mit der Türkei ins Zeug zu legen, das bringt nix, die Türken zahlen eh schon nicht mehr …
Erdogan hat die Sanktionen durch Mißachtung eines kleinen Deals zwischen USA, Türkei und Israel auf sich gezogen. Der deal war: Israel schickt Frau Ebru Özkan, die dort wegen Unterstützung der Hamas im Gefängnis saß, in die Türkei zurück und die Türkei schickt den „Pastor“ Brunson in die USA. Frau Özkan kam pünktlich in der Türkei an, doch die Türkei behauptete nun, dass es gar keinen deal gegeben hätte und behält Brunson in Hausarrest.
Die Türkei hat eine viel größere Auseinandersetzung mit den USA laufen. Sie hat die Sanktionen mit dem Iran unterlaufen, der Chef der halbstaatlichen Halkbank, ein gewisser Herr Attila, soll nun auf 32 Monate wegen Geldwäsche ins Gefängnis. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tuerkischer-banker-wegen-illegaler-iran-geschaefte-schuldig-gesprochen-15373199.html
Zarrab hat in diesem Prozess als Kronzeuge seine Geschäfte mit Erdogan persönlich und drei türkischen Banken dargelegt.
Es ist klar: Erdogan will den Herrn Attila gegen den Pastor Brunson austauschen, die Frau Özkan sieht er Draufgabe.
ebo
13. August 2018 @ 09:22
Danke für die interessanten Hintergründe. Es geht aber auch nicht darum, Erdogan zu unterstützen. Es geht um die Frage, ob die EU wegschauen kann, wenn ein Beitrittskandidat (die Türkei) von einem Alliierten (den USA) so sanktioniert wird, dass dies Sicherheit und Stabilität in Europa gefährdet. Die Krise strahlt bereits auf die Börsen und auf den Euro aus; die Gemeinschaftswährung gerät unter Druck: https://www.theguardian.com/world/2018/aug/13/turkey-financial-crisis-lira-plunges-again-amid-contagion-fears
Kleopatra
13. August 2018 @ 11:20
Ich fürchte, die EU kann u.a. deshalb nichts gegen einen türkischen Staatsbankrott tun, weil sie sonst in Deutschland die letzten Sympathien verspielen würde (bei Euro-Staaten konnte man noch argumentieren, dass das uns direkt mit beträfe, aber bei einem Staat, der weder den Euro als Währung hat noch EU-Mitglied ist?)
Zu dem Konflikt mit den USA hat Erdogan durch sein Verhalten selbst entscheidend beigetragen. Irgendwelche Unterstützung für die Türkei würde voraussetzen, dass ihre Führung auf sinnlose Provokationen verzichtet und über Währungs- und Wirtschaftsprobleme normal kommuniziert und nicht im „Wir werden jede Hand brechen, die …“-Modus.
Was den Status als Beitrittskandidat betrifft, so ist der ausschließlich formal und hat mit reellen Chancen auf Mitgliedschaft nichts zu tun; und das weiß tief drin sicher auch Erdogan. Die entschiedensten Anhänger einer Aufnahme der Türkei waren ohnehin die britischen Konservativen …
Solveig Weise
13. August 2018 @ 12:02
@ebo: Weil die Börsen ein wenig nach unten gehen soll also die Politik im Sinne einer „marktgerechten Demokratie“ stillhalten selbst wenn der Diktator aus Ankara Menschenrechte in Dauerschleife mit Füssen tritt?
Eine sehr bedenkliche Einstellung. Im Gegenzug zu dem Clowns in Brüssel setzen die USA ihre Macht auch ein. Über Juncker, Merkel und Co lacht Erdogan doch nur.
ebo
13. August 2018 @ 12:20
Unsinn. Die EU hätte längst die sog. Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen und Sanktionen gegen den Erdogan-Clan verhängen müssen. Aber sie ist auch gefordert, auf die Eskalation zwischen den USA und der Türkei zu reagieren – schließlich geschieht das vor unserer Haustür, und es birgt (nicht nur wirtschaftliche) Risiken. Das ist doch der Tenor des Blogposts: Stillhalten ist keine Lösung, durch Wegducken wird alles nur noch schlimmer…
ebo
13. August 2018 @ 12:56
Es ist doch nicht so schwer: Es geht hier um den „Vorgarten“ der EU um um strategische und wirtschaftliche Interessen Europas! Wir können uns doch nicht überall wegducken, nur damit der Fake-Deal zwischen Trump und Juncker hält und deutsche Autos weiter ungehindert in die USA exportiert werden können…
Solveig Weise
13. August 2018 @ 12:32
@ebo: Diese Logik erschließt sich nicht. Die EU soll also auf die Eskalation zwischen den USA und Erdogan reagieren weil diese nicht nur wirtschaftliche Risiken birgt. Selbst aber sollen die Beitrittsverhandlungen abgebrochen und Sanktionen gegen den Erdogan Clan verhängt werden…..(Die EU Handlungen wären dann selbstverständlich keine Eskalation denn eine solche kann ja per Definition nur von den USA ausgehen…(Vorsicht Ironie):-)