Statt Aufbruch droht Abbruch

Was ist eigentlich aus dem „Aufbruch für Europa“ geworden, den Kanzlerin Merkel und ihre GroKo versprochen haben? In unserer Sommerserie zeichnen wir den langsamen, aber sicheren Abschied vom Reformversprechen nach. TEIL 6: Institutionen-Versagen (Repost vom 27.06.18).

Brüssel bereitet sich auf „den“ Gipfel des Jahres vor. Eigentlich sollte er „die“ große EU-Reform bringen, mit „Aufbruch“ und so. Doch nun geht es plötzlich um Kanzlerin Merkel, die Flüchtlinge und das Überleben der EU.

  • Merkel: Sie appellierte am Dienstag an CDU und CSU, sich einig zu zeigen – und bekam dafür lang anhaltenden Beifall. Liegt da etwa Entspannung in der Luft? Wird der EU-Gipfel für die Kanzlerin vielleicht doch nicht so wichtig?
  • Die Flüchtlinge: Sie werden beim Gipfel nur eine Nebenrolle spielen – genau wie das Schicksal der „Lifeline“, das beim Merkel-Gipfel am Sonntag ja auch kein Thema war. Viel wichtiger wird die „Sicherung der Außengrenzen“.
  • Das Überleben der EU. Das sei auch ohne Einigung gesichert, sagte der scheidende grüne Europaabgeordnete J.P. Albrecht am Dienstag zu seinem Abschied aus Brüssel (er wird Minister in Kiel). Demgegenüber sieht die Chefin der Linksfraktion, G. Zimmer, Europa vor einem Rückfall in die „Barbarei“. Gegen Orban und Salvini gelte es, Merkel und die EU zu verteidigen.

Das lässt aufhorchen. Die Linke lobt Merkel – jedenfalls die Flüchtlingskanzlerin des Jahres 2015. Gleichzeitig bereitet Merkel eine neue Welle der Abschottung und Abschiebung vor. Ja, sind denn alle verrückt geworden?

Meine Analyse geht ein wenig anders. Ich sehe hier – analog zum Staatsversagen in Berlin 2015 – ein Institutionen-Versagen in Brüssel. Die EU wird ihrer Rolle nicht mehr gerecht, sie vereint nicht mehr und lässt sich instrumentalisieren.

Besonders deutlich ist dies in der EU-Kommission. Beim Krisengipfel am Sonntag waren Kommissionschef Juncker und Generalsekretär Selmayr nicht nur Gastgeber, sondern auch Stichwortgeber der Kanzlerin. Die Kommission hat Ratspräsident Tusk übergangen, der die EU-Gipfel normalerweise ausrichtet, und einem (deutschen) EUropa à la carte den Weg bereitet.

Auch das Europaparlament hat versagt. Es hat sich längst auf einen achtbaren Kompromiss zur Flüchtlingspolitik geeinigt, incl. Umverteilung und Grenzschutz. Sogar CDU und CSU haben unterschrieben, Fraktionschef Weber ist ja CSU-Mitglied. Doch statt für ihren Kompromiss zu kämpfen, auch gegen Merkel, lassen die MEP ihren Präsidenten Tajani italienisch reden

Am schlimmsten ist die Lage aber im Rat. Dort wird gerade die „Leader’s agenda“ über den Haufen geworfen, die Ratspräsident Tusk im Herbst noch feierlich verabschieden ließ. Asylreform, Euro-Reform, Brexit-Einigung – nichts davon ist zustande gekommen. Der Rat ist nicht nur ratlos, sondern völlig zerstritten. Und dieser Laden soll Merkel retten?

Aber Vorsicht: Auch wenn die drei Brüsseler Institutionen versagen, heißt das noch lange nicht, dass die EU zusammenbricht. Sie ist einfach nur gescheitert – wie schon in der Eurokrise. Trotzdem geht es weiter, immer weiter…