Staatsversagen
Die Vorfälle in Köln sind zum EU-Thema geworden. Köln ist plötzlich überall, die Übergriffe auf Frauen werden von Gegnern einer liberalen Flüchtlingspolitik instrumentalisiert. Dabei wird ein wichtiger Aspekt übersehen.
[dropcap]G[/dropcap]emeint ist das eklatante Staatsversagen, das wir nun auch in Deutschland beobachten. Nicht nur die Polizei ist in Köln gescheitert; auch das Land NRW und der Bund müssen sich Fragen stellen.
Warum hat die Bundespolizei nicht härter durchgegriffen? Haben Innenminister de Maizière und Justizminister Maas geschlafen? Rächt sich nun der jahrelange Sparkurs in der Polizei?
In Deutschland ist man es nicht gewohnt, sich solche Fragen zu stellen. Lieber zeigt man mit dem Finger auf andere – auf Griechenland oder Belgien, neuerdings auch auf Frankreich.
Dort sei die Einwanderungspolitik gescheitert, die Integration misslungen, heißt es. Aber sieht es in Deutschland wirklich besser aus? Ist die Integration von 1 Mio. Migranten überhaupt realistisch?
„Merkels pauschale Zuversicht reicht nicht mehr“, schreibt der „Spiegel“. Dasselbe ließe sich über den Berufs-Optimismus der EU-Politiker sagen. Denn das Staatsversagen hat Methode.
Letztlich trifft es die ganze EU, die durch den Sparkurs der letzten Jahre zum (neo-)liberalen Nachtwächterstaat umgebaut wurde. Griechenland ist nur das jüngste – und extremste – Beispiel.
Während die EU überall Liberalisierung, Privatisierung und Öffnung propagierte, hat sie es versäumt, neue Schutzmechanismen aufzubauen, die den Abbau des Nationalstaats kompensieren.
Das gilt nicht nur für die „Sicherung der Außengrenzen“, die nach dem Abbau der Binnengrenzen verschlafen wurde. Es gilt auch für die innere Sicherheit – selbst Deutschland scheint überfordert…
Siehe auch „Wen schützt Europa?“
GS
11. Januar 2016 @ 19:34
ebo, ich habe gerade mal ein paar Deiner ersten Blogbeiträge überflogen und bin dabei auf diesen Beitrag gestoßen: https://lostineu.eu/die-neue-berliner-mauer/
Jetzt, fünf Jahre später, liest sich das wie aus einer anderen Zeit. Die Rollen haben sich komplett vertauscht.
ebo
11. Januar 2016 @ 20:25
Nun ja, schon damals habe ich prophezeit, dass Deutschland sich nicht einmauern kann. Das heißt allerdings, dass man gleich alle Schleusen aufmachen muss. Merkel ist auf ihre Art eine Radikale, das hat ja auch der deutsche Coup zu Griechenland gezeigt…
GS
11. Januar 2016 @ 16:21
Staatsversagen ist das richtige Wort. Allerdings hatten wir das auch schon im Sommer. Eine Regierung, die sich hinstellt und sagt „Wir können unsere Grenzen nicht schützen“, gibt das sogar offen zu. Ich bin immer noch erstaunt, dass das niemand thematisieren will.
Dann kam das organisatorische Chaos bei der Verwaltung der Flüchtlinge. Und nun kommt eben die Unfähigkeit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung hinzu. Lokal scheint es Versuche zu geben, Bürgerwehren zu gründen. Jetzt steht also auch noch das Gewaltmonopol des Staats in Frage.
Peter Nemschak
11. Januar 2016 @ 19:39
Wir heißt: die EU. Konkret sind jene Mitgliedsstaaten gemeint, die eine EU-Außengrenze haben, diese kontrollieren müssten, aber dazu, aus welchen Gründen auch immer, nicht imstande sind. Welche Außengrenze muss Deutschland im Zusammenhang mit den Flüchtlingsbewegungen kontrollieren? Welcher Staat hat versagt? Die EU ist ein Staatenbund souveräner Staaten. Das ist das Problem. Ein europäischer Bundesstaat täte sich leichter damit.
AD
15. Januar 2016 @ 10:57
Ein europäischen Bundesstaat will kaum keiner. Alle EU-Bürger wissen, die EU ist der Totengräber der europäischen Staaten.
Peter Nemschak
10. Januar 2016 @ 22:05
@ebo Ich habe nie behauptet, dass das Polizei- und Staatsversagen sekundär wäre, im Gegenteil. Nur dieses mit Ressourcenmangel zu begründen, greift zu kurz. Ressourcenmangel wird oft vorgeschoben, um Führungsmängel zu kaschieren.
Marc
11. Januar 2016 @ 10:59
@Nemschak
Wir hatten hier nicht nur zu unseren schlechtesten Zeiten schon immer einen Führungsmangel. Der künstlich erzeugte Ressourenmangel macht es jetzt nur sichtbar.
Peter Nemschak
10. Januar 2016 @ 18:13
Das Staatsversagen mit dem Neoliberalismus zu begründen, ist doch etwas weit hergeholt. Zu allem Überdruss wird neben dem Nationalismus der Ruf nach mehr linkem Etatismus laut – ein Ruf, der üblicherweise aus der Ecke des Rechtspopulismus kommt und sich bestens mit nationalistischen Zugängen verträgt. Dass die Exekutive Vorfälle, wie sie in Köln passiert sind, zum Anlass nimmt, nach mehr Ressourcen zu rufen, ist gängige gewerkschaftliche Praxis. Analoges passiert in Unternehmen bei Organisationsversagen. Es gäbe genug nationalstaatliche Mittel, die, wenn sie koordiniert supranational eingesetzt würden, ausreichenden Schutz bieten. Dass Frankreich bereits vor 15 Jahren mit Integrationsproblemen in der Banlieu der großen Städte zu kämpfen hatte, wird auch geflissentlich übersehen. Offenbar, und das ist das eigentliche Problem, hat die Krise nationalstaatliche statt gesamteuropäische Reflexe ausgelöst und vorhandene verstärkt . Die EU hat sich als Schönwetterwirtschaftsgemeinschaft und nicht als Wertegemeinschaft herausgestellt. Es ist keine Frage der Mittel sondern des politischen Willens. Schon bevor Merkel die Tore geöffnet hat, haben einschlägige Forschungsinstitute in Deutschland mit 800.000 Flüchtlingen für 2015 gerechnet. Geworden sind es schließlich rd. 1 Million. Hätte die EU seit langem eine aktive Nachbarschaftspolitik in Richtung Naher und Mittlerer Osten betrieben, wären es vielleicht weniger geworden. Geld gibt es bei den Mitgliedsstaaten genug für Reformen wenn man bedenkt, dass die 28 EU- Mitgliedsstaaten allein für Rüstung mehr ausgeben als Russland und China zusammen, von einer unsinnigen Agrarpolitik ganz zu schweigen. Nicht mehr Schulden sondern eine bessere Mittelverwendung ist angesagt.
ebo
10. Januar 2016 @ 20:26
Zur Lage bei der dt. Polizei zwei interessante Links:
http://www.welt.de/wirtschaft/article142805735/Warum-Polizisten-ihre-Handschellen-selbst-bezahlen.html
http://www.ksta.de/koeln/18-streifenwagen-fuer-ganz-koeln-sote,15187530,31779196.html
Peter Nemschak
10. Januar 2016 @ 20:51
Ähnliche Geschichten sind beim österreichischen Bundesheer, das finanziell nicht gerade verwöhnt wird bekannt. „Mit bloßen Händen mussten die Horden aus dem Südosten usw.“. Punktuell mag es immer Engpässe geben. Sie sind aber nicht der Grund für Polizeiversagen. Verstärkung war in der Sylvesternacht für Köln verfügbar. Warum kam sie nicht zum Einsatz? All das ist sekundär gegenüber der rechtsradikalen Deutung der Ereignisse durch Pegida und anderen Bodensatz unserer Gesellschaft.
ebo
10. Januar 2016 @ 21:49
Nein, das Polizei und Staatsversagen ist nicht sekundär. Es wird nun auch noch durch den Fall des Pariser Terroristen belegt, der in Recklinghausen straffällig, aber nicht bestraft oder abgeschoben wurde !
anvo1059
10. Januar 2016 @ 17:52
>>>Warum hat ……<<< Wenn ich mir heute so einige Tweets und Kommentare ansehe, dann kommt der schwere Verdacht : Das war Absichtliches Versagen ! Oder man hat das (Polizei) Fußvolk ins offene Messer laufen lassen ! Denn wenn man dagegen das harte Vorgehen gegen die PEGIDAS anschaut und von A ugenzeugen hört, das die Flaschen- und Böllerprovokateure von der Polizei bewussst aus dem Kessel gelassen wurden, nach dem sie ihren "Auftrag" erfüllt hatten und wenn man weiter weis , das Teile der Polizeieinheiten zum s.g. "Elitetrupp" vom NRW Innen-Jäger gehören und schon früher (auch in anderen Bundesländern) bei solchen Veranstaltungen für die nötige Eskalation gesorgt haben und wenn man weis, das es längst bekannt ist, das die Silvsternacht nicht nur in Köln genau geplant war ( Tweets, Soz. Netzwerke, Handydaten !) dann wird man schon nachdenklich….