In Griechenland wurden die Menschen „vergessen“
Fünf Jahre nach dem heftig umstrittenen Stützungs-Programm des ESM für Griechenland kommt heraus: Die „Euroretter“ haben die Menschen „vergessen“, die soziale Not und die Angst um die Arbeitsplätze kam zu kurz.
Zu diesem Schluß kommt der Sondergutachter Almunia in einem Gutachten, das der ESM auf seiner Website veröffentlicht hat. Almunia war früher einmal EU-Kommissar und durfte die „Rettung“ überprüfen, die Deutschland in Griechenland erzwungen hatte.
“The programmes provided Greece with emergency funding, avoiding a forced exit from the single currency,” heißt es da. “There was, however, insufficient attention to the underlying social needs of the Greek population.”
Zu gut deutsch: Die „Euroretter“ haben den „Grexit“ verhindert, aber die „sozialen Nöte bzw. Bedürfnisse“ vergessen. Sie hätten sich auch zu wenig um das Wachstum und um die Arbeitslosigkeit gekümmert. Stattdessen wurde der Hafen von Piräus verpachtet, an die Chinesen!
Schuld daran ist vor allem Ex-Finanzminister Schäuble, der die knallharten Bedingungen diktierte, und der (deutsche, CDU-nahe) ESM-Chef Regling, der alles treu umsetzte. Eine Mitschuld trifft aber auch Ex-Kommissionspräsident Juncker.
Denn der behauptete, er stehe persönlich für die Sozialverträglichkeit des „Programms“ ein. Das war wohl nichts, wie sich nun herausstellt. Ausgerechnet ein früherer EU-Kommissar hat es herausgefunden – nur leider fünf Jahre zu spät…
Siehe auch „Varoufakis lag doch nicht so falsch“
Vasco da Gama
1. Juli 2020 @ 14:40
„Fünf Jahre nach dem heftig umstrittenen Stützungs-Programm des ESM für Griechenland kommt heraus: Die “Euroretter” haben die Menschen “vergessen”, die soziale Not und die Angst um die Arbeitsplätze kam zu kurz.“
Nein, das war alles gewollt. Ein Zitat von Frau Merkel aus dem Jahre 2012: „Wir dürfen doch die Märkte nicht beunruhigen“.
Die Märkte stehen über Menschenleben, über Kinder und über dem Proletariat.
Wer Merkel und Co für solche Sprüche scharf kritisiert, wird sofort als Rechtspopulist niedergebrüllt. Das hatten schon etliche Politiker Europas in den 2010-er Jahren zu spüren bekommen.
Ulli Joßner
13. Juni 2020 @ 15:53
an asisi1
Wenn sie der „Mist in Griechenland“ nichts angeht, warum schreiben Sie dann darüber? Und wenn Sie keine Ahnung haben – vermutlich weil Sie der Mist einfach nichts angeht – dann wäre das doch eine gute Idee.
Ulli Joßner
13. Juni 2020 @ 15:48
Es ging mir nicht darum, dass der ESM „ansonsten einen tollen Job“ gemacht hat. Ich finde es lustig, überhaupt davon auszugehen, dass der ESM die sozialen Bedürfnisse der Griechen berücksichtigen wollte. Und in diesem Zusammenhang finde ich die Rede vom „Vergessen“ und „Ausgerechnet ein früherer EU-Kommissar hat es herausgefunden – nur leider fünf Jahre zu spät…“ nicht richtig lustig, und analytisch gesprochen apologetisch. Denn sie unterstellt der EU, dem EU-Kommissar und dem ESM, dem Memorandum etwas, was diese einen Schei… interessiert(e).
p.s. Meine Computerschirme sind bestimmt breiter als Ihre! Wetten?
ebo
13. Juni 2020 @ 15:52
Okay, dann war das ein Mißverständnis. Wahrscheinlich liegen wir inhaltlich gar nicht so weit auseinander…
Ulli Joßner
12. Juni 2020 @ 17:16
So so, die sozialen Belange der Griechen wurden also „vergessen“ und all die Jahre hat es niemand gemerkt. Das gibt die Aussage nicht her. „There was, however, insufficient attention to the underlying social needs of the Greek population.” Da steht, es gab keine „ausreichende Beachtung“ der sozialen Bedürfnisse der Griechen. Worunter die lagen lassen wir mal außen vor. So formuliert kann man es auch vorher gewusst haben. Und es gab ja auch genügend Vorhersagen, was die Troika Auflagen und das Memorandum für Griechenland bedeuten würden. Und außerhalb der Brüsseler Blase haben das die Griechen doch sehr schnell gemerkt! „Vergessen“ ist mir doch ein wenig apologetisch!
ebo
12. Juni 2020 @ 17:57
Gut, beim nächsten Mal schreiben wir:
„Die sozialen Bedürfnisse der griechischen Bevölkerung wurden nicht ausreichend berücksichtigt, aber sonst hat der ESM einen tollen Job gemacht und Griechenland erfolgreich im Euro gehalten“
Schaffen Sie sich schon mal einen extrabreiten Computer an
LOL
asisi1
13. Juni 2020 @ 12:21
Die sozialen Bedürfnisse der Griechen.
Habe hier in Deutschland 50 Jahre gearbeitet und meine sozialen Bedürfnisse, sprich Rente, wurden verbrecherisch auf 50% gekürzt!
Was geht mich der Mist in Griechenland an, sie sollen selbst für sich sorgen. Sie haben früher ihre Rente mit 50 Jahren eingefahren . Dieser UNsinn von Deutschland soll, muss, helfen und dem ganzen Gedöns, kann ich einfach nicht mehr hören! Die EU ist eine kriminelle Vereinigung, welche nicht gewählt wurde, aber die dicken Forderungen stellt. Diese Lumpen gehören entsorgt!
ebo
13. Juni 2020 @ 12:38
„Die EU“ war in diesem Fall Herr Schäuble. Er hat dafür gesorgt, dass der Hafen von Piräus verscherbelt wurde, und dass die lukrativen grichischen Regionalflughäfen an Fraport gingen. Rentenkürzungen hat er übrigens auch durchgedrückt.
European
13. Juni 2020 @ 17:41
@asisi1
Ich kann Ihre Wut sehr gut verstehen. Allerdings sind die Griechen nicht die Ursache. Sie sind genauso Opfer dieser Politik wie viele Deutsche. Fast die Hälfte der Deutschen kann kein Vermögen bilden. Das ist die Folge der unsäglichen Lohnpolitik insbesondere nach der Finanzkrise sowie die der Rettungspolitik. Man hat beschlossen, nicht die Verursacher der Krise in Haftung zu nehmen, sondern die Bürger. Die Banken wurden gerettet, weil man Angst vor einer Kettenreaktion hatte. Was unsere Regierung in Griechenland angerichtet hat, ist ein unbeschreibliches Desaster. Deshalb spricht auch niemand mehr darüber.
Ihre Wut sollte sich gegen die aktuelle deutsche Regierung richten. Die haben das verzapft, nicht die Südländer.
Kostas Kipuros
12. Juni 2020 @ 12:09
Hallo Kleopatra, da deine Meinung bezüglich der angeblichen Feigheit von Tsipras immer wieder auch von meinen politischen Freunden vertreten wird, hier eine Gegendarstellung – ich gebe es zu – auch oder gerade aus Sicht eines kritischen Anhängers von Syriza. Es ist zwar richtig, dass Tsipras das Ochi-Referendum in der Hoffnung auf eine Ablehnung ansetzte, um den finalen Konflikt mit der Eurogruppe zu vermeiden, und es entspricht auch den Tatsachen, dass der damalige griechische Premier nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses nur halbherzig entschlossen zum Autodafé zu Schäuble reiste. Aber das ist eben nur die halbe Geschichte, denn die andere lautet: Er hatte objektiv keine andere Wahl, als Schäubles Ultimatum anzunehmen. Und zwar aus einem ebenso einfachen wie brutalen Grund: Wie wir schon damals ahnten und heute wissen, war Schäuble definitiv entschlossen, seinen Plan, Griechenland aus dem Euro zu werfen, umzusetzen. Die Weigerung von Tsipras, sich dessen Bedingungen zu unterwerfen, hätte den perfekten Vorwand dafür geliefert und das Ende der griechischen Euro-Mitgliedschaft bedeutet. Dafür aber hatte Tsipras eben kein Mandat der griechischen Wähler, das nämlich wie folgt lautete: ein Ende der Memoranden und Verbleib in der Euro-Zone. Das war der Punkt, an dem Schäuble klar am längeren Hebel saß. Keiner, ich betone: keiner meiner in Griechenland lebenden Verwandten, Freunde und Bekannten hätte das Ende der Spardiktate als das kleinere Übel im Verhältnis zu einem Euro-Rauswurf akzeptiert.
Wenn es je eine Chance gegeben hätte, die Angst der deutschen Regierung vor einer Euro-Kernschmelze für ein Ende der Spardiktate zu nutzen und die Rückkehr zur Drachme als Druckmittel einzusetzen, so wäre das ganz am Anfang der Regierungszeit von Syriza gewesen. Aus sicheren Wohnstuben in Deutschland macht es sich sicherlich ganz gut und einfach, einen derartigen Schritt zu fordern, aber es ist unredlich die Folgen, die die griechische Bevölkerung zu tragen gehabt hätte, auszublenden. Ganz abgesehen davon, dass die Einführung einer nationalen Währung einer immensen und noch dazu geheimen Vorbereitung bedurft hätte, wofür Syriza weder Zeit noch Mandat noch Mittel hatte.
Dein Vergleich mit Island hinkt aber noch aus einem anderen Grund: Anders als bei Island galt es aus Sicht des deutsch-zentrierten und konservativen Schäuble ein linkes Experiment zu zerstören und zwar unter allen Umständen. Die aus Sicht Schäubles durchaus berechtigten Befürchtungen, ein Erfolg der Syriza-Regierung würde etwa in Portugal Nachahmer finden, hat die Eurogruppe/die deutsche Regierung mehrfach veranlasst, bewusst demokratische Grundnormen außer Kraft zu setzen.
Ich empfinde es als nachgerade tragisch, dass Schäuble die Bevölkerung Griechenlands in Haft genommen hat, um eine Europa-nahe, links-sozialdemokratische Regierung zu stürzen und sie dafür auch noch verantwortlich zu machen. Wir sollten seiner verqueren Logik nicht folgen.
ebo
12. Juni 2020 @ 12:15
Danke für diesen wichtigen Kommentar! Ich fand es auch tragisch, dass Schäuble eine linke, pro-europäische Alternative platt gemacht hat – mit Hilfe von Merkel und der SPD. Das hat sich bitter gerächt, wie wir wissen, denn nun können sich die Rechtspopulisten und Nationalisten als einzige Alternative zum deutsch-europäischen Mainstream präsentieren. In Italien waren die Rechten schon an der Macht, in Spanien und Frankreich droht das nächste Debakel!
Ute Plass
11. Juni 2020 @ 18:15
Welche Folgen haben diese „späten Einsichten“?
Wird irgendjemand zur Rechenschaft gezogen?
ebo
11. Juni 2020 @ 18:18
Natürlich nicht. Das ist in der EU nicht üblich 🙂
Ute Plass
11. Juni 2020 @ 18:21
Das bedeutet: Futter für rechte Bewegungen oder?
Kleopatra
12. Juni 2020 @ 08:32
Ich empfehle den Vergleich mit Island.
In beiden Ländern fanden Volksabstimmungen über von der EU geforderte ruinöse Umschuldungsvereinbarungen statt. In beiden Fällen wurden diese abgelehnt (in Island sogar zweimal).
In Island ist es dabei geblieben; in Griechenland war hingegen die Regierung Tsipras zu feige, die Konsequenz aus dem von ihr selbst angesetzten Referendum zu ziehen. Sie haben sich eben auch nicht getraut, die Währungsunion aufzukündigen; dabei hätten sie womöglich durch kaltblütige Entschlossenheit noch mehr herausverhandeln können (A. Merkel hatte ja offenkundig panische Angst vor einem Austritt Griechenlands aus der Währungsunion). Da der dominierenden Macht der EU der Euro wichtiger ist als das Wohlergehen griechischer Bürger, wurde unter Mitwirkung der griechischen Regierung das zweite Ziel dem ersten geopfert. Island hingegen hat in der damaligen Krise die Erfahrung gemacht, dass der Status als EU-Nichtmitglied Vorteile hatte (die Klage gegen die genannte Entscheidung wurde nicht vom EuGH, sondern vom EFTA-Gerichtshof entschieden); und die Vorteile werden sie so bald nicht aufgeben wollen.
dixie chique
12. Juni 2020 @ 11:54
@Ute Plass/ „Das bedeutet Futter für rechte Bewegungen, oder?“
Gegen die EU zu stehen, Austritte zu fordern und dem ganzen Gebilde ein möglichst schnelles und schmachvolles Ende bescheren zu wollen, kann zwar aus rechter Motivation erwachsen, muß aber nicht!
Was ist rechts an der Parole „Nieder mit den Bonzen! Rechenschaft!“ ??
Oder zugespitzt.. was ist rechts an „drain the swamp“? Richtig, nix!
European
11. Juni 2020 @ 17:56
Sehr sehr dunkles Kapitel. Mehr als beschämend.
Noch mal zum Nachlesen und Gruseln: https://de.wikipedia.org/wiki/Griechische_Staatsschuldenkrise
Die Hälfte des Hafens von Piräus wurde für 35 Jahre an China verpachtet, also doch nicht verkauft. Glücklicherweise. Aber die Chinesen liebäugeln auch mit Italien.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hafen_von_Pir%C3%A4us
Aber dafür bekam die Fraport den Zuschlag für den Betrieb von 14 griechischen Flughäfen für 40 Jahre für ca. 1.3 Mrd. Euro. Von einem weiteren Mitbieter ist nichts bekannt. Ein Schnäppchen.
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/fraport-regionalflughaefen-griechenland-101.html
ebo
11. Juni 2020 @ 18:06
Stimmt, der Hafen wurde „nur“ verpachtet. Doch heute klagt die EU, dass China sich einkauft – dabei hat sie es selbst gefördert!
European
11. Juni 2020 @ 18:28
Es liegt noch eine steile Lernkurve vor all den Politikern – in Brüssel und auch in den Ländern, die sich für den Nabel der Welt halten. Da gibt es einige.
Gibt es eigentlich eine zuverlässige Quelle darüber, welche europäischen Banken über die sogenannte Griechenlandrettung gestützt wurden? Griechenland selbst war ja nicht das Problem, es waren die Finanzinstitute, die über einen griechischen Staatsbankrott wie die Dominosteine umgefallen wären.
Eine Liste dazu wäre aufschlussreich. Man sagt, dass es überwiegend deutsche und französische Banken waren, aber bisher konnte ich nichts genaueres dazu finden.