Sorge um Schengen, Selenskyjs “Siegesplan” – und EU-Influencer

Die Watchlist EUropa vom 24. September 2024 – Heute mit News und Analysen zur Asyl- und Migrationspolitik, zur Ukraine und zu einer Auszeichnung für den Autor dieses Blogs.

Eine Woche nach der Einführung von Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen hagelt es Kritik in Brüssel. Die größte Sorge gilt dabei allerdings nicht der deutschen 180-Grad-Wende in der Asyl- und Migrationspolitik, die mit dem Laisser-Faire unter Ex-Kanzlerin Merkel bricht: Das stößt allgemein auf Zustimmung.

Sorgen macht man sich vielmehr um die Freiheit des Personen- und Warenverkehrs, die mit dem Schengener Abkommen geschaffen wurde und als eine der größten Errungenschaften der EU gilt. Sie könnte nun ebenso ausgehöhlt werden wie der Binnenmarkt, der Freihandel oder andere Grundpfeiler.

Zuletzt schaltete sich sogar der frühere Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in die Debatte ein. Er beobachte mit Sorge das „Sich-Verrennen in eine nationale Herangehensweise“, sagte er dem ZDF. Es könne „sehr schwer“ werden, „dies wieder einzufangen“.

Vor einem Irrweg warnt auch der belgische Europaabgeordnete Pascal Arimont. „Ich habe ernste Zweifel daran, dass diese Kontrollen den Bedingungen des Schengener Grenzkodex entsprechen“, erklärte der konservative EVP-Politiker aus Ostbelgien. Brüssel müsse eingreifen.

Von der Leyen schaut zu

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Doch die EU-Kommission denkt gar nicht daran. Unter Junckers Amtsnachfolgerin von der Leyen ist sie sehr zurückhaltend geworden, wenn es um Schengen geht. Während unter Junckers Ägide nationale Grenzkontrollen noch beanstandet wurden, hat von der Leyen noch nie Widerspruch eingelegt.

“Die Kommission als Hüterin der Verträge nimmt ihre Aufgabe nicht wahr”, kritisiert die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel. Mit ihrer Untätigkeit gefährde sie nicht nur Schengen, sondern letztlich auch die gerade erste beschlossene Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems GEAS.

Diese Reform soll die Außengrenzen besser sichern und die Asylbewerber gerechter auf die EU-Staaten verteilen, was vor allem Deutschland entlasten würde. Der Haken: Sie wird – wenn überhaupt – frühestens 2026 umgesetzt. Bis dahin dürfte die Krise weitergehen.

Die Bundesregierung hat ihre Grenzkontrollen aber zunächst nur auf sechs Monate befristet – mehr ist nach den EU-Regeln nicht drin. Wenn sie sie danach wieder zurücknimmt, geht das Theater wieder von vorne los. Wenn sie sie verlängert, wird Schengen weiter ausgehöhlt…

Siehe auch meine Analyse in Europe.Table (leider hinter Paywall)

P.S. Die EU tâte gut daran, sich endlich ernsthaft um Israel zu kümmern. Die völlig unverhältnismäßigen Angriffe im Libanon dürften schon bald neue Flüchtlingswellen nach Europa auslösen…

News & Updates

  • Selenskyjs “Siegesplan”. Kurz vor seinem Bittgesuch bei US-Präsident Biden in Washington sind erste Details vom “Siegesplan” des ukrainischen Staatschefs durchgesickert. Selenskyj will einen schnellen EU- und Nato-Beitritt. Das fordert er allerdings bereits seit Jahren – vergeblich. Ist das Ganze nur ein Bluff, um am Ende doch zu verhandeln? – Mehr hier (im Blog)
  • Brunners Schaulaufen. Er soll der nächste EU-Migrationskommissar werden und die GEAS-Reform umsetzen sowie Schengen retten (siehe oben). Doch erstmal hat Österreichs konservativer Finanzminister Magnus Brunner andere Pläne. Er bestreit für die ÖVP den Wahlkampf und will sogar ein Mandat im Nationalrat. Wie passt das alles zusammen? Mehr im “Standard
  • Berlin rüttelt an EU-Vorgaben für Autos. Angesichts der Krise in der deutschen Automobilindustrie blickt Berlin zunehmend nach Brüssel. Bundesfinanzminister Lindner forderte beim deutschen Autogipfel eine Diskussion über die CO2-Flottengrenzwerte, die ab 2025 verschärft werden. Auch Bundeswirtschaftsminister Habeck rüttelt an den EU-Vorgaben. Von der Leyen schweigt…

Das Letzte

EU-Influencer. Überraschung: Die Agentur ZNConsulting hat mich in ihre neue Liste der 100 wichtigsten „EU-Influencer“ aufgenommen – leider mit einem falschen Foto. Im Gesamtranking komme ich auf Anhieb auf Platz 37. In diesem Jahr bin ich wohl der einzige deutsche Journalist in Brüssel, dem diese Ehre zuteil wird. Ganz weit vorn liegen wie üblich die anglophonen Kollegen auf Twitter / X und LinkedIn, auch Instagram und TikTok werden in Brüssel immer wichtiger. Mehr hier (Link zu ZNConsulting)

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