Sommerserie: Sind die Sanktionen legal?
In Europa herrscht wieder Krieg – und die EU kämpft mit. Wie konnte es dazu kommen, und wo soll das alles enden? Unsere Sommerserie versucht, die wichtigsten Fragen zu beantworten. Heute: Sind die Sanktionen legal?
Aus EU-Sicht stellt sich diese Frage nicht. Schließlich werden die Sanktionen in einem eigenen Rechtsregime verankert, gegen das sogar geklagt werden kann. Einige Oligarchen haben von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht – Ausgang offen. Die Strafmaßnahmen wurden jedoch nur im EU-Recht verankert. Ob sie auch dem Völkerrecht entsprechen, ist außerhalb der EU umstritten. Normalerweise müssen dafür die Vereinten Nationen (VN) herangezogen werden und Beschlüsse fassen.
Unilaterale Sanktionen – also Strafmaßnahmen, die von einem Staat oder Staatenbund außerhalb der VN getroffen werden – unterliegen dagegen völkerrechtlichen Schranken, betont der Bundestag in einem Gutachten. Wichtig sei vor allem Verhältnismäßigkeit.
Ist es verhältnismäßig, auf einen Völkerrechtsbruch – den russischen Angriffskrieg – mit umfassenden Wirtschaftssanktionen zu antworten? Sind diese geeignet, den Frieden wiederherzustellen – oder weiten sie den Konflikt aus, etwa zu einem Wirtschaftskrieg?
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Nicht illegal, aber illegitim?
Darüber streiten die Gelehrten. Professor Valta vertritt im “Verfassungsblog” die Meinung, dass die Wirtschaftssanktionen auf sicherem rechtlichen Boden stünden. Sie seien sogar Voraussetzung dafür, dass der Boden des Völkerrechts nicht wegbricht.
Dagegen ließe sich allerdings einwenden, dass sich EU und USA bei ihren Entscheidungen gar nicht auf das Völkerrecht berufen, sondern auf ihre eigene Rechtsordnung oder – vor allem in Sonntagsreden – auf die “regelbasierte Ordnung”.
Diese ist jedoch nicht oder nur teilweise von den VN gedeckt. Zudem weigert sich eine Mehrheit der in der VN vertretenen Staaten, den westlichen Sanktionen beizutreten. Die Strafmaßnahmen werden, wenn nicht als illegal, so doch als illegitim betrachtet.
Das hält die EU jedoch nicht davon ab, ihre Sanktionen immer mehr auszuweiten. Neuerdings denkt sie sogar über die Konfiszierung gesperrten Vermögens nach. Auch die Devisenreserven der russischen Zentralbank könnten angezapft werden.
Im Europarecht findet sich für diesen “Bankraub” allerdings keine Rechtsgrundlage. Im Völkerrecht sehe es ähnlich aus, schreibt die FAZ. Der EU-Außenbeauftragte Borrell, der sich für die Enteignung stark macht, wisse offenbar selbst nicht genau, wovon er redet.
Dennoch hat die EU-Kommission eine eingehende juristische Prüfung eingeleitet. Das Motiv liegt auf der Hand: Sie braucht das Geld der Zentralbank, um den versprochenen Wiederaufbau in der Ukraine zu finanzieren. Und Not macht bekanntlich erfinderisch…
FAZIT: Die Rechtmäßigkeit der Sanktionen ist und bleibt umstritten. Klar ist jedoch, dass der Versuch der EU, sich als Hüterin des Völkerrechts oder der “regelbasierten Ordnung” zu präsentieren, von der Mehrheit der Staaten zurückgewiesen wird. Wir haben es nicht nur mit einem Problem der Legalität, sondern auch der Legitimität zu tun.
Alle bisherigen Beiträge zum Krieg in der Ukraine hier
P.S. Zu den Ländern, die sich nicht an den Sanktionen beteiligen, gehören wichtige EU-Partner wie Israel, die Türkei, Indien und Südafrika.
Weiterführende Links:
EU-Rat: Wie und wann die EU Sanktionen verhängt
Bundestag: Rechtsfragen zu völkerrechtlichen Sanktionen
FAZ: Können russische Devisenreserven den Wiederaufbau finanzieren?
KK
8. August 2022 @ 13:51
“Der EU-Außenbeauftragte Borrell, der sich für die Enteignung stark macht, wisse offenbar selbst nicht genau, wovon er redet.”
Mit Insiderhandel kennt er sich offenbar besser aus…
european
8. August 2022 @ 12:56
Man sollte sich stets der Folgen seines Tuns bewusst sein.
Putin beruft sich bei diesem Krieg auf nichts Geringeres als die Missachtung des Voelkerrechts im Kosovo seitens des Westens. Das war der Dammbruch. Wenn der selbsternannte Wertewesten beliebig diese Werte mit Fuessen tritt, warum sollte der Rest der Welt, hier Russland, sich daran halten?
Wenn man ehrlich ist, ist diese Frage berechtigt.
Wenn wir also weiterhin selber Recht brechen, haben wir keinerlei Handhabe, von anderen die Einhaltung des Rechts zu fordern.
Burkhart Braunbehrens
8. August 2022 @ 11:46
So eine dämliche Frage. Ist Aggression legal ?
european
8. August 2022 @ 12:45
Auge um Auge, Zahn um Zahn?
Ist es das, was Sie damit promoten?
Burkhart Braunbehrens
8. August 2022 @ 13:48
Nein, sondern dem Aggressor sofort und konsequent den Zahn ziehen, anstatt solange zu kämpfen, bis alle zahnlos sind. Nur so sind wir überlegen, was wünschenswert wäre
european
8. August 2022 @ 16:40
In diesem Fall ist es gar nicht so einfach, den eigentlichen Aggressor zu ermitteln. Und das mit dem Zahn-ziehen ist so eine Sache. Mal abgesehen davon, dass man klaeren sollte, was denn damit gemeint ist. Moechten Sie gern in den Krieg ziehen? Am besten gleich an die Front? Ist es das, was Sie meinen?
Russland hat mit dem Bombardement angefangen. Das ist richtig. Begonnen hat der Krieg jedoch nicht mit der ersten Bombe und es gibt viele Brandstifter in diesem scheusslichen Spiel. Wessen Zaehne sollen also gezogen werden?
Kleopatra
9. August 2022 @ 07:54
Russland hat seinen Krieg gegen die Ukraine im Jahr 2014 begonnen, und zwar einerseits durch die Aktion der „grünen Männchen“ auf der Krim, andererseits durch die Installation zweier Räuberbanden als Pseudostaaten im Donbass. Von Angriffen der Ukraine auf Russland ist mir nichts bekannt. Die Unterstützung von Demokratiebewegungen in der Ukraine kann nicht als „Kriegsbrandstiftung“ angesehen werden, weil von ihr keine Gefahr für Russland ausgeht. Dass mehr Ukrainer an der Möglichkeit interessiert waren, in der EU zu arbeiten, als an analogen Möglichkeiten in Moskau (und dass sie deshalb auf den EU-Assoziationsvertrag Wert legten), ist eine Tatsache, mit der sich die Russen gefälligst abzufinden haben.
european
9. August 2022 @ 10:56
@Kleopatra
Ich kenne Ihre sehr einseitige Sicht. Sie wiederholen sie staendig, obwohl hier auf diesen Seiten mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass die Dinge eben nicht so eindimensional sind. Wie schon gesagt, Sie muessen das nicht lesen, worauf hier immer wieder hingewiesen wird, aber eine ernsthafte Diskussionsgrundlage sind Ihre postings damit nicht.
Wenn Sie sich die aktuelle Gesetzgebung der Ukraine ansehen, dann stellen Sie fest, dass dieses Paket (Loehne runter, Zero Hours contracts, Abbau von Arbeitnehmerrechten etc) ebenso wenig mit Demokratie zu tun hat, wie der (endlich vom Westen durchgesetzte) Verkauf des kostbaren Ackerlandes an “Investoren” als Gegenleistung zu Krediten. Wozu eine solche Politik fuehrt, kann man in Griechenland in allen Einzelheiten sehen.
Auch die Ausbeutung der Ukrainer durch westliche Unternehmen, gern uebrigens in der Fleischindustrie, hat nichts mit Demokratie zu tun oder damit dass die EU so toll ist. Gleiches gilt fuer die Ukrainerinnen, die, sehr oft schwarz und damit ohne Absicherung, in der westlichen Altenpflege arbeiten.
Guten Lesestoff bietet uebrigens Thomas Barnett mit “The Pentagon’s new Map”, oder Untertitel “Why we are going to war and continue to do so”.
Aber ich vermute, das werden Sie auch nicht lesen.
Kleopatra
9. August 2022 @ 16:48
@european: Wir diskutieren hier über Kriegsursachen und nicht über die Bewertung der ukrainischen Sozial- und Arbeitsgesetzgebung. Wollen Sie suggerieren, dass etwaige Missstände in diesen Bereichen, oder die Ausbeutung von ukrainischen Arbeitern in deutschen Schlachthöfen, die russische Aggression rechtfertigten? Oder dass Russland die Ukraine beschießt, um ihre Bevölkerung vor der Ausbeutung durch böse westliche Konzerne zu schützen?
european
9. August 2022 @ 19:47
@Kleopatra
WIR diskutieren sehr wohl über Kriegsursachen. Sie nicht. Das ist das Problem.
Sonst würden Sie zumindest registrieren, dass das Problem bereits 2008 mit George W Bush begann, zu einem Zeitpunkt als weder die ukrainische Regierung noch die Bevölkerung für einen Nato-Beitritt waren.
Damit ist diese Debatte mit Ihnen für mich erledigt.
Armin Christ
8. August 2022 @ 09:45
“Konfiszierung gesperrten Vermögens” früher nannte man das Klauen. Wie will denn dieser Staat Loyalität von seinen Bürgern erwarten, wenn rechtsstaatliche Prinzipien einfach so über Bord gehen. Ich will die “Reichsbürger” ja nicht verteidigen, aber genau solches Staatshandeln benutzen sie zu ihrer Legitimation.
Holger Jeltsch
8. August 2022 @ 09:13
Die Sanktionen sind ein einziger Schwachsinn, den unsere “Politiker” verbrochen haben unter Bruch ihrer Eide. Den USA, die selbst 10 völkerrechtswidrige Kriege nach dem 2. Weltkrieg geführt haben, oder der kriegslüsternen NATOführung, zu folgen, können nur Dilettanten ohne Mumm fordern, männlich oder weiblich, die im Gegensatz zur normalen Bevölkerung nicht unter den Sanktionsfolgen – sollten sie tatsächlich ( wie ständig angekündigt ) eintreten, zu leiden hätten. Vor den erbärmlich unterschiedlichen Behandlungen von Flüchtlingen, kann man nur die Hände über dem Kopf zusammen schlagen. Peinlich!!!
Helmut Ott
8. August 2022 @ 08:22
Ich halte das schlichtweg für Diebstahl. Ich erinnere mich noch gut an die Aufregung in Deutschland, als das Gerücht aufkam, die deutschen Goldreserven in den USA seien von dritter Seite entnommen worden. Wenn das Schule macht, bricht das Vertrauen in internationale Bank- und Finanzsysteme komplett zusammen, mit verheerenden Folgen für die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen. Aber das scheint den EU-Mächtigen egal zu sein.
ebo
8. August 2022 @ 09:07
Da sind Sie nicht allein. Bei meinem letzten Berlin – Besuch sprach ein Bundesminister von “Bankraub” und warnte vor den Konsequenzen für das internationale System. Zitieren lassen wollte er sich aber nicht…
european
9. August 2022 @ 20:29
@ebo
Clare Daly hat kürzlich in einem Interview gesagt, dass sie von diversen KollegInnen des EU-Parlamentes auf ihre direkte Art und ihre Haltung zu diesem Krieg angesprochen wird i.d.S. “wir würden uns gern genauso äußern, dürfen es aber nicht, weil wir mit Repressionen aus eigenen Reihen und seitens des Parlamentes rechnen müssen.”
Das zunehmende Demokratiedefizit auch außerhalb der EU wächst zu einem großen Problem heran.