Sommerserie: Ist die EU noch eine Friedensunion?
In Europa herrscht wieder Krieg – und die EU kämpft mit. Wie konnte es dazu kommen, und wo soll das alles enden? Unsere Sommerserie versucht, die wichtigsten Fragen zu beantworten. Heute: Ist die EU noch eine Friedensunion?
Im Prinzip Ja, in der Praxis Nein. Natürlich bekennt sich die EU zum Ziel des Friedens. 2012 hat sie für ihre Arbeit sogar den Friedensnobelpreis erhalten, wie die deutsche Bundesregierung betont.
Auch heute noch engagieren sich EU-Diplomaten für den Frieden im Nahen Osten, in Afghanistan oder in Libyen. Doch ausgerechnet in der Ukraine haben sie ihr wohltätiges Werk aufgegeben.
Der Krieg werde auf dem Schlachtfeld entschieden, sagte der EU-Außenbeauftragte Borrell im April 2022. Seither ist das Wort “Frieden” aus dem offiziellen Diskurs verschwunden. Selbst von Waffenstillstand spricht man in Brüssel nicht mehr.
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Die Waffen sollen nicht schweigen – sondern der Ukraine zum Sieg verhelfen. Deshalb wird Militärgerät aus der so genannten Friedensfazilität beschafft, die ursprünglich für Friedensmissionen in Afrika bestimmt war.
“Frieden durch Krieg”, heißt die neue Devise, die an Orwell erinnert. Gleichzeitig rüstet die EU immer mehr auf, auch die Zusammenarbeit mit der Nato wird ausgebaut. Die EU-Mitglieder Finnland und Schweden sind der Militärallianz beigetreten.
Fazit: Eine Strategie für die Zeit nach dem Krieg – etwa in Gestalt einer neuen europäischen Friedensordnung – sucht man vergebens. Die EU stellt sich auf einen dauerhaften Konflikt mit Russland ein, die Friedensunion ist passé.
Weiterführende Links
Europäischer Auswärtiger Dienst: Dem Frieden eine Chance geben: politische Lösungen statt bewaffneter Konflikte (2020)
Bundesregierung: Fragen und Antworten zu Frieden in Europa
Wie der EU-Kriegsdiplomat Josep Borrell um westliche Werte kämpft – telepolis
Alle bisherigen Beiträge zum Krieg in der Ukraine hier
Holly01
28. Juli 2022 @ 18:29
Egal was die EU war, jetzt ist die in der Abwicklung und damit Geschichte.
Thomas Damrau
28. Juli 2022 @ 09:18
Für mich stellt sich die Frage: Gibt es eine EU-Außenpolitik – sowie es eine US-Außenpolitik, eine russische, eine chinesische etc. gibt?
Beim Irak-Krieg G.W.Bushs war die EU außenpolitisch ein Hühnerhaufen: Die einen sind mit Hurra mitmarschiert (“Neues Europa” im Sinne von Bush), die anderen (“Altes Europa”) haben die Gefolgschaft verweigert.
Hat sich daran in den letzten 20 Jahren wirklich so viel geändert? Ich will nicht bestreiten, dass auf EU-Ebene versucht wird, internationale Krisen zu schlichten. Aber führen Sie in Deutschland eine Umfrage durch, wer Borrell ist? Da werden viele antworten “keine Ahnung”. Letztendlich wird die “Friedenspolitik” der EU in den Hauptstädten der Mitgliedstaaten definiert – und die Mitgliedsstaaten sind sich oft nicht einig.
Das hat sich auch jahrelang beim Umgang mit Russland gezeigt: Die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten (sicher aus eigener leidvoller Erfahrung) Befürworter eines harten Kurses gegen Russland (allerdings immer wieder mit Abweichlern, siehe Ungarn) – die “westlichen” EU-Staaten eher auf ein quid-pro-quo aus. Diese unterschiedlichen Grundhaltungen scheinen auch beim Ukraine-Krieg durch: Der Osten fordert “Gebt den Russen eines auf die Mütze” – der Westen steht eher auf der Bremse (trotz des bußfertigen “Asche über unser Haupt, dass wir den Verlockungen des Teufels erlegen sind”).
Ist die EU noch eine Friedensunion? Auf dieser hohen Abstraktionsebene nicht zu beantworten.
ebo
28. Juli 2022 @ 09:40
Naja, so hoch ist die Abstraktionsebene nicht. Es gibt zwar unterschiedliche Interessen in der EU und ihrer Außenpolitik. Doch es gibt auch immer noch gemeinsame Erklärung und Beschlüsse, seit Beginn des Ukrainekriegs mehr denn je. Darin tauchen die Begriffe Frieden, Verhandlungen, Diplomatie nicht mehr auf, nicht mal im Konjunktiv, oder als Fernziel. Borrell spricht nur noch von Krieg, Waffen und Sanktionen. Damit ist doch eigentlich alles gesagt.
Auch auf den Ebenen Taktik und Strategie ist der Frieden verloren gegangen. So will es die EU allein der Ukraine überlassen, in Verhandlungen einzutreten. Eine Vermittler- oder Katalysator-Rolle, wie früher im Nahen Osten oder in Afrika, strebt sie nicht mehr an. Strategisch wurde das Ziel einer europäischen Friedensordnung aufgegeben. Die EU stellt sich auf eine dauerhafte Konfrontation mit Russland ein, genau wie die Nato.
Thomas Damrau
28. Juli 2022 @ 12:35
Kein Widerspruch.
Ich habe nur meine Lieblingsfrage gestellt: Wer ist die EU und welche Politik verfolgt die EU? Vd Leyen, Borrell, das EU-Parlament, Macron, Scholz, Draghi, Frontex, …? Ein bisschen Asyl-Recht oder gar keines? Viel Geld für Rüstung oder wahnsinnig viel Geld für Rüstung? Ökonomie vor Ökologie oder doch ein etwas mehr Umweltschutz? Usw.