Solidarität mit Italien: So viel Druck war nie
Wächst in der Coronakrise ein anderes EUropa? Die Solidarität, die Italien, Spanien und Frankreich im Streit um Coronabonds erfahren, macht Hoffnung.
So viel Solidarität war nie. Nicht während der Eurokrise, als die meisten EU-Politiker Griechenland allein im Regen stehen ließen. Und auch nicht in der Flüchtlingskrise, als fast alle EU-Länder in Deckung gingen und kaum jemand bereit war, eine “europäische Lösung” à la Merkel zu unterstützen.
Doch diesmal, in der Coronakrise, scheint ein anderes EUropa möglich. Nicht weniger als dreizehn von 19 Euro-Ländern haben sich für Coronabonds oder andere Formen finanzieller Solidarität ausgesprochen. Italien, Spanien und Frankreich führen eine Bewegung für einen gerechten Wiederaufbau.
Diese Bewegung findet sogar in Deutschland enormen Widerhall. Nicht nur Linke, Grüne und viele Sozialdemokraten haben sich für Coronabonds ausgesprochen. Auch der arbeitgebernahe Ökonom M. Hüther und der CDU-Europapolitiker E. Brok fordern nun gemeinsame Anleihen.
Auch der Obmann der Unionsfraktion im Auswärtigen Ausschuss, R. Kiesewetter, und der Vizepräsident des Europaparlaments R. Wieland sagten, sie könnten sich gemeinsame EU-Anleihen vorstellen. Beide gehören der CDU an – und stellen sich damit gegen die offizielle Linie.
Die wird immer noch vom Kanzleramt vorgegeben. Kanzleramtschef Braun lehnt gemeinsame Anleihen ebenso ab wie Kanzlerin Merkel und Ex-Finanzminister Schäuble. Im Zentrum der deutschen (und europäischen) Macht hat sich nichts geändert – dort herrscht Bunkermentalität.
Merkels letzte Hoffnung ruht auf EU-Kommissionschefin von der Leyen. Nachdem die CDU-Politikerin zunächst erklärt hatte, Coronabonds seien nur ein “Schlagwort”, versucht sie nun, mit einem “Marshallplan” dagegenzuhalten, der aus dem EU-Budget finanziert werden soll.
Doch von der Leyen überzeugt nicht einmal ihre eigenen Kommissare. Nach Wirtschaftskommissar Gentiloni (Italien) rückten zuletzt auch Binnenmarkt-Kommissar Breton (Frankreich) und Wettbewerbskommissarin Vestager (Dänemark) von der dogmatischen deutschen Linie ab.
Der Druck steigt, Merkel und von der Leyen geraten immer mehr in die Defensive. Wenn es demokratisch zuginge in der EU, könnte die Solidarität mit Italien siegen. Doch es geht nicht demokratisch zu, auch nicht transparent. Die Entscheidung fällt nämlich in der Europgruppe.
Und dort gibt es keine Abstimmungen, es gibt nicht einmal ein Protokoll. Finanzminister Scholz kann die Coronabonds bei der entscheidenden Sitzung am Dienstag abblocken, genau wie Merkel vor zwei Wochen beim EU-Gipfel. Der politische Preis dürfte allerdings enorm sein…
Siehe auch “Wie Merkel die EU-Institutionen ausbooten will” und “Italien und Spanien gegen Merkel-Deutschland”
Holly01
7. April 2020 @ 08:39
Drei Dinge hat die ganze ökonomische Reaktion mit den Diskussionen bereits bewirkt.
– Das dringend nötige Volumen für die Dollarhegemonie wurde geschöpft.
– Der Euro fällt gegenüber allen relevanten Währungen, wir importieren zwar Inflation (brauchen wir auch), wir verbessern aber auch unsere Position als Exporteur.
– Die Umverteilung hin zu globalen Firmen (zB Amazon) hat einen satten Schub bekommen. Das wird den Mittelstand und das, was mal zwischen den 20% und den 80% erfolgreich ausdünnen.
So gesehen läuft das US Experiment weiter. Ihr könnt wieder in Aktien einsteigen und das fremd finanzieren. Der Nächste Inflationäre Schub in diese Anlagen kommt.
Leider läuft auch eine Inflationäre Welle durch die täglichen Verbrauchsgüter. Bei mir fühlt sich das wie 20% bis 30% an.
Die Letzten (H4) beißen wie immer die Hunde.
vlg
Immer locker bleiben
6. April 2020 @ 20:06
Sie haben vollkommen Recht. Die Debatte läuft tatsächlich reflexhaft/moralisch. In einer Krise macht es durchaus Sinn, Kredite aufzunehmen und dabei möglichst wenig Zinsen zu zahlen. Das könnte der ESM aber auch. Ich gebe der Steuerfinanzierung den Vorzug. Früher diskutierte man ähnlich reflexhaft die Finanztransaktionssteuer, die ich persönlich gar nicht so schlecht finde, weil es eine “internationale” Steuer sein kann und Geld reinkommt. Eine andere Idee: “Wenn die FDP-Wähler jetzt mal ein halbes Jahr auf Steuerhinterziehung verzichten, wäre das mit der Finanzierung der Corona-Krise kein Problem.” (frei nach Volker Pispers) Nur so ein Gedanke.
Stef
7. April 2020 @ 07:32
Es ist mir sympathisch, Krisenfolgen mit Reichensteuern zu finanzieren. Aber Angesichts der epochalen Herausforderung geht schon zeitmäßig kein Weg an Krediten vorbei.
Die deutsche Ablehnung von Eurobonds bedeutet nichts anderes, als die am härtesten betroffenen EU-Länder bei der anstehenden Herkulesaufgabe den Währungsspekulanten zu fraß vorzuwerfen. Und das von dem Exportweltmeister, der seine bessere Situation den überproportionalen Importen derselben Länder verdankt. Und dem Umstand, dass der Euro keine harte Währung ist und den deutschen Export damit weiter subventioniert. Wäre Deutschland bereit im Gegenzug zum Verzicht auf Eurobonds auf die eigenen systemischen und leistungslosen Vorteile zu verzichten, dann wäre die Haltung von „truly Sozialdemokrat“ wenigstens konsequent, wenn auch nicht im mindesten solidarisch.
Sagen wir wie es ist: Wasser predigen und Wein trinken. Das ist die Essenz deutscher Europapolitik!
Kleopatra
6. April 2020 @ 18:57
Bemerkenswert an der Diskussion in Deutschland finde ich, dass gegen Eurobonds moralisch argumentiert wird (sie verleiten angeblich zur Verschwedung und Verantwortungslosigkeit) und die Gegner sich auf Prinzipien berufen, während diejenigen, die jetzt für “Corona-Bonds” argumentieren, vor allem darauf verweisen, dass sie dem deutschen Eigeninteresse dienten (so ungefähr Robert Habeck gerade im Spiegel). Ein recht aparter Gegensatz und vermutlich von außen gesehen, d.h. für die restlichen Völker der EU, völlig unverständlich.
Immer locker bleiben
6. April 2020 @ 20:21
Gut, dass Sie dran bleiben. Das muss ich ja dann auch. ;-). Beim DGB heißt es: “So kann der „Europäische Zukunftsfonds“ den jährlichen Investitionsbedarf in genauer Höhe durch die Emission von 10jährigen „New Deal Anleihen“ finanzieren, für die jährliche Zinsen anfallen würden. Diese Zinsverpflichtungen, für die der Zukunftsfonds selbst aufkommen muss, können aus den Einnahmen einer Finanztransaktionssteuer (Financial Transaction Tax, FTT) finanziert werden. Wenn die Coronabonds so finanziert werden, da kann man drüber reden. Schönen Abend und danke für den Link.
Holly01
7. April 2020 @ 08:47
ATTAC hat ein komplettes Konzept ausgerollt…….. nicht so meins, aber lesenswert.
vlg
Immer locker bleiben
6. April 2020 @ 17:27
Noch einen hinterher:
Ich finde das gar nicht so schlecht, wenn die Kommissionspräsidentin einen Marshallplan für Europa fordert. Die Idee stammt doch vom DGB, muss so 2012/3 gewesen sein. Da braucht sie nur abschreiben. https://www.dgb.de/themen/++co++a8ef9a6e-4503-11e2-8aa1-00188b4dc422
ebo
6. April 2020 @ 19:00
Sehr gut. Denn auch der DGB forderte schon Gemeinschafts-Anleihen. Einfach mal nachlesen 🙂
Zu diesem Zweck emittiert der „Europäische Zukunftsfonds“ ähnlich wie Unternehmen oder Staaten verzinsliche Anleihen, die wir „New Deal Anleihen“ nennen. Anleger bekommen damit endlich gute und sichere Anlagemöglichkeiten, die EU sichert die Finanzierung dieser Modernisierungsoffensive.
Immer locker bleiben
6. April 2020 @ 19:47
Mal wieder zu schnell geschossen, werter Kollege. Das Konzept des DGB ist im wesentlichen steuer- und nicht kreditfinanziert. Originalton DGB “Der Marshallplan ist vollständig durchgerechnet und belastet spekulative Finanztransaktionen, jedoch nicht die öffentlichen Haushalte der EU-Länder.” 😉
Von Eurobonds steht da nix.
ebo
6. April 2020 @ 19:49
Mein Zitat war aus dem Text, den Sie nicht gelesen haben 🙂
https://www.dgb.de/themen/++co++985b632e-407e-11e2-b652-00188b4dc422
Immer locker bleiben
6. April 2020 @ 17:15
Nicht so fix. Mein Kommentar bezog sich auf den Vorredner “Burkhart”. Sie, Herr Ebo, waren gar nicht gemeint, aber bringen mich auf meine alte Idee: Olaf wäre ein guter Vorsitzer. Und ehrlich: Wer erinnert sich noch an die “linken” Vorsitzenden?
Alexander
6. April 2020 @ 17:20
Stimmt, “Olaf” wäre ein guter CDU-Vorsitzender!
Immer locker bleiben
6. April 2020 @ 14:39
Tja, die hochgejubelten neuen Vorsitzenden der SPD. Jetzt schauen alle doch wieder auf Olaf. Der kann jetzt deshalb die Kohle raushauen, weil er so gut gewirtschaftet hat. (Das kommt bei den Linken nicht an, ich weiß.) Geld ist genug da, der Stabilitätspakt ist Geschichte. Wozu überhaupt Kredite an Italien und Spanien. Das Geld sollte überwiesen werden. Jetzt mal ernsthaft, wenn man einem helfen will, dann gibt man doch Geld/Zuschuss und keinen Kredit… Für die Zukunft, nicht vergessen beim Konsum Was kauf ich ein? Wo fahr ich hin? Könnt ja sein, dass das mehr hilft, als Coronabonds.
ebo
6. April 2020 @ 15:48
So weit ich weiß, sind Scholz und Maas nicht die SPD-Vorsitzenden 😉
Burkhart Braunbehrens
6. April 2020 @ 11:31
Erbärmlich, auch die “linken” Vorsitzenden der Partei. Nationalistisch ohne Nachzudenken. Erbärmlich !
Stef
6. April 2020 @ 11:01
Nur die Regierungspartei SPD verkündet über ihre Spitzenminister Maas und Scholz alles, nur keine Unterstützung für Coronabonds. Diese Partei positioniert sich konsequent in dem Rahmen, den Mutti ihnen erlaubt. Für eine Partei, die Solidarität zu ihrem Grundwert erklärt hat, ist das erbärmlich jenseits der Schmerzgrenze.
Holly01
6. April 2020 @ 07:49
Hallo,
da ich Bertelsmann nicht klicke und nicht direkt lese, kann ich die zahlen nicht prüfen. Die Größenordnungen sind aber so auch in anderen Rechnungen zu finden.
DAS IST DER EU-LÄNDERAUSGLEICH:
” https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8238/ ”
Deutschland wehr sich mit Messer und Klauen dagegen an dem permanenten Geldzufluß etwas zu ändern.
Die deutsche Stärke ist ein Produkt des Egoismus, nicht von Fleiß.
Wenn wir endlich gemeinsame Zinsen zulassen dann geben wir nichts zurück, wir nehmen nur weniger von den Nachbarn.
vlg