Solidarität mit der Ukraine – aber nicht so
Die EU beantwortet den Überfall Russlands auf die Ukraine mit immer mehr Sanktionen. Die dritte Sanktionswelle sieht sogar Zensurmaßnahmen und Waffenlieferungen vor – erstmals aus EU-Mitteln. Auch die Nato setzt auf Eskalation.
Solidarität mit der Ukraine! Unter diesem Motto gingen am Sonntag unzählige Menschen auf die Straße, allein in Berlin waren es über 100.000. Das macht Mut und Hoffnung, dass Russland nicht durchkommt und der Krieg bald zuende geht.
Dafür sind allerdings Verhandlungen nötig – und keine Eskalation. Doch genau darauf setzen Nato und EU. Die Nato schickt ihre schnelle Eingreiftruppe nach Rumänien und kündigt Waffenlieferungen an. Das hat den Konflikt aufgeheizt.
So setzte Kremlchef Putin mit Verweis auf die Nato-Beschlüsse die russischen Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft. Erinnerungen an die Kubakrise werden wach. Damals stand die Welt am Abgrund – auch heute sind wir nicht weit davon entfernt.
In dieser bedrohlichen Lage sollte die EU deeskalierend wirken, schließlich wurde sie ‘mal als Friedensunion konzipiert. Doch sie tut das Gegenteil. Auf Putins Krieg antwortet sie mit einem Wirtschaftskrieg, sogar SWIFT wird nun einbezogen, auf dubiose Weise.
Die EU zielt auch auf die russische Zentralbank, sie will die Devisenreserven wertlos machen. Dies sei ein “ausgewachsener Finanzkrieg”, sagt der britische Wirtschaftsexperte A. Tooze – und lässt Zweifel daran erkennen, dass dies wirklich hilfreich ist.
Waffen aus der EU-Friedensfaszilität
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“Will a financial panic in Moscow accelerate the “logic” of escalation?”, fragt Tooze. Eine berechtigte Frage. Die “Finanzpanik” könnte mit der Börsenöffnung am Montag beginnen – dann werden wir wissen, ob auch am Finanzmarkt der Krieg ausbricht.
Doch der EU-Kommission ist all das nicht genug. Am Sonntagabend kündigte sie auch noch Waffenlieferungen mit EU-Geld aus der neuen “Friedensfazilität”, eine Sperrung des Luftraums für russische Flugzeuge und die Zensur von RT und Sputnik an.
Das sind maßlose Entscheidungen, die zeigen, dass man in Brüssel den kühlen Kopf verloren hat. Offenbar kennt die Wut auf Putin keine Grenzen mehr – mit der Lieferung von Kampfjets wird die ehemalige Friedensunion zur Kriegspartei.
Rettet Kiew – durch Verhandlungen!
Natürlich muß EUropa Solidarität beweisen. Doch was die Ukraine im Moment am meisten braucht, ist keine Vergeltung – sondern ein Waffenstillstand und Verhandlungen. Noch ist Kiew nicht verloren, noch gibt es Hoffung auf eine Verhandlungslösung.
Die beste Antwort auf die drohende Schlacht um Kiew wären direkte Gespräche mit Russland unter Einschluß der USA und der EU – mit dem Ziel einer gemeinsam garantierten Neutralität der Ukraine und der Perspektive einer EU-Mitgliedschaft.
Die jüngsten Beschlüsse aus Brüssel deuten jedoch nicht annäherungsweise in diese Richtung – ganz im Gegenteil. Sie dürften den Konflikt weiter verschärfen und so (nolens volens) das Leben vieler Ukrainer noch mehr gefährden…
Mehr zur Ukraine hier
P. S. Wegen der Ferien in Belgien erscheint diese Woche kein Newsletter.
european
1. März 2022 @ 08:02
https://www.sueddeutsche.de/meinung/ukraine-korrupt-wie-eh-und-je-1.5217924
Der Artikel ist exakt ein Jahr alt und schildert die Problemlage sehr gut. Nur weil der ukrainische Präsident so ein Sympathieträger ist, sollten wir uns nicht davon blenden lassen. Die Ukraine ist zunächst einmal ein Pleitestaat mit einer Auslandsverschuldung von über 98% des BIP in USD. Selbst der IWF will da nicht einsteigen. Wie wollen wir das lösen? Wenn wir fair zu den anderen Staaten sind, heißt das Austerität für die Ukraine bis zum Sankt Nimmerleinstag. Hat das schon jemand Zelensky gesteckt?
Die Ukraine ist ein durch und durch zerrissenes Land. Korruption, Rechtsunsicherheit, Oligarchentum, Reformunwilligkeit. Kurzum, nichts was die EU noch zusätzlich gebrauchen kann.
Wir haben schon genug Probleme mit Polen und Ungarn auch wenn das aktuell durch den Krieg überdeckt wird. Danach werden sie wieder oben sein.
Die Forderungen Zelensky’s nach einer sofortigen Aufnahme in die EU zu besonderen Bedingungen finde ich mehr als irritierend. Erst recht der Nachsatz, dass die Ukraine das verdient hätte. Klingt für mich, als wäre ihm da etwas versprochen worden.
Burkhart Braunbehrens
28. Februar 2022 @ 11:44
Historische Vergleiche sind problematisch !
Man könnte die Situation auch mit Spanien 1936 vergleichen und an die roten Brigaden denken, wie gestern ein alter Geschichtsprofessor bei Anne Will.
Die große Mehrheit der Bevölkerung in der Ukraine will in EU und Nato wie seiner Zeit Polen Litauen usw. Man sollte das verstehen. Und es gilt das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Deutschland hat lange vernünftige Lösungen blockiert. Vielleicht gibt es ja doch noch eine Chance, dass Europa seine mögliche Rolle in der Welt akzeptiert.
pitiplatsch
28. Februar 2022 @ 08:47
Noch fehlt die Marschmusik im Radio – alles nachzulesen in “Der Grosse Krieg. Die Welt 1914-1918”. Ich bin 80 und versucht, mich wie Schwejk mit Rollstuhl und Krücken medienwirksam an die Front zu melden.
ebo
28. Februar 2022 @ 09:10
Hier in Brüssel spürt man schon eine gewisse Begeisterung, die Eurokraten haben sich per Nacht in große Kriegsherren verwandelt 😉
Kostas Kipuros
28. Februar 2022 @ 09:40
Mich erinnert das alles inzwischen an Stefan Zweigs “Die Welt von gestern, Erinnerungen eines Europäers.” Geschichte wiederholt sich offenbar doch: Das Entsetzen nach dem Ersten Weltkrieg, die Gewissheit, dass sich so eine Katastrophe nie wiederholt und die Begeisterung, mit der man nur ein paar Jahre später mit Marschmusik und bester Laune in eine noch größere Katastrophe defiliert – weil: Der Feind will es eben so. Und der war damals schon immer der Russe. Den westlichen Politikern ist offensichtlich der Verstand abhanden gekommen, wenn sie auf die definitiv zu verurteilende Völkerrechtsverletzung Russlands mit noch verantwortungsloserer Empathie die Eskalationsspirale anheizen – in der Überzeugung, dass das schon gut gehen wird. Wie immer natürlich im Sinne des Westens. Wird es aber nicht, denn schon jetzt ist die Zahl der Verlierer auf allen Seiten weitaus größer als die Profiteure des Geschehens. Man ist einfach nur sprachlos und entsetzt.
ebo
28. Februar 2022 @ 09:44
Geht mir ganz genauso. Europa ist heute nicht mehr so, wie es gestern noch war. Hier in Brüssel herrscht fast schon Kriegsbegeisterung…